Neues Sammelbecken von Schwarz und Grün

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Die Neos werden bei der Nationalratswahl am Stimmzettel stehen. Vorsitzender ist Ex-ÖVP-Mitarbeiter Matthias Strolz. Eine Partei und ihr Spitzenkandidat im Porträt.

Im Wahlkampfbüro der Neos herrscht rege Betriebsamkeit. Seit kurzem ist der Antritt der 2012 gegründeten bürgerlich-liberalen Partei bei der Nationalratswahl am 29. September fix. An der Wand hängt ein Plakat mit dem Konterfei von Matthias Strolz. "Macht Politik statt Machtpolitk“, steht da. Ein fester Händedruck, ein flapsiger Scherz und der Spitzenkandidat der Neos marschiert voraus in sein Büro. Am Handgelenk trägt der 40-jährige ein Neos-Armband. Die Ärmel seines hellblauen Hemdes hat er zurückgekrempelt. "Wir sind eine post-ideologische Bewegung“, erklärt Strolz. Bei den Neos tummeln sich ehemalige Schwarze, Grüne, Leute aus dem Liberalen Forum und von den JuLis (Junge Liberale). Eigenverantwortung sei der verbindende Wert. Was denn die Neos von den etablierten Parteien unterscheidet? "Wir sind eine Bürgerbewegung.“ 2000 Aktive zählen zum inneren Kreis. Man verstehe sich als Sprachrohr der jungen Generation. "Wir fragen uns: Wird es den Jungen morgen so gut gehen wie den Älteren heute? Werden unsere Kinder faire Chancen haben?“ Die Neos sprechen vor allem urbane und gebildete Schichten an. In Wien ist die Partei am besten aufgestellt. Das neue Bündnis wird gerne als elitär beschrieben. "Wenn es sich nicht gerade um einen Arbeiteraufstand handelt, ist es logisch, dass eine Gruppe Intellektueller ein Parteiprogramm entwickelt“, wehrt Strolz das Eliten-Image ab.

Wahlziel: Fünf Prozent

Bisher gibt es bei den Neos keine Skandale, keine prominenten Aushängeschilder. Kräftige Finanzspritzen erhalten sie von Ex-Strabag Chef Hans Peter Haselsteiner, der einst für das Liberale Forum politisch aktiv war und später das BZÖ verdeckt sponserte. Die Neos hingegen betonen, jede Parteispende auf ihrer Website offenzulegen. Noch zu Jahresbeginn hatten sich die Neos als Wahlziel zehn Prozent der Wählerstimmen gesteckt. Derzeit würden sie laut Gallup-Umfrage bei knapp drei Prozent liegen. Inzwischen streben sie die Fünf-Prozent-Marke an - für den Einzug in den Nationalrat sind vier erforderlich. Das Team Stronach empfinden die Neos nicht als große Konkurrenz: "Stronach wird viele Proteststimmen erhalten, dafür sind wir zu differenziert. Mit Halbsätzen wie, Zurück zum Schilling‘ können wir nicht dienen“, so Strolz. Den meisten Zulauf erhoffen sie sich von abtrünnigen ÖVP-Wählern. "Wir wollen jene erreichen, die sagen: Ich ertrage diese Betonierer-Fraktion in der Bildungspolitik nicht mehr.“ Strolz erinnert daran, dass schon 2001 die damalige schwarze Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer ein neues Lehrerdienstrecht angekündigt hatte. "Nun sagt Beamtengewerkschafts-Boss Fritz Neugebauer, er habe noch drei Jahre Zeit. Das ist zynisch.“ Die Volkspartei empfindet der ehemalige parlamentarische Mitarbeiter des ÖVP-Klubs als "ausgebrannt und nur mehr am Machterhalt interessiert“. "Politiker sollten maximal drei Perioden im Parlament sitzen. Hätte Neugebauer vor 15 Jahren gewusst, dass er noch einmal auf den Arbeitsmarkt muss, hätten wir uns in der Bildungspolitik so manches erspart.“

Die Politik beschäftigt den Organisationsentwickler und Politikberater Strolz schon lange: Als 23-Jähriger wurde er mit der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft ÖH-Vorsitzender an der Uni Innsbruck. "In dieser Funktion habe ich mehr gelernt als im Politik- und Wirtschaftsstudium.“ In seinem früheren Job als Organisationsentwickler hat Strolz Schulen in der Strategieentwicklung begleitet und war an der "Lehrerbildung neu“ beteiligt. Die Neos treten für eine Schulautonomie ein. "Die Wege zu bestimmten Kompetenzstandards möchten wir den Schulen frei stellen. Da vertrauen wir auf die Vielfalt der Schulen und den Wettbewerb der pädagogischen Konzepte“, erklärt Strolz.

Keine ideologische Bildungspolitik

Zudem fordern die Neos für den urbanen Raum ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr mit Fokus auf Sprachförderung. "Dass wir Migrantenkinder in Sonderschulen sammeln, ist eine brutale Unterlassungssünde unserer Gesellschaft“, so Strolz. Ob er seine Kinder in eine Ganztagsschule mit Meidlinger Arbeiterkindern geben würde? "Ich müsste mir die jeweilige Schule anschauen.“ Seine Tochter besucht eine öffentliche Volksschule. "Sofern diese gut funktionieren, bevorzuge ich öffentliche Schulen, weil ich Bildung für eine wichtige Aufgabe des Staates halte.“

Sparen möchten die Neos beim Staat. "Derzeit legen wir ein Drittel des Budgets nur für Staatsschulden-Zinsen und Pensionszahlungen zur Seite. Das ist ein Verbrechen an den Jungen.“ Die Idee "Mehr Netto vom Brutto“ haben sich die Neos von der liberalen FPD in Deutschland abgeschaut. Außerdem fordern sie eine Auszahlungsstelle für sämtliche Sozialleistungen: "Derzeit profitieren von Sozialleistungen zu oft jene, die sich im Dschungel der Förderungen auskennen, nicht jene, die es wirklich bräuchten.“ Ein bedingungsloses Grundeinkommen hält Strolz für naiv: "Das können wir uns nicht leisten - und es geht von einem falschen Menschenbild aus.“ Vor einigen Monaten war sich die Partei noch unklar darüber, ob gleichgeschlechtliche Paare heiraten und Kinder adoptieren dürfen sollen. "Das sollen sie dürfen“, ist Strolz nun überzeugt. "Familie ist dort, wo Menschen in Liebe zueinander Verantwortung übernehmen. Dazu braucht es nicht einmal Kinder.“ Dem Staat könne nichts besseres passieren, als dass sich Solidargemeinschaften bilden. Pink ist die Farbe der Partei. Nichts täte der Politik so gut wie mehr Frauen, ist Strolz überzeugt. Eine Frauenquote unterstützen die Neos nicht. "Im Vorstand haben wir auch so von elf Leuten fünf Frauen. Von unserer kulturellen Tiefenstruktur her sind wir neben den Grünen sicher die weiblichste Partei“, meint er.

Wahlfreiheit der Familien

Auch beim Thema Kinderbetreuung wollen sich die Neos auf keine Ideologie festlegen: Eltern sollten zwischen verschiedenen Angeboten wählen können. Strolz selbst hat keinen Vater-Monat in Anspruch genommen. "Aber einen Elternsprechtag habe ich noch nie versäumt“, sagt der dreifache Familienvater. Die Wiener Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger, Mitbegründerin von schwarzgruen.org, wiederum ist Mutter zweier Kinder, ihr Mann arbeitet Teilzeit. Kennengelernt haben sich Strolz und Meinl-Reisinger beim Europäischen Forum Alpbach. Die "Vereinigten Staaten von Europa“ sind ein Ziel der Partei. Strolz setzt seine Hoffnungen in das europäische Selbstverständnis der Generation Erasmus. Zu oft werde Europa zum Sündenbock gemacht. "Die Menschen müssen verstehen, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind. Wir müssten uns dazu entscheiden, auch eine Chancengemeinschaft zu sein“, bekräftigt er.

Als Kind wollte der Vorarlberger Lehrer werden. Nun möchte er zehn Jahre lang Politik machen. "Auch wenn die Parteigründung eine Lebensentscheidung war, die mich und die Familie zeitlich und materiell an die Grenzen bringt.“ Danach plant er eine spirituelle Phase des Rückzugs, möchte einen Roman schreiben. Eines seiner Sachbücher trägt den Titel "Warum wir Politikern nicht trauen“. Warum die Wähler den Neos trauen sollten? "Das werden die Wähler entscheiden. Glaubwürdigkeit entsteht im Auge des Betrachters.“

Sollten die Neos den Einzug in den Nationalrat nicht schaffen, werden sie bei den Europawahlen 2014 und bei den Wien-Wahlen 2015 antreten. Bevor es aber in die heiße Phase dieses Wahlkampfs geht, gönnt sich Strolz noch eine Woche Urlaub mit der Familie im Burgenland.

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