Netze des Rechtsextremismus revisited

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Man trägt modische Sneaker, man postet Videos auf Youtube, man verkauft im Eigenvertrieb T-Shirts mit Aufdrucken wie 'Defend Europe' oder 'Reconquista'.

Am Ende ist es dann doch noch passiert. Nach tagelangem Tauziehen ist Udo Landbauer, eben noch Spitzenkandidat der niederösterreichischen FPÖ, von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Zuvor hatte die FPÖ eine geschlagene Woche lang das getan, was man von ihr in solchen Fällen kennt. Man kalmierte, man beschwichtigte, man versuchte, das Thema auszusitzen. Irgendwann wurde der öffentliche Druck dann doch zu groß: Landbauer, in dessen Burschenschaft Germania Liederbücher mit antisemitischen und rassistischen Texten verlegt wurden, trat das Rückzugsgefecht an.

Turnvater Jahn im Wesen

Zeilen wie "Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion:'Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million'" - im Liederbuch einer Verbindung, in der ein Spitzenkandidat und, wie kürzlich bekannt wurde, auch der Wiener FPÖ-Landtagsabgeordnete Stefan Berger bis vor kurzem Mitglied war? Ausgerechnet im Gedenkjahr wird Österreich von den blinden Flecken seiner Geschichte eingeholt. Und das Liedgut der Germania zu Wiener Neustadt zeigt ein Symptom, an dem wesentliche Teile der Burschenschaften, manche der Corps, der Landsmannschaften und schlagenden Sängerschaften laborieren: Der Antisemitismus hat sich einst in den Tiefen ihrer Strukturen eingenistet und bis heute großflächig gehalten (Mehr zum Thema Burschenschaften siehe auch S. 17).

Die Ideologie "völkischer Korporierter" reicht bis in die höchsten Ebenen der Republik. Denn im Nationalrat sitzen heute so viele schlagende Burschenschafter wie noch nie nach '45, die FPÖ-geführten Ministerien sind durchsetzt von Korporierten aus deutschnationalen Verbindungen und ein Mitglied eines schlagenden Corps soll von der Regierung als Verfassungsrichter nominiert werden. Die Gesamtzahl der Burschenschafter in Österreich wird auf 4000 bis 5000 geschätzt, was rund 0,05 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die kleine Gruppe der schlagenden Korporierten verfügt also über überproportionale politische Macht. Zwar ist das Spektrum der Burschenschafter durchaus von einer gewissen Breite geprägt: Nicht alle sind rechtsextrem oder gar neonazistisch, viele folgen schlicht einem rechtskonservativen Weltbild. Der Bezug auf "Großdeutschland" ist aber im Wesen der Burschenschaften angelegt -und mit ihm gehen auch die häufigen antisemitischen Tendenzen einher.

"Antisemitismus gehört untrennbar zur völkischen Ideologie", sagt der Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. "Und das, wofür die Burschenschaften stehen, ist Tradition." Ein Bruch mit den antisemitischen Ursprüngen sei daher von den Schlagenden nicht zu erwarten. Hervorgegangen sind die Korporationen aus der deutschen Urburschenschaft, die 1815 in Jena gegründet wurde. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren jüdische Burschenschafter noch üblich -Karl Marx, Heinrich Heine oder der Gründervater des Zionismus, Theodor Herzl, gehörten dazu. Herzl trat aber aufgrund der grassierenden antijüdischen Stimmung aus seiner Verbindung aus. Und spätestens ab dem Revolutionsjahr 1848 gewannen antisemitische Einstellungen, die im Gedankengut ihrer Gründerväter wie Friedrich Ludwig Jahn ("Turnvater Jahn") schon verankert waren, in den Verbindungen mehr und mehr an Land.

Burschenschaften in Österreich weisen heute auch starke personelle Überschneidungen mit anderen äußerst rechten bis rechtsextremen Organisationen auf. Mit den so genannten "Identitären" etwa, die im europaweiten Fahrtwind der "Neuen Rechten" durch Demonstrationen gegen Flüchtlinge oder ihren Bühnensturm bei Elfriede Jelineks "Schutzbefohlenen" im Wiener Audimax auffielen. Abseits der Störaktionen kennt man die Gruppierung vor allem durch ihre geschickte Selbstinszenierung in sozialen Medien, die speziell junge Männer gezielt mit popkulturellen Codes ansprechen soll. Man trägt modische Sneaker (vorzugsweise von der britischen Marke "New Balance", weil das groß aufgedruckte "N" im Logo in einschlägigen Szenen für "Nationalist" steht), man postet Video-Blogs auf Youtube, man verkauft T-Shirts mit Aufdrucken wie "Defend Europe" oder "Reconquista" über den eigenen Versandhandel.

Einschlägige Freunde

Und obgleich die Inszenierung atmosphärisch eher das Gegenteil der traditionellen Korporierten-Aura vermittelt, sind zahlreiche identitäre Führungskader auch in schlagenden Verbindungen aktiv. So ist Alexander Markovics Mitglied der rechtsauslegenden Olympia, die immer wieder durch Gäste aus dem rechtsextremen Spektrum auffiel. 2003 war etwa der neonazistische Liedermacher Michael Müller bei der Verbindung zu Gast, der auch der FPÖ-Abgeordnete Martin Graf und etliche weitere Freiheitliche angehören. Martin Sellner war einst ebenso Olympionike und betätigt sich nunmehr in der Sängerschaft Barden.

Sellner, heute das bekannteste Gesicht der Identitären, verkehrte einst auch intensiv mit jenem Mann, der heute als Initiator der rechtsextremen und antisemitischen Hetzseite Alpen-Donau. info im Gefängnis sitzt: Gottfried Küssel, selbst Burschenschafter und seit Jahrzehnten Dreh-und Angelpunkt der heimischen Neonazi-Szene. Küssel hatte 1986 die Splittergruppe "Volkstreue außerparlamentarische Opposition" (VAPO) gegründet, die durch ihre so genannten "Wehrsportübungen" bekannt wurde. 1994 wurde er wegen NS-Wiederbetätigung zu elf Jahren Haft verurteilt, kam aber vorzeitig auf Bewährung frei. Seit 2013 ist er erneut wegen Wiederbetätigung in Haft.

"Kopflose" Szene

Die Küssels Verhaftung vorangegangene Polizeiaktion im Zuge der Ermittlungen um Alpen-Donau.info war die größte gegen die heimische Neonazi-Szene seit den 1990ern. Auch zahlreiche weitere Burschenschafter gerieten damals ins Visier der Exekutive. Nach dem großen Schlag der Ermittler sei die Szene vor allem in Ostösterreich "zunächst kopflos gewesen", sagt Rechtsextremismus-Forscher Peham. Ein Teil des einschlägigen Milieus verharre seither "relativ ruhig, im Untergrund wartend". Andere Teile hätten versucht, nach dem Verbotsgesetz strafbare Handlungen zu vermeiden und seien in Organisationen wie den Identitären aufgegangen.

Eine klassische Strategie rechtsextremer Kreise ist es, im öffentlichen Diskurs auf den Linksextremismus zu verweisen, der ebenso gefährlich sei und zu wenig beachtet werde. Was aber sagen die messbaren Fakten? Im Jahr 2016 gab es laut Verfassungsschutzbericht 1313 rechtsextrem motivierte Straftaten und 383 Delikte, die dem linksextremen Spektrum zugeordnet wurden. Knapp die Hälfte der linksextremen Straftaten fiel übrigens unter Sachbeschädigung: Im letztlich ein Jahr dauernden Präsidentschaftswahlkampf wurden etliche Wahlplakate und Plakatständer beschädigt. Im Jahr 2015 hatte es mit 186 noch weniger als halb so viele Straftaten im linken Spektrum gegeben.

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