Naturwissenschaften? Leider Fehlanzeige!

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Das systematische Aushungern wichtiger Schulfächer scheint ein zentrales Konzept der österreichischen Bildungspolitik zu sein. Die mit der Oberstufenreform eingeführten sechs Stunden Wahlpflichtgegenstände können dieses Defizit nicht auffangen. Ein Gastkommentar.

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Das systematische Aushungern wichtiger Schulfächer scheint ein zentrales Konzept der österreichischen Bildungspolitik zu sein. Die mit der Oberstufenreform eingeführten sechs Stunden Wahlpflichtgegenstände können dieses Defizit nicht auffangen. Ein Gastkommentar.

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Als Österreich bei den letzten Olympischen Sommerspielen in London 2012 medaillenlos blieb, wurden umgehend Sonderbudgettöpfe geschaffen, und allerorts wurde die tägliche Turnstunde an Österreichs Schulen zur Priorität erkoren. Als im vergangenen Herbst - so wie in den Jahrzehnten davor -Österreich bei der Vergabe der wissenschaftlichen Nobelpreise wieder einmal leer ausging, blieben Politik und Massenmedien stumm. Den letzten "wissenschaftlichen Olympiasieg" errang Österreich zuletzt 1973 mit Konrad Lorenz. Doch das holt offensichtlich niemanden mehr hinter dem Ofen der österreichischen Selbstzufriedenheit hervor.

Die angebliche Förderung der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) an Österreichs Schulen ist da ein passendes Beispiel. Regelmäßig wird deren Bedeutung in großflächigen Inseraten in kleinformatigen Gratiszeitungen beschworen. Ein simpler Blick auf die Stundentafel eines österreichischen Gymnasiums enthüllt jedoch die politische Verachtung gegenüber diesen (wissenschaftlichen) Fächern: Das Fach Chemie ist dabei mit zwei Wochenstunden erstmals in der 4. Klasse AHS zu finden, um dann in der 5. und 6. Klasse umgehend zu pausieren und erst wieder in den beiden letzten Jahren mit je zwei Stunden auf den Lehrplan zurückzukehren. Ein langfristiges, aufbauendes Lernen ist unter solchen Bedingungen jedenfalls nicht möglich. Aber auch warum Physik etwa in der 5. Klasse AHS für ein Jahr ausfällt oder Biologie in der 7. Klasse einjährig aussetzen muss, ist einem vernünftig denkenden Menschen nicht wirklich ersichtlich. Demgegenüber wird Sport natürlich durchgehend acht Jahre lang garantiert.

Potemkinsche Wahlpflichtdörfer

Auf den Punkt gebracht: 23 Jahreswochenstunden "Bewegung und Sport" stehen beschämenden zwölf Stunden Physik oder gar lächerlichen sechs Stunden Chemie gegenüber. Informatik gibt es sowieso nur in einem Jahr (zwei Stunden in der 5. Klasse), und selbst der Mathematikunterricht wird bereits nach der 2. Klasse auf minimale drei Wochenstunden bis zur Matura heruntergefahren. Drei Stunden Mathematik in der Woche -das erklärt vielleicht auch, warum bei den diesjährigen Zentralmaturaaufgaben etwa simples Prozentrechnen gefragt war.

Die ambitionierte Option, sechs Jahreswochenstunden je nach Neigung und Interesse wählen und damit einen kleinen individuellen Schwerpunkt in der Oberstufe setzen zu können, ist nichts anderes als ein Potemkinsches Dorf. Aufgrund der Kleinheit österreichischer Gymnasien und der sich daraus ergebenden geringen Schülerzahl (ein bis drei Klassen) pro Jahrgang reduziert sich die Auswahlmöglichkeit automatisch. Dazu kommen individuelle Steckenpferde und Vorgaben der jeweiligen Schulführung: So manche Direktion übt sanften Druck auf die wählenden Schüler aus, dass zumindest eine Fremdsprache gewählt wird. Das Fach des jeweiligen Direktors ist Fixstarter. Kostenintensive Fächer werden nicht gern gesehen. Biologie, Physik und Chemie werden regelmäßig zu einem Zwei-Stunden-Allerweltsfach "Life Science" zusammengefasst.

Gesenkte Anforderungen

Und schließlich wird natürlich auf das geringe Schulbudget verwiesen: Zwei Fächer mit je zehn sind günstiger als drei mit jeweils sechs Schülern. Am Ende werden auch noch rasch "schulautonome Wahlpflichtfächer" in die Welt gerufen. Da müssen dann die Schüler eines akademischen Gymnasiums eben mit dem Fach "Sporttheorie" vorlieb nehmen -einer eigenwilligen Mischung aus Sport und ein wenig Biologie.

Die Idee einer individuellen Förderung oder gar Schwerpunktsetzung bleibt bei dieser Art von Bildungspolitik jedenfalls auf der Strecke. Die Wissensvermittlung gerät ins Hintertreffen, Anforderungen werden herunter geschraubt. Nebenbei wird für die Zentralmatura vorbereitet. Schöne neue Bildungswelt.

| Der Autor ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen; er lehrt an der Universität Salzburg. Seine beiden Kinder besuchen ein Akademisches Gymnasium. |

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