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Neutralität und Staatsschutzgesetz

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Meinen Ausführungen möchte ich voransetzen: „Neutral zu sein und Neutralität zu üben, bedingt eine starke, gefestigte Gesinnung. Fehlt diese, so wird der Neutrale zuni Spielball.“

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Meinen Ausführungen möchte ich voransetzen: „Neutral zu sein und Neutralität zu üben, bedingt eine starke, gefestigte Gesinnung. Fehlt diese, so wird der Neutrale zuni Spielball.“

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I.

Der Begriff „Neutralität“, der vor mehr als hundert Jahren entstanden ist, kann heute, infolge der großen politischen Veränderungen in den Staatsführungen und Staatssystemen, aber auch wegen des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschrittes der Menschheit, wohl nicht mehr dieselbe Bedeutung und Auslegung finden wie einstmals. Meines Erachtens gibt es heute keine absolut verläßliche und einzig gültige, allgemein anerkannte Darstellung weder des Neutralitätsrechtes noch der Handhabung der Neutralität.

Um so schwieriger ist es deshalb, sich in Fragen der Neutralität richtig zu verhalten. Oesterreich hat als neutraler Staat noch wenig Erfahrung. Das österreichische Volk hat sich mit dem Gedanken der Neutralität sehr befreundet, aber noch nicht eingehend vertraut gemacht. Es soll daher nicht nur Aufgabe der Regierungsfunktionäre sein, die Problematik der Neutralität aufzuzeigen, sondern es wird nützlich sein, auch in Presse und Rundfunk, in Parteienverhandlungen und sonstigen Aussprachen auf breitester Ebene dieses Thema immer wieder zu erörtern. Nur durch das Aufzeigen aller Aspekte und Folgerungen, die für Oesterreich als neutraler Staat entstehen können, wird das Interesse aller wachbleiben und der Staatsbürger, dessen Denken in den letzten Dezennien verschiedenen Formungen unterworfen wurde, eine Aeue Ausrichtung erfahren,

t „Bis zum ersten Weltkrieg haben jene Staaten, dię/ sich zu einer dauernden Neutralität verpflichtet hatten, eine besondere Wertschätzung genossen. Die Sorge für Frieden, Ordnung, Freiheit und ausgleichende Wirkung in den internationalen Angelegenheiten wurde ihnen anvertraut.“ (Univ.-Prof. Dr. Verdroß in einem Vortrag in Zürich im Frühjahr 1957.)

Die Ereignisse im ersten Weltkrieg und die Erfahrungen aus ihm ließ die Bewertung der Neutralität wieder etwas in den Hintergrund fallen. Es trat die Idee der kollektiven Sicherheit stark hervor. Die Friedenshoffnung war der Völkerbund. Er richtete sich in der neutralen Schweiz ein. Der italienisch-abessinische Krieg bewies deutlich das Versagen des Völkerbundes. Aber auch schon vorher erlebte die Welt Ereignisse kriegerischer und machtpolitischer Natur, die der Völkerbund nicht zu bezwingen vermochte. Die Neutralität gewann wieder an Bedeutung.

Nicht nur die Schweiz blieb während des zweiten Weltkrieges neutral. Spanien, Portugal, die Türkei, Schweden, Irland und viele südamerikanischen Staaten verhielten sich ebenfalls neutral. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges waren es im besonderen die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Großbritannien, die wieder der kollektiven Sicherheit huldigten, eine Charta der Friedenssicherung aufstellten, auf Grund der die „Vereinten Nationen“ aufgebaut wurden. Aber trotz Vereinter Nationen hat es seither wieder Kriege und Angriffshandlungen gegeben. Es bildeten sich Blöcke. Machtzusammenballung im Osten, ebenso auch im Westen. Im Ernstfall handelt jede Großmacht nach ihrem Gutdünken. Die Mitgliedschaft zu den Vereinten Nationen mag bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger hemmend wirken. Vor allem läßt sich keine Großmacht des einen Blockes, wenn auch Mitglied der Vereinten Nationen, von einer Großmacht des anderen Blockes, obwohl auch diese Mitglied der Vereinten Nationen ist, bevormunden oder überwachen.' Die Abrüstungsverhandlungen führten noch zu keinem Ziel. Wird nach einem ausgebrochenen Konflikt ein Waffenstillstand erzielt, so bedienen sich die

Vereinten Nationen zur Ueberwachung und Gewährleistung desselben neutraler Staaten und deren Truppen (Schweiz, Indien, Finnland, Schweden). Der Neutralitätsgedanke erhielt also wiederum neuen Auftrieb, weil die Schwerfälligkeit und die nur beschränkte Handlungsfähigkeit des Völkerbundes unserer Zeit, der Vereinten Nationen, deutlich zutage trat.

Es geht nun um die Festlegung des Begriffes und um die Auslegung der Neutralität in unserer Zeit. So wie all das, was Leben in sich trägt, wächst und sich fortbildet, also nicht stehenbleibt, so bildet sich auch die Neutralität fort, denn'sie wird von lebenden Wesen getragen, die wohl vielfältig sind, in ihrer Gesamtheit als Staat aber doch eine fortschrittliche Einheit darstellen. Oesterreich hat sich zu einer immerwährenden Neutralität bekannt. Wenn wir Inhalt und Zweck der österreichischen Neutralitätserklärung analysieren, kommen wir zwangsläufig zu einer neuen Auffassung der Neutralität, wenn auch noch gepaart mit alten Begriffen.

II.

Warum hat sich Oesterreich aus freien Stücken zur immerwährenden Neutralität bekannt? Um seine Unabhängigkeit nach außen dauernd behaupten zu können und um den Schutz der Unverletzlichkeit seines Gebietes zu gewährleisten. Oesterreich wird die immerwährende Neutralität mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen (Art. I, Abs. 1 BV-Gesetz vom 26. Oktober 1955).

Oesterreich wird zur Sicherung dieser Zwecke, nämlich seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Schutz der Unverletzlichkeit seines Gebietes, in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen (Art. I, Abs. 2 BV-Gesetz vom 26. Oktober 1955).

Während nun der Absatz 1 des Artikels I der österreichischen Neutralitätserklärung von der immerwährenden Neutralität, die mit allen ?u

Gebote stehenden Mitteln erhalten und verteidigt wird, spricht, besagt der Absatz 2, was zur Sicherung dieser Zwecke auf militärischer Seite zu beachten ist, besser gesagt, nicht getan und geduldet werden darf. Meines Erachtens ist auf Grund der Satzung des Abs. 2 nicht abzuleiten, daß der Absatz 1 eingeschränkt wird. Manche tun dies aber und sprechen konstant immer nur von einer militärischen Neutralität Oesterreichs. Andere wieder möchten mit der Betonung „Aktive Neutralität" der Gefahr des „Neutralismus“ entgegentreten.

Der Neutralitätserklärung des Parlaments lag nicht zuletzt das Moskauer Memorandum vom 15. April 195 5 zugrunde. Es muß doch allgemein bekannt sein, daß eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Zustimmung zum Staatsvertrag seitens der Sowjetunion die Zu

Sicherung unserer Regierungsdelegation war, sich für die Statuierung einer Neutralität, ähnlich der der Schweiz, im österreichischen Parlament einzusetzen.

Für mich war es von allem Anfang an klar, daß es sich nicht nur um eine rein militärische Neutralität handeln kann, sondern auch bis zu einem gewissen Grade politische Neutralität des Staates. Ich brauche es nicht zu verbergen, und man möge es mir nicht fehldeuten, wenn ich heute darauf hinweise, schon in den Jahren 1947 und 1948, gelegentlicher Diskussionen im OeVP-Klub des Parlaments, für eine Neutralitätspolitik eingetreten zu sein. Dabei betonte ich stets, es müsse jedermann klargemacht werden, Neutralitätspolitik habe niemals etwas mit Kapitulation vor dem Kommunismus zu tun. Auch am außerordentlichen Parteitag der Oester- reichischen Volkspartei am 18. Mai 195 5 in Wien trat ich vor dem versammelten Forum für die Aufnahme von Neutralitätsartikeln in die Bundesverfassung ein, warnte aber gleichzeitig vor der Gefahr einer Gesinnungsneutralität.

Politische Neutralität hindert keineswegs, „aktiv neutral“ zu sein. Der passiv Neutrale sondert sich ab, zögert, ist unentschlossen und daher kein wertvoller Partner in der Völkergemeinschaft. Oesterreich ist Mitglied der Vereinten Nationen und des Europarates. Oesterreich kann in diesen Organisationen als objektiver, unvoreingenommener Partner, der nach allen Seiten korrekte Verbindungen pflegt, nützliche Arbeit für Verständigung und Frieden leisten, wenn es seine Parteinahme von seiner Aufgabe als neutraler Staat ableitet (Oesterreich kann gemäß Sonderabkommen, das mit Rücksicht auf seine Neutralität erforderlich war, weder zu Zwangsmaßnahmen noch zu militärischen Maßnahmen herangezogen werden).

Die Streitfrage lautet also: „Ist die immerwährende Neutralität Oesterreichs eine nur rein militärische oder handelt es sich um mehr?“

Immerwährend ist gleichbedeutend mit dauernd. Dauernde Neutralität ist aber doch etwas arideres als gewöhnliche Neutralität ihi Sihrie des herkömmlichen Begriffes, nämlich im Kriege neutral zu sein.

Ein hervorragender Völkerrechtslehrer an der Universität in Bern unterscheidet die gewöhnliche und dauernde Neutralität, obzwar sich der Inhalt beider Rechtsbegriffe teilweise überschneidet, aber nicht deckt, wie folgt:

„Unter gewöhnlicher Neutralität versteht man den Rechtszustand eines Staates, welcher nicht an einem zwischen anderen Staaten ausgebrochenen Krieg teilnimmt. Ihre Voraussetzungen sind daher: a) Bestehen eines Krieges im Sinne des Völkerrechtes, b) Nichtbeteiligung eines Staates an diesem Kriege. Festzuhalten ist, daß die gewöhnliche Neutralität keine Rechte und Pflichten in Friedenszeiten schafft.

Die dauernde Neutralität besteht darin, daß ein Staat sich verpflichtet, dauernd neutral zu sein.

Für den dauernd neutralen Staat bestehen Rechte und Pflichten, und zwar des Inhalts: keinen Krieg zu beginnen und die Neutralität und Unabhängigkeit zu verteidigen (Hauptpflichten). Hierzu kommen sekundäre Pflichten des dauernd neutralen Staates: Alles zu tun, um nicht in einen Krieg h i n e i n g e z o g en zu werden, und alles zu unterlassen, was ihn in einen Krieg hineinziehen könnte. Das h’eißt, er hat im allgemeinen zu vermeiden, Partei zu ergreifen in Konflikten zwischen Drittstaaten. Er ist verpflichtet, eine Neutralitätspolitik zu führen. Die Durchführung dieser Neutralitätspolitik ist eine Sache des freien Ermessens.“

Wenn wir die immerwährende Neutralität ernst nehmen, und das sollen wir, denn sie gereicht zweifellos zum Vorteil Oesterreichs, dann ergeben sich also schon in Friedenszeiten gewisse Pflichten, deren Einhaltung von außerordentlicher Bedeutung ist, um Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Freiheit zu erhalten. Vor allem muß alles unterlassen werden, was geeignet sein könnte, im Falle kriegerischer Handlungen unsere Neutralität zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Der Außenpolitik kommt größte Wichtigkeit zu. Sie ist so zu halten, daß der Staat in keinen Krieg, sei er von wem immer vom Zaune gebrochen, hineingezogen werden kann. Daher dürfen keine Militärbündnisse, Garantieverträge oder Abkommen über kollektive Sicherheit abgeschlossen werdeii. Wir sehen aus all dem. däß in die militärische Neutralität zwangsläufig die politische hineingreift. (Staatliche Maßnahmen humanitären und karitativen Charakters zugunsten der Bevölkerung anderer Staaten oder die Billigung des Staates, daß solche Maßnahmen von Hilfsorganisationen durchgeführt werden — zum Beispiel Ungarn —, sind selbstverständlich keine Verletzung neutraler Außenpolitik.)

Ganz natürlich sind auch auf wirtschaftlichem Gebiet für den dauernd neutralen Staat gewisse Bedingungen gestellt. Er, der Staat, darf keine Bindungen gegenüber anderen Staaten eingehen, welche ihn im Kriegsfälle zu neutralitätswidrigem Verhalten zwingen würden.

Wenn wir nun all das überdenken, so wird es uns auf den ersten Anhieb als „sehr viel verlangt" vorkommen. Ueberlegen wir aber, daß die Einschränkung, die der Staat auf sich" nimmt, der Preis dafür ist, um Unabhängigkeit und Freiheit zu sichern, so erscheint das Opfer klein.

III.

Was kann in Oesterreich getan werden, um die immerwährende Neutralität zu schützen und das Vertrauert aller zu gewinnen? ,

Das Neutralitätsgesetz spricht davon, daß alle zu Gebote stehenden Mittel zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der Neutralität angewendet werden sollen. Man darf die Beobachtung der Neutralität nicht nur dem Außen- und dem Landesverteidigungsministerium allein überantworten. In der innerstaatlichen Verwaltung sind vor allem anderen das Innen- und das Justizministerium dazu berufen.

Wie wäre es, wenn bei der Neugestaltung des österreichischen Strafrechtes, an der zur Zeit gearbeitet wird, folgende Gedanken berücksichtigt würden?

Das österreichische Strafgesetz stammt aus einer Zeit, in der für Oesterreich das Problem der Neutralität noch keine Bedeutung besaß. Nur so ist es zu erklären, daß die Arbeit für fremde Nachrichtendienste, soferne sie dem österreichischen Staat nicht zum Schaden gereichen, nicht unter Strafe gestellt ist. Heute ist aber die Neutralität ein integrierender Bestandteil der Bundesverfassung, und nachrichtendienstliche Arbeit für eine ausländische Macht verletzt die österreichische Neutralität.

Schon in Friedenszeiten spielt die Art der Berichterstattung, die Beeinflussung der Volksmassen und die Nachrichtenübermittlung an fremde Staaten eine beachtliche Rolle. Ganz besonders sei hier an die Berichterstattung durch die Presse, durch Fernsehen, Rundfunk und Film gedacht. Beleidigungen eines anderen Staates, welche über eine Kritik hinausgehen, sind unstatthaft. Der neutrale Staat muß die Möglich- Wer die Zukunft des Dorfes ergründen oder gar beeinflussen will, wird, gut daran tun, von der' Gegenwart aū'sžugeh'ėn: ‘ Wie aber stellt es um die gegenwärtigen Verhältnisse im Dorf? Auf diese Frage läßt sich kaum eine auch nur annähernd allgemeingültige Antwort finden. Tausendfältig wie das Leben selbst ist die Vielfalt der Erscheinungsformen unserer Dörfer geworden. Das stadtnahe und das stadtferne Dorf, das Dorf im Industriegebiet und das Dorf im indü- striearmen Grenzland, das weitab vom Hauptverkehrsweg liegende oder bereits dem Fremdenverkehr erschlossene Bergbauerndorf, und sie alle in ihren unzähligen Variationen sind kaum mehr auf einen einheitlichen Nenner zu bringen.. Eines nur haben sie fast alle schon gemeinsam: sie sind längst keine ausgesprochenen Bauerndörfer mehr.

Während in der allgemeinen Vorstellung das Dorf noch immer weitgehend als bäuerlicher Siedlungs- und Lebensraum gilt, ist in Wahrheit eine gewaltige Umgestaltung im Gange, die bereits spürbare Auswirkungen zeitigt. Die echten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unserer Zeit haben sich ins Dorf verlagert. Hier stoßen nun die verschiedenartigsten Geistes- und Wirtschaftskräfte aufeinander und ringen um ihre Behauptung. Wird es zu einem Uniformierungsprozeß kommen, wie er in der Stadt um sich gegriffen hat? Wird sich der naturgegebene Lebens- und Arbeitsrhythmus des Bauerntums ungestraft vergewaltigen lassen? Noch ist das Ende der Entwicklung unabsehbar.

Feststeht eines: Es' wird — überall, nicht nur in Oesterreich — immer schwieriger, die Landwirtschaft mit ihren besonderen Produktionsbedingungen in befriedigender Weise in die moderne Volkswirtschaft unseres technischen Zeitalters einzubauen. Man versucht darum, auf dem Gesetzesweg einen Ausgleich zu schaffen. Landwirtschaftsgesetze können jedoch nur wirtschaftliche, nicht aber geistig-kulturelle Anliegen erfüllen. Doch auch die allgemeinen geistigen Strömungen unserer Zeit machen vor dem Dorf nicht halt, und wir haben weder das Recht noch die JMacht, in unseren Landgemeinden ein geistiges Ghetto aufzurichten. Volkstums- und keit haben, wenn solche Verletzungen vorkommen, einschreiten - zu können. Er darf ein Aufputschen der Leidenschaften der Volksmassen gegen einen anderen Staat nicht dulden. . (Politische Aufklärung seitens der Regierung für das eigene Volk über Vorgänge im Ausland verletzt die Neutralität keineswegs.)

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