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Neue „Überschwemmungsgefahr“

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Das Ausmaß der Produktion von Milch in Österreich ist immer weniger ein Problem der angemessenen Versorgung der Bevölkerung, sondern in einem steigenden Umfang eine Frage der Belastung des Fiskus geworden. Je mehr Milch produziert wird, um so nachhaltiger muß sich der Staat auf Grund der gegebenen Rechtslage mit Subventionen engagieren. Wenn die Erzeugung über den bei Milch einigermaßen unelastischen Binnenbedarf hinausgeht, besteht lediglich die Chance, den Anbotsüberhang zu exportieren beziehungsweise in beiden Fällen transformiert in speicherbare Produkte (Butter u. ä.) auf Lager zu nehmen, wobei es der Staatssäckel ist, der die Rechnung zu zahlen und die Kosten der Kapitalbindung durch Lagerung von Milchderivaten zu übernehmen hat.

Die drohende „MUchnot“

Ebenso wie in Österreich besteht auch in anderen Ländern ein Uberanbot an Milch und Milchderivaten, das sich zum Beispiel als „Butterberg“ anzeigt. Die Folge ist eine internationale Tendenz zum Verfall der Preise von Milchprodukten.

Einzelne Bauernführer, vor allem in südlichen Regionen unseres Landes, haben nun neuerliche und massive Forderungen in Richtung auf ein „Anheben“ des Abnahmepreises ab Hof für Milch gestellt. In einer bemerkenswerten und außerordentlich staatsmännischen Weise hat der Landwirtschaftsminister unseres Landes, selbst Bauernvertreter und Bauer, den ihm ungebührlich scheinenden Forderungen ein Nein entgegengestellt. Nicht etwa, weil die Forderungen von den Vertretern einer Quasi-Partei kommen, mit der die ÖVP zuweilen zu konkurrieren hat, sondern weil sie derzeit einfach unerfüllbar sind.

Die Kosten der Erhöhung des Abnahmepreises für Milch bewegen sich auf Bundesebene im Bereich von „nur“ einer Milliarde, wenn man eine Erhöhung des Abnahmepreises um 50 Groschen annimmt. Zu den bisherigen volkswirtschaftlich unbilligen Forderungen unterschiedlicher Gruppen an die Staatskassen, Forderungen, die allmählich, wenn sie verdichtet sind, den Charakter von wirtschaftlichem Hochverrat annehmen, falls sie nicht von Naivität einzelner Politiker zeugen, kommen jetzt noch die Forderungen einzelner radikaler Bauernführer. Wir betonen: nur einzelner. Die schwarze Fahne des Bundschuh wird nicht freiheitsbewußten, ihrer elementaren Rechte beraubten Bauern vorangetragen, sondern Bauern-„Rebel-len“, die indirekt neue Subventionen wollen.

Ein Großteil der bäuerlichen Forderungen, deren Erfüllung bisher noch zurückgestellt werden mußte, ist sachlich und vor allem menschlich berechtigt und liegt auf der Linie eines unbedingt geboten erscheinenden Einkommens- Nachziehveriahren der bäuerlichen Produzenten. Es widerspräche dem Prinzip nationaler Solidarität, wollte man das relative Gleichziehen der Bauern mit den Angehörigen anderer Berufsgruppen vorweg ablehnen, ebenso wie es unsinnig ist, von „dem“ Bauern zu sprechen und etwa einen mit Luxusauto und ähnlichen „Produktionsmitteln“ ausgestatteten Großbauern als typischen Bauern zu klassifizieren und mit seinen Forderungen auch jene der kleinen Bauern abzulehnen. Es gibt in den verkehrsfern gelegenen Bauerndörfern noch echte Not, subproletarische Verhältnisse. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Milch sind bei den meisten Hörndlbauern wesentliche Posten im Haushaltsbudget und oft die einzigen laufenden Geldeinnahmen. Das sollten manche und lediglich mit Witzen argumentierende Nicht-Bauern bedenken.

Wer bezahlt das?

Anderseits: wer soll die Forderung weniger Bauernführer, den Abnahmepreis der Milch radikal zu erhöhen, tatsächlich bezahlen?

Variante I; Die Letztverbraucherpreise wurden erhöht. Der Zahler ist der Konsument. In diesem Fall werden alle, die etwa, weil sie Kleinkinder haben und Milch kaufen müssen, die Leidtragenden sein, da ihre Nachfrage nach Milch eine starre ist und sich nicht oder nur unzureichend an die Preise anpassen, das heißt vermindern kann. Folgewirkungen:

• Die betroffenen Eltern erheben die Forderung nach Ausgleich der nicht abwälzbaren Mehrbelastung über die Kinderbeihilfen, deren Erhöhung verlangt wird. Zahler ist In diesem Fall der Kinderbeihilfeausgleichsfonds. Sind dessen Mittel erschöpft, müssen die Arbeitgeber, die den Fonds mit Beiträgen dotieren, mehr zahlen und können die Mehrzahlung, die überdies steuermindernd ist, als Betriebsausgabe auf die Preise fortwälzen.

• Diejenigen, für die die Milch kein „Volksnahrungsmittel“ darstellt, reduzieren den Konsum von Milch und ihren Nebenprodukten.

Variante II: Der Staat zahlt zumindest einen Teil der Erhöhung des Abnahmepreises. Wo sind aber die Mittel angesichts einer Budgetsituation 1965, in der als Folge geradezu perverser und zeitweilig medizinisch-dummer, fiskalisch Jedoch ausgabewirksamer Forderungen ohnedies MUliarden im Budget fehlen? Haben sich das die gewissen Lizitationsräte, die es auch unter den Bauernführern gibt, überlegt? Offenkundig und zu ihrer Ehre sei es angenommen, ist eine solche Überlegung nicht angestellt worden, schon deswegen nicht, weil man vermuten kann, daß wegen der arbeitsmäßigen Belastung im Sommer Zeitungen kaum gelesen werden — ausgenommen Illustrierte.

Die große Flut

Wie groß der Übergang an überschüssiger Milch bereits ist, zeigt sich in der Entwicklung der Produktion von Milchderivaten, für die freilich mit Müh und Not immer wieder neue Absatzchancen gefunden worden sind. Während an Trinkmilch 1962 noch 583.000 Tonnen verkauft wurden, ist der Absatz 1964 leicht auf 582.000 Tonnen abgesunken, also stabil geblieben. Die Milchproduktion ist dagegen im Vergleichszeitraum um 2,3 Prozent gestiegen (1964: 1,822.000 Tonnen). An Kondensmilch wurden 1962 3870 Tonnen, 1963 5100 Tonnen und 1964 5500 Tonnen erzeugt (wenn man nicht sagen will: mußten zum Teil erzeugt werden). Die Produktion von Vollmdlchpulver stieg von 11.800 Tonnen (1962) auf 17.200 Tonnen (1963), die von Magermilch von 6300 Tonnen (1962) auf 13.700 (!) Tonnen im Jahre 1964. Ähnlich ist es bei Butter (34.000 auf 35.200 Tonnen) und bei Käse (28.000 auf 30.700 Tonnen).

Wenn den drohend gestellten Forderungen, den Abnahmepreis von Milch zu erhöhen, nachgegeben wird, kann es zu einem Zusammenbruch des Milchmarktes kommen, falls nicht kostspielige und von der ganzen Bevölkerung zu tragende Gegenmaßnahmen getroffen werden. Auf diesen Tatbestand hat der Minister nachdrücklich und mit einer für einen Interessentenvertreter bemerkenswerten Tapferkeit hingewiesen.

Da der Staat nicht oder nur Bruchteile der gestellten Forderungen aus eigenen Fonds honorieren kann, müßten die Preise für Milch und Milchprodukte neuerlich erhöht werden. Weil ein binnen kurzer Zeit nochmals erhöhter Milchpreis von vielen als unzumutbar empfunden würde —i die Milch hat bereits einen „kritischen“ Preis —, käme es wahrscheinlich zu einer wenn auch geringen Verringerung der Nachfrage.

Sinnigerweise muß der Staat aber für die produzierte Milch in jeder Menge Subvention leisten, auch für die zusätzlich in Form von Butter, Käse usw. auf Lager gelegten Milchabkömmlinge. Im angenommenen

Fall steigen die Subventionsleistungen deswegen, weil durch eine erzwungene und den Käufern ganz oder teilweise angelastete Milchpreiserhöhung die Milchproduktion erhöht würde. Jedes Steigen des Abnahmepreises für Milch führt zu einer in längerer Zeit wirksamen Steigerung der Produktion (=: Gewinn als Steuerungsmittel unternehmerischen Verhaltens). Daher käme es zu einem grotesken gegenläufigen Prozeß. Wegen eines höheren Milchpreises, zwar weniger Nachfrage, dafür mehr Anbot und mehr Subventionen.

Die Bevölkerung, einschließlich der bäuerlichen, muß dem Landwirtschaftsminister dafür dankbar sein, daß er in der gegenwärtigen Situation real nicht erfüllbaren Forderungen widerstanden hat. Trotz des Risikos, daß dieser Widerstand seiner Partei einige Stimmen kosten kann. In einem Verhalten, wie es Dr. Schleinzer gezeigt hat, liegt Heroismus. Das sollte gerade in diesen Tagen anerkannt werden, in denen nicht wenige Parteipolitiker zuerst ihre Partei und dann die Interessen des Vaterlandes sehen und nicht selten zu primitiven Vereinsmeiern geworden sind.

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