Neue Macht der alten Helden

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Sie bringen ein zweites Mal Unglück über Ex-Jugoslawien: KaradzÇic´, Mladic´, Gotovina & Co.

"Radovan, die Tannen verbergen dich, die Wölfe der Romanija schützen dich.

Es fährt ein Mercedes über den Berg Trebevic und darin sitzt Radovan KaradzÇic´."

Strophe in einem serbischen Schlager

Radovan KaradzÇic´ ist ein Phantom: einmal in einer schwarzen Limousine sitzend, einmal als Bauer verkleidet auf einem Pferdewagen, einmal in einer Mönchskutte mit Glatze und langem Bart wollen ihn die Leute in Bosnien gesehen haben - doch weder Tausende sfor-Soldaten noch Hundertschaften an bosnischen Polizisten erwischen ihn. Seit bald zehn Jahren sucht ihn das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid - vergeblich. Der ehemalige Serbenführer in Bosnien-Herzegowina genauso wie der ebenfalls gesuchte General Ratko Mladic´ bleiben unentdeckt. Weniger die in einem populären serbischen Schlager besungenen Tannen, Wölfe und Feen dürften aber KaradzÇic´ & Co. Schutz und Zuflucht bieten als vielmehr die regionale Mafia, die ihren Benzin-, Zigaretten-, Drogen- und Menschenschmuggel mit dem Mythos von KaradzÇic´ als eine Art von Freiheitskampf auszugeben versucht.

Taugenichts KaradzÇic´

Von Heldentum und Freiheitskampf kann keine Rede sein, zeigt sich Milorad Dodik empört: "KaradzÇic´ ist ein Taugenichts, der nur seine Interessen verfolgt und den die Menschen nicht interessieren", geht der ehemalige bosnisch-serbische Premier und Vorsitzende der Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten mit dem flüchtigen Serbenführer hart ins Gericht. Hätte KaradzÇic´ auch nur etwas Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Menschen, sagt Dodik, würde er sich freiwillig stellen und damit "Sympathie erringen, weil der Druck auf das bosnisch-serbische Volk nachlassen würde".

Auch der bosnische Serbe Simo Zaric´ fordert die Angeklagten auf, sich freiwillig zu stellen: "Sind sie unschuldig, so sollen sie dies beweisen, sind sie schuldig, so müssen sie dafür Verantwortung tragen." Das Wort von Zaric´ hat Gewicht: Der frühere Geheimdienstchef der Stadt Bosanski Samac stand vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im Februar letzten Jahres kam er frei - seither engagiert er sich wieder in der Kommunalpolitik.

Sündenbock KaradzÇic´

Diese beiden Politikerstimmen scheinen repräsentativ für das Meinungsklima in Bosnien-Herzegowina. Südosteuropa-Experte Werner Varga hat für das Wiener Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (idm) eine Studie über "Die Zukunft von Bosnien-Herzegowina" erarbeitet. Tenor in den dafür durchgeführten 100 Interviews: Die Befragten halten nichts von der "pauschalen Forderung nach einer Versöhnung der Völker". Entscheidende Voraussetzung für einen Neubeginn sei, so die Studie, dass Verbrecher und Verbrechen bestraft werden. Versöhnung bleibe solange ein "lauwarmes Wort", sagt Varga, "solange sich nicht der Einzelne zu seiner Schuld bekennt". In den Gesprächen mit den Menschen in Bosnien hat Varga die Einsicht gewonnen, wie wichtig es ist, dass ein "Sündenbock" gefunden wird. Varga: "Radovan KaradzÇic´ und Ratko Mladic´ müssen schon deshalb verhaftet werden, weil sehr viele Menschen Schuldgefühle haben, und das Personalisieren von Schuld ist ganz wichtig." Und noch ein Ergebnis von Vargas Befragungen in Bosnien passt punktgenau zum Thema: Die Geiselnahme eines ganzes Volkes wegen der Verbrechen Einzelner müsse aufhören, heißt eine immer wieder laut gewordene Forderung.

Geiselnehmer EU

Mittwoch letzter Woche: Die Außenminister der Europäischen Union kommen in Brüssel zusammen, um über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien zu verhandeln. Zur gleichen Zeit affichieren kroatische Kriegsveteranen auf einer wichtigen Küstenstraße nahe der Adriastadt Zadar ein riesiges Plakat: Es zeigt den vom un-Kriegsverbrechertribunal gesuchten und flüchtigen General Ante Gotovina neben dem Papst. Darunter prangt der Schriftzug: "Ich lege mein Vertrauen in dich, o Herr."

In Kroatien funktioniert die von den Bürgern in Bosnien beklagte Geiselnahme also gleich doppelt: Kroatische Kriegsveteranenorganisationen und andere nationalistische Parteien und Verbände vereinnahmen mit ihrem Pro-Gotovina-Feldzug ganz Kroatien. Und die eu stößt mit ihrer letztwöchigen Verschiebung der Beitrittsverhandlungen wegen der Nicht-Auslieferung Gotovinas auch wieder ganz Kroatien vor den Kopf.

Geiselnehmer Gotovina

"Ein nicht lösbares Dilemma", nennt Franz-Lothar Altmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik (swp) in Berlin das derzeitige Gerangel zwischen eu und Kroatien. Einerseits, sagt Altmann, darf es nicht unterschiedliche Standards für die Länder Ex-Jugoslawiens geben; andererseits ist es mehr als fraglich, wenn eine Person den eu-Annäherungsprozess eines ganzen Landes hinauszögern oder gar stoppen kann. Zudem ist dem Südosteuropa-Fachmann nicht ganz klar: "Beim wem liegt die Beweispflicht? Muss die eu beweisen, dass sich Gotovina in Kroatien versteckt hält oder muss Kroatien glaubhaft machen, dass der Flüchtige gar nicht mehr im Land ist?" Selbst Kroatiens Präsident Stipe Mesic´ - ein vehementer Befürworter von Gotovinas Auslieferung und des un-Tribunals - hat in diesem Zusammenhang gemeint: "Mit der gleichen Logik kann man von Kroatien fordern, Osama Bin Laden auszuliefern."

Gotovina ist nicht der erste kroatische Ex-General, dem Kriegsverbrechen vorgeworfen werden und an dessen Auslieferung ans Kriegsverbrechertribunal sich die Geister scheiden. 2002 ließ die Haager Anklage gegen den früheren Chef der kroatischen Armee, Janko Bobetko, die nationalistischen Wogen an der Adria hochgehen. Und ein Jahr zuvor hatten über 200.000 Personen an Protestkundgebungen gegen die Strafverfolgung kroatischer Militärs teilgenommen. Beide Male ohne Erfolg: Die Anklage gegen Bobetko wurde nicht zurückgezogen, der 83-Jährige starb aber noch vor Prozessbeginn. Und trotz der zahlreichen Solidaritätsdemonstrationen wurden auch General Mirko Norac und andere in Rijeka vor Gericht gestellt und verurteilt.

Ein besonders lauter Knackpunkt der Auseinandersetzung zwischen Kroatien und dem Jugoslawien-Tribunal ist die "These der gleichen Schuld" zwischen Serben und Kroaten. Es könne nicht angehen, meldete sich zu diesem Thema der Erzbischof von Zagreb, Kardinal Josip Bosanic´, lautstark zu Wort, den Teufel und dessen Opfer auf dieselbe Anklagebank zu setzen.

Verteidiger Gotovina

Der "Vaterländische Krieg" war ein "Verteidigungskrieg", beschreibt Predrag Jurekovic´ die Meinung unter den Kroaten - und der Balkan-Experte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie Wien fügt hinzu: "Und diese Meinung teilen auch die nicht nationalistisch gesinnten Kroaten." In diesem "gerechten Krieg", fährt Jurekovic´ mit seiner Beschreibung der Stimmungslage in Kroatien fort, "wurden Verbrechen begangen" - "soweit wird das heute allgemein akzeptiert". Jedoch das Den-Haager-Tribunal-Prinzip der "Kommandoverantwortung", wonach auch und vor allem die Truppen- bzw. Armeeführung zur Rechenschaft gezogen wird, stoße nach wie vor auf große Ablehnung.

Jurekovic´ kann sich vorstellen, dass die harte eu-Haltung gegenüber Kroatien positive Auswirkungen auf die Kooperationswilligkeit Serbiens hat. Er hofft aber vor allem, dass die Europäische Union eine "Exit-Strategie" für Kroatien im Ärmel hat, sollte Gotovina unauffindbar bleiben - "alles andere wäre sehr schlecht!"

Was Gotovina oder KaradzÇic´ oder Mladic´ erwartet, sollten sie sich stellen oder gefangen genommen werden, hat Slavenka Drakulic´ in ihrem gerade mit dem "Leipziger Buchpreis" ausgezeichneten Buch "Keiner war dabei" beschrieben: "Und die Männer, die für Jugoslawiens Zerstörung und die vielen Opfer verantwortlich sind, leben heute brüderlich und einig und im Luxus (im Tribunal-Gefängnis in Scheveningen; Anm.). Ihr Dasein in der Haft ist die größte Antikriegsdemonstration, nur daß sie zu spät kommt. Diese kartenspielenden, kochenden, tv-konsumierenden sympathischen Jungs verspotten all jene, die sie daheim einst zu ernst genommen haben. Sie machen alle lächerlich, die ihren Befehlen gefolgt sind..."

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