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Nationalismus in Kilowattstunden

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Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß in den Jahrzehnten um die Französische Revolution zwei grundlegende volkswirtschaftliche Werke erschienen, dere Grundsätze einander diametral gegenüberstehen und die doch zusammengehören, weil beide die Perspektiven des wirtschaftspolitischen Denkens im. nachfolgenden Jahrhundert der Nationalstaaten entscheidend bestimmt haben: Adam Smith's „Wealth of Nations“ und Johann Gottlieb Fichtes „Geschlossener Handelsstaat“. Wirtschaftspolitischer Internationalismus und Nationalismus kämpfen hier um den Vorrang ihrer Prinzipien und bestimmen schließlich beide gleichermaßen bis auf den heutigen Tag die Grundsätze der modernen Wirtschaftspolitik. So kann es nicht ausbleiben, daß immer wieder für das reine Prinzip des einen oder anderen Standpunktes eine Lanze eingelegt und mit Eifer gebrochen wird, unbekümmert darum, daß sich wirt-schaftspolitische Entscheidungen in der harten Wirklichkeit letztlich an den Tatsachen orientieren.

Auch die Österreichische Elektrizitätswirtschaft hat Kritik vom Grundsätzlichen her hinnehmen müssen, als sie durch ihre konkreten betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Analysen auf das Gebiet internationaler Zusammenarbeit verwiesen wurde. Einige wenige publizitär Einfluß nehmende Kreise sehen darin einen Verrat an einer anzustrebenden volkswirtschaftlichen Selbstgenügsamkeit und selbst an der politischen Selbständigkeit und Unabhängigkeit Oesterreichs. Ueberzeugungen sind bekanntlich durch Tatsachen nicht zu wiederlegen und sollten als solche auch nicht widerlegt werden, denn als Motoren unseres politischen und wirtsahaftlichen Lebens sind sie die Träger der Impulse, welche den menschlichen Fortschritt verbürgen. Das schließt nicht aus, daß jeder verantwortlich in der Volkswirtschaft Tätige bei den zu treffenden Entschlüssen und den zu ergreifenden Maßnahmen den Tatsachen den Primat einzuräumen hat. ' : '

Es ist gewiß kein Zufall daß Oesterreichs Elektrizitätswirtschaft gerade in Durchführung ihrer nationalen Aufgabe ausreichender Eigen-versorgung mit elektrischer Energie auch international zu denken veranlaßt wird. Diese Einstellung ist sogar traditionell und ist keineswegs erst seit dem Bestehen der Verbundgesellschaft vorhanden. Die in sich geschlossenen und nur ins Ausland offenen Energieräume des österreichischen Westens, etwa Vorarlbergs, Tirols, aber auch Salzburgs und Kärntens, theoretisch auch der Steiermark, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei der energiewirtschaftlichen Nutzung der Flüsse und Ströme, etwa des Inn, der Salzäch, der Donau und der Drau, die fast unüberbrückbaren West und Ost, Nord und Süd trennenden Gebirgsketten Innerösterreichs bieten energiewirtschaftlich ah sich keine Voraussetzungen für rein nationale Aspekte. Erst der Aufbau und Ausbau des Verbundnetzes hat hier ausgleichend und ergänzend gewirkt und die einzelnen energiewirtschaftlichen Ex- und Enklaven einander nähergebracht, ohne sie ganz beseitigen zu können. Die Elektrizitätswirtschaft hat in dem letzten Jahrzehnt ein einheitliches nationales Versorgungsgebiet aufgebaut und das nach vernünftigen nationalen Maßstäben wirtschaftlich Erreichbare auch erreicht.

Der Verbundbetrieb und die Ausbauplänung haben aber in diesem Zusammenhang auch gezeigt, daß mit diesem nationalen Trend elektrizitätswirtschaftlich das Auslangen allein nicht zu finden ist und über die oben erwähnte regionale Zusammenarbeit hinaus eine internationale Zusammenarbeit — wohlgemerkt aus nationalen Interessen — auch auf der Ebene Gesamtösterreichs Platz greifen muß.

Es soll nicht geleugnet werden, daß Zusammenarbeit Abhängigkeit erzeugt. Das liegt im Wesen der Sache. Aber Zusammenarbeit erzeugt eine zweiseitige, gegenseitige Abhängigkeit. Würde Oesterreich heute den Ausbau seiner Energiequellen nur mit eigenen Mitteln zu betreiben versuchen, so würde seine Abhängigkeit bald aus Kapital- und spezifischem Absatzmangel einseitig gegeben sein als Zwang zum Stromimport von dort, wo er allenfalls noch zu haben ist. Das wäre aber genau jener Erfolg, welcher nach den Zielen unserer nationalen Argumentatoren vermieden werden soll. Man muß also Grundsätze ruhen und Tatsachen sprechen lassen, wenn überhaupt Diskussion sein soll.

Oesterreich besitzt Wasserkraftreserven mit einer Jahresarbeit von 30 bis 40 Milliarden Kilowattstunden, teils hochwertigster Speicherenergie mit nach mitteleuropäischen Maßstäben optimal günstigen Ausbau- und Betriebskosten, teils Laufkraftvorkommen mit der diesen eigenen Charakteristik des Stromanfalles zu Zeiten geringen Strombedarfes und des Strommangels zu Zeiten erhöhten Bedarfes, etwa im Winter. Kilowattstunden sind keine Erdäpfel. Erdäpfel kann man lagern bis zum Zeitpunkt des Bedarfes und kann sie schließlich untereinander austauschen. Die Kilowattstunde ist, obzwar technisch eine der anderen gleich, nicht stapelbar und nicht austauschbar. Der Gründe sind viele.

Da sind zunächst die Ausbaukosten, welche einen hohen Kapitalbedarf bedingen, welche zudem noch langfristig und zu niedrigen Zinsen, möglichst unter 5 Prozent, zu decken sind. Der Zinsendienst läuft lange, beträgt bis zu 50 bis 60 Prozent der Kosten überhaupt und muß zudem noch in einem bestehenden Tarifsystem unterkommen, dessen Erstellung unter Umständen nach Kriterien erfolgte, .deren Zulässigkeit und Geltung jahrelang zurückliegen. Rentabilität ist eine Frage des zu erzielenden Preises, aber auch im gleichen Maße eine Frage des Umsatzes oder anders ausgedrückt, der Ausnutzung der Anlagen. Der erzielbare Preis hat das stärkere Gewicht bei den Speicherkraftwerken, denn die spezifischen Kosten sind hoch, und die erzeugte Energie ist hochwertige Spitzenenergie, woraus folgt, daß Speicherenergie für die Abdeckung der Grundlast ausweglos unwirtschaftlich und zu teuer ist. Der erreichbare Umsatz hingegen dominiert bei den Laufkraftwerken, denn die erzeugte Energie ist im großen Schnitt preislich im Grundtarif unterzubringen, nicht aber technisch, denn wenn sie nicht benötigt wird, wird ihre Erzeugung als vernichtete Energie nicht honoriert, die Resterzeugung verteuert sich und das Kraftwerk arbeitet unwirtschaftlich.

Die Problematik des Ausbaues der Wasserkräfte Oesterreichs liegt also auf zwei Ebenen: bei der Kapitalbeschaffung zu spezifisch einmaligen Bedingungen, den Ausbaukosten mit über 7000 bis 15.000 Schilling je ausgebautem Kilowatt gegenüber 3000 bis 3 500 Schilling je ausgebautem Kilowatt bei Betrieb mit Gas und Oel (betriebswirtschaftlich kompensiert durch den späteren Entfall des Aufwandes für Betriebsmittel, da Wasser umsonst anfällt) und dem hohen Zinsendienst; zum anderen in der Frage des zu sichernden Absatzes der zu, erzeugenden Energie wegen der im Rahmen der bestehenden Tarife zu erzielenden Rentabilität und schließlich zusätzlich in dem dem innerösterreichischen Bedarf vorgreifenden Ausbau der ungenützten und wirtschaftlich brachliegenden Wasserkräfte. Dieser letzte Gesichtspunkt ist nicht unwesentlich, denn heute noch ist der Ausbau von Wasserkraftwerken üblich, ob er morgen noch den technischen Usancen, welche wie alles andere auch ihre Moden haben, entspricht, ist zwar wahrscheinlich, aber heute nicht zu entscheiden. Das Brachliegen unserer Wasserkräfte ist Brachliegen von Volksvermögen; über die UnWirtschaftlichkeit des Vorganges dürften keine Zweifel bestehen.

Man kann dieses Problem von verschiedenen Seiten angehen. Zumindest theoretisch sind einige Lösungen möglich. Eines ist mit aller Gewißheit nicht möglich: eine nationalistischautarke Lösung des starken Armes. Oesterreich besitzt die Wasserkräfte ohne Einschränkung, gewiß, aber das ist auch so ziemlich alles. Oesterreich besitzt weder das langfristige und billige Kapital noch die-Verbrauchsstruktur, um zumindest im nächsten Jahrzehnt die Rentabilität der Werke durch restlose Absetzung im eigenen Lande sicherstellen zu können, es sei denn zu Tarifen, welche absolut undiskutabel sind. Die hochwertige Speicherenergie findet zu ihren natürlichen kostenbedingten Preisen keinen Platz in der Verbrauchscharakteristik und die Laufenergie ist zu einem wichtigen Bruchteil unanbringlich.

Die nationale Lösung würde in diesem Falle lauten: Nationaler Verbundbetrieb. Da aber die unanbringlichen Kilowattstunden bereits in eben diesem Verbundbetrieb anfallen, können sie füglich in diesem nicht abgesetzt und verwertet werden. Es verbleibt die internationale Lösung: Der internationale Verbundbetrieb. In diesem sind die im Inland unanbringlichen Kilowattstunden unterzubringen (Einzelheiten der Möglichkeit müssen hier unerwähnt bleiben) ' und auch .sinnvoll mit dem Vorgang der Kapitalaufbringung und des Kapital- und Zinsen dienstes im Ausland zu koppeln, ohne unsere Zahlungsbilanz zu strapazieren. Das nationale Ziel, Auswertung der Reichtümer an Wasserkraft lieber heute als morgen, die Deckung unseres Bedarfes elektrischer Energie, aus heimischer Wasserkraft und zu optimal niederen Tarifen werden grundsätzlich auf diesem Wege erreicht und durch nationale Autarkie vereitelt.

Energiewirtschaftlich muß man aus dem Wesen der Sache heraus notwendig in Zusammenhängen denken, keinesfalls genügt der naheliegende Kausalnexus: weil das Ausland Strom aus österreichischer Wasserkraft bezieht, entzieht es Oesterreich diesen Strom. Der Sachverhalt liegt genau umgekehrt, weil das Ausland bereit ist. den Ausbau der österreichischen Wasserkräfte für einen begrenzten Zeitraum mitzufinanzieren und die in Oesterreich nicht anzubringende Mehrerzeugung zu günstigen Bedingungen und auf Grund von Verträgen langfristig abzunehmen, kann Oesterreich seine Wasserkraft auf die wirtschaftlichste Weise zu einem niederen Tarif heute bereit iubauen und für ..ewige' Zeiten nutzen Nichts gegen Fichte, aber Adam Smith hat auch recht.

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