Neuer Zündstoff für nächste Balkan-Krise

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Im Kosovo können sich die Albaner-Fraktionen auf keinen gemeinsamen Präsidenten einigen. Hintergrund ist der Streit zwischen Moderaten und Radikalen in der ,,albanischen Frage".

Jetzt hat sich sogar NATO-Generalsekretär George Robertson eingeschaltet und die politischen Führer der Kosovo-Albaner aufgerufen, den Weg zur Bildung demokratischer Institutionen frei zu machen. Robertson forderte die Albaner-Führer auf, Hindernisse zu beseitigen und das Kosovo zum Musterbeispiel für ein "offenes und demokratisches Land" zu machen. Eine Überbrückung der Unterschiede zwischen der Demokratischen Liga des Kosovo und der Demokratischen Partei sowie ihren Führern, Ibrahim Rugova und Hashim Thaci, ist aber trotzdem nicht in Sicht. Thaci will für sich den Ministerpräsidentenposten, Rugova weigert sich nach wie vor entschieden.

Diesen Streit zu verstehen, ist nur möglich, wenn man die generelle Brisanz der Rolle der Albaner auf dem Balkan in den Blick nimmt. Nur einen Tag nach den Kosovo-Wahlen am 17. November des vergangenen Jahres schrieb die auflagenstärkste Zeitung des Kosovo Koha ditore: ,,Und jetzt in Richtung Eigenstaatlichkeit". In Mazedonien, wiederum, wo von den zwei Millionen Einwohnern fast 600.000 Albaner leben, stehen die Zeichen erneut auf Sturm. ,,Die in der neuen Verfassung garantierten Rechte für die Albaner enden beim ersten Checkpoint der mazedonischen Armee", sagte der politische Führer der mazedonischen Albaner, Arben Xhaferi. Er warnte vor einem Wiederaufflammen der Kämpfe.

Viertgrößtes Volk

Neben dem Presevo-Tal, in Südserbien, mit seinen rund 100.000 Albanern, ist Montenegro, wo ebenfalls eine starke albanische Minderheit lebt, ein weiterer neuralgischer Punkt. Montenegros Präsident Milo Djukanovic´ ist fest entschlossen, den Weg der Unabhängigkeit von Belgrad zu beschreiten und die montenegrinischen Albaner, die diese Politik unterstützen, bilden seine wichtigste ,,strategische Reserve". Sollte Montenegro tatsächlich unabhängig werden, dann könnte dies als grünes Licht für die Unabhängigkeit Kosovos, also praktisch für die Gründung eines zweiten albanischen Staates auf dem Balkan, interpretiert werden. Die Karten müssten dann in der ganzen Region neu gemischt werden und die EU befürchtet eine weitere Destabilisierung des Balkans mit Auswirkungen auf den ganzen Kontinent.

Vor allem die demographische Stärke der Albaner wird im Westen oft verkannt, sie sind nämlich nach den Serben, Griechen und Bulgaren mit sieben Millionen das viertgrößte Volk des Balkans. Nach fast fünf Jahrhunderten osmanischer Herrschaft wurden nach den Balkankriegen 1912/13 auf der Londoner Botschafterkonferenz die heutigen Grenzen festgeschrieben, die große Teile von mehrheitlich albanischen Siedlungen voneinander trennen. Gerade diese Zerstückelung des Siedlungsraumes hatte bei den Albanern sehr früh die Vision von einer Vereinigung (Bashkim) aller Albaner in einem albanischen Staat auf dem Balkan entstehen lassen. Diese Idee lebte fort und findet heute bei der geistigen Elite die stärkste Unterstützung.

So behauptet der kosovo-albanische Schriftsteller Rexhep Qosja in seinem Buch ,,Strategie der nationalen Vereinigung" mit Bezug auf die geschichtliche Entwicklung, dass es ,,objektiv keine Albaner Kosovos, Albaner Mazedoniens, Albaner Montengros und Albaner Südserbiens, sondern nur Albaner" geben könne. Für ihn liegt klar auf der Hand, dass sich ein unabhängiges Kosovo früher oder später mit dem albanischen Mutterland vereinigen würde.

Notfalls mit Gewalt

Derzeit gibt es in der Hauptsache zwei Strömungen in den Auffassungen zur albanischen Frage: Die erste, moderatere, sieht die nationale Vereinigung der Albaner als langwierigen Prozess im Gefolge der Demokratisierung der Beziehungen unter den Albanern und den Beziehungen unter den Balkanländern. Zu dieser Strömung zählt die Mehrzahl der Intellektuellen und das ist auch die Haltung des albanischen Mutterlandes. Albanien hat es bisher verstanden , sich sowohl im Kosovo als auch in Mazedonien aus den Krisen und Kriegen herauszuhalten.

Die zweite Strömung wird von Rexhep Qosja und anderen Intellektuellen des Kosovo verkörpert. Sie setzen sich für radikale Lösungen ein. Nach ihrer Auffassung ist die Vereinigung der Albaner nicht nur ,,gandhisch", sondern auch mit Gewalt zu erreichen. Dieses Dilemma bildet auch den Hintergrund des Konfliktes zwischen dem moderaten Ibrahim Rugova und seinen Widersachern im Kosovo-Parlament, den ehemaligen UÇK-Kommandanten Hashim Thaci und Ramush Haradinaj, die den jetzigen Status des Kosovo nur als eine Zwischenlösung betrachten und das Kosovo sogar als ,,Piemont" eines künftigen albanischen Staates sehen.

Das Zünglein an der Waage in dieser Auseinandersetzung könnten die serbischen Abgeordneten im Kosovo-Parlament werden. Ihre Unterstützung wird von der Bedeutung und dem Ausmaß an Zusicherungen abhängen, die ihnen die jeweilige albanische Fraktion anbietet. Welche der beiden Seiten aber schlussendlich die Oberhand gewinnt, wird wohl entscheidend von den Interventionen und Unterstützungen seitens der Europäischen Union und den USA abhängen. Der Aufruf des NATO-Chefs zur Konfliktbeilegung wird dabei erst der Anfang gewesen sein.

Der Autorist Balkan-Korrespondent der "Kleinen Zeitung".

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