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Neue Aufgaben des österreichischen Buchhandels

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Eine Oberschau über die Lage in den bisherigen reichsdeutschen Zentren des Buchhandels zeigt das gante Ausmaß einer Desorganisation. Die Aussichten für den Wiederaufbau dieses jahrhundertelang gewachsenen Gefüges sind gering. Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit des Deutschen Reiches ist noch fraglich und die Wiederherstellung der kulturellen Einheit noch zweifelhafter. Der österreichische Buchhandel war seit jeher ein Teil des deutschen Buchhandels, dessen Bereich nicht mit dem der deutschen politischen Nation, sondern mit dem deutschen Kulturbereich zusammenfiel, also zum Beispiel auch die deutschsprachigen Gebiete der Schweiz umfaßte und über die Grenzen dieses Großraumes hinaus in die ganze Welt ging.

Der Buchhandel unseres Landes war ein Glied dieses Organismus. Die kulturellen Bedürfnisse Österreichs wurden, soweit das deutschsprachige Buch in Betracht komnft, vom ganzen deutschen Buchhandel befriedigt, wie auch der österreichische Buchhandel seinen Teil zur Stillung der kulturellen Bedürfnisse der anderen deutschsprachigen Länder beitrug. Die hohe Qualität und Mannigfaltigkeit der deutschen Verlagsleistung war möglich, weil dem deutschen Buchhandel ein Absatzgebiet, das von 80 Millionen Menschen bewohnt wurde, offenstand. Der österreichische Buchhandel steht nun vor der Aufgabe, für 7 bis 10 Millionen in allen Bereichen der wissenschaftlichen, schöngeistigen, Fach- und Jugendliteratur etwas zu leisten, das einen Vergleich mit den früheren Verhältnissen aushält.

Wie ist er darauf vorbereitet?

Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben. Der österreichische Verlag ist bis heute ein Torso. Auf manchen Gebieten, wie auf dem des medizinischen Buches, genießt der österreichische Verlag Weltruf. Seinen Ruhm auf dem Gebiete des Kunstboches verdankt er im wesentlichen einer Firma. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften haben wir nur zwei relativ kleine Verlage, die ausgezeichnet sind, aber an die Vielfältigkeiten der Produktion einet G.-Fischer-Verlages oder des Berlin Stammhauses von J. Springer nicht heranreichen. Daneben gibt es viele, zum Teil streng spezialisierte naturwissenschaftliche Verlage, von denen sich nur einige und nicht die bedeutendsten in Österreich befinden. Auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften liegen die Verhältnisse ähnlich. Die rechtswissenschaftliche Buchproduktion ist durch zwei altangesehene Verlage gesichert. Daneben gibt es eine Anzahl kleinerer tüchtiger Verlage, von denen aber keiner bisher es mit den großen reichsdeutschen Verlagen, wie etwa Teubner, Weidmann, Niemeyer oder Kohlhammer, aufnehmen konnte.

Die wissenschaftlichen Verlage waren auch Träger der sehr spezialisierten wis-y senschaftlichen deutschsprachigen Zeitschriften, die, um lebensfähig zu sein, eines gesidierten großen Absatzgebietes bedürfen. Auch die wenigen wissenschaftlichen Zeitschriften, die in Österreich erscheinen, könnten in der jetzigen Art nur weiterbestehen, wenn ihr altes Absatzgebiet einigermaßen gesichert werden kann. Besser ist die Lage im schöngeistigen Verlag. Hier haben wir eine Reihe von Firmen, die bei vernünftiger Arbeitsteilung eine hinreichend mannigfaltige Produktion herausbringen können. Das österreichische Jugendbuch wird vorläufig, im wesentlichen von einem Verlag gepflegt, dessen Bücher inhaltlich oft recht gut waren, deren Ausstattung aber nicht stets mit den Leistungen des deutschen Verlages Schritt halten konnte, so daß ein Absatz im wesentlichen auf Österreich und den Donauraum beschränkt blieb. Um aus diesem Torso in Österreich ein voll arbeitsfähiges Ganzes zu gestalten, ist ein großer Umbau notwendig. Die verhältnismäßig günstige Lage des österreichischen Verlages: der Wegfall der Pflichtlizenz seitens der Besatzungsbehörden, die Freiheit von der Zensur, die Tatsache, daß Papierfabriken, Druckereien und Buchbindereien in viel größerem Maße erhalten geblieben sind als in Deutschland — dies alles darf nicht zu einem wilden Darauf losproduzieren verführen. Wir müssen alle Kräfte zusammenfassen, um sorgfältig zu planen und zu einer kleineren, aber allen Erfordernissen eines kulturell hochstehenden Volkes entsprechenden österreichischen Buchproduktion zu kommen. Angesichts der Kleinheit des Absatzgebietes, das uns nach dem vorläufigen Ausfall Deutschlands zur Verfügung steht, wird es schwierig sein, auch nur die wichtigste wissenschaftliche Literatur herzustellen. So kann zum Beispiel ein größeres nationalökonomisches Werk herausgebracht werden, wenn man mit den nationalökonomischen Interessenten unter 80 Millionen zählen kann; ganz anders sind die kaufmännischen Voraussetztingen, wenn man es für eine Bevölkerung von 7 bis 10 Millionen publizieren will. Eine bedeutende Erleichterung dieser schwierigen Lage könnte durch eine Z u-sammenarbeit mit den Verlagen der deutschsprachigen Schweiz erzielt werden. Es wäre eine Arbeitsteilung zwischen österreichischen und Schweizer Verlagen denkbar, die durch eine sorgfältige gemeinsame Verlagsplanung durch eine gemeinsame Kommission herbeigeführt würde. So wäre auch ein Neuaufbau der deutschsprachigen wissenschaftlichen Zeitschriftenliteratur möglich, wenngleich auch in diesem Falle die bisherige Spezialisierung nicht beibehalten werden könnte und man sich vorläufig auf die Herausgabe einiger großer Mitteilungs- und Rezensionsorgane beschränken müßte. Die Zusammenarbeit mit der Schweiz böte die Möglichkeit, einen Teil des Auslandabsatzes für das deutschsprachige Buch wieder zu gewinnen, da der Werbung durch zwei politisch nicht verfehmte Länder weniger Widerstand begegnen würde.

Österreich wird nun viel mehr als früher auf die Spezialliteratur des Auslandes angewiesen sein und das breite Publikum wird weniger Übersetzungen schöngeistiger Bücher ans fremden Sprachen tu sehen bekommen als zuvor. Deshalb muß dem Österreichischen Sortiment so rasch als möglich die Möglichkeit znr Einfuhr ausländischer Bücher geboten werden, selbst wenn der xvn Verfügung stehende Devisenvorrat noch klein sein sollte. Die Bucheinfuhr ist kein Luxusimport; sie schafft erst die Möglichkeit, Bücher zu schaffen, die internationales Niveau haben, exportfähig sind und so wieder Devisen einbringen.

Wenn Regierungsstellen und Buchhandel verständnisvoll zusammenarbeiten, wenn beide eine in Österreich bisher nicht übliche, aber jetzt für unser geistiges Leben notwendige großzügige materielle Grundlage für kulturelle Aufgaben schaffen, kann es gelingen, die große Aufgabe, die dem“ österreichischen Buchhandel zugefallen ist, zu erfülle und aus dem Kulturerbe, das der National* Sozialismus in tödliche Gefahr gebracht hat, soviel als möglich zu retten.

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