Nibelungentreue steht auf dem Schild el Titel Titel

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Der Nato-Einsatz in Mazedonien zeigt, wo Europa hinkommt, wenn Militärs die erste Geige spielen.

Wollt ihr einen neuerlichen Krieg in Südosteuropa? Nein! Wollt ihr wieder solange zusehen, bis es zu ethnischen Säuberungen kommt, eine Flüchtlingswelle nach der anderen ausgelöst wird, der Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen keine Grenzen mehr kennt? Nein! Wollt ihr, dass die Nato die Sache auf dem Balkan ein zweites Mal in die Hand nimmt, 4.500 Soldaten entsendet, 30 Tage lang Kriegsgerät einsammelt und darauf hofft, der Spuk habe damit ein Ende? Nein! Was wollt ihr dann?

Stopp! Die letzte Frage wurde rund um die Suche nach einer Lösung des Mazedonien-Konflikts nicht mehr gestellt, ja sie kommt im Repertoire europäischen Krisenmanagements schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr vor. Europas Sicherheitspolitik endet seit dem Paradigmenwechsel, den der Kosovo-Krieg ausgelöst hat, mit dem Tetragramm Nato.

Lasst die UNO doch Konferenzen abhalten, Kofi Annan Methusalem und Salomo in einem spielen, gebt beiden Würde, doch keine Macht - die behalten wir uns selbst, und bombardieren und marschieren und intervenieren dort, wo es uns passt. So denkt nicht nur das Nato-Hauptquartier, sondern der Großteil der EU-Regierungen, ganz gleich welcher Couleur. Und wozu noch auf ein UN-Mandat warten, sich mit den Russen und Chinesen herumschlagen, wenn man sich dieses Mandat auch schneller und billiger selber geben kann - und außer ein paar diplomatischen Unmutsäußerungen sowieso keine großen Konsequenzen geschweige denn Sanktionen zu befürchten sind. Im Falle von Tschetschenien und Tibet läuft die Sache ja nur mit anderen Vorzeichen genau so.

Außerdem, was wäre die Alternative zu "Essential Harvest", diesem Mix aus Ernteeinsatz, Sondermüllaktion und Alteisensammlung, den die Nato in Mazedonien gerade durchführt? Welchen besseren Vorschlag machen die "Moraltanten, die auf die Nato schimpfen" (Günther Nenning)? Soll sich die Allianz nicht einmischen und zusehen, wie sich die "temperamentvollen Völkerschaften gegenseitig abschlachten" (derselbe)?

Da sind sie wieder, diese Fragen, die seit dem Kosovo-Krieg mit den Nato-Einsätzen einhergehen, jedem Soldaten und noch mehr ihren Kommandanten bis ganz hinauf an die Spitze und bis hinein in die Ministerbüros quasi als moralischer Beistand ins Feldgepäck gegeben sind. Eigentlich sind es aber gar keine richtigen Fragen, so wenig wie "Friss oder Stirb" richtige Alternativen sind. Vielmehr sind es Scheinfragen, die einen Kriegseinsatz - und nichts anderes findet trotz aller Tarnung der Nato-Invasion als Feriencamp der Heilsarmee gerade in Mazedonien statt - zur humanitären Intervention machen und als Entmilitarisierung verkaufen, wo doch mit dem Aufmarsch Tausender Militärs samt Kriegsgerät das genaue Gegenteil passiert.

Entmilitarisieren hätte bedeutet, alle Möglichkeiten der Konfliktverhütung auszuschöpfen und nicht sofort nach der Nato zu rufen, wo sich doch herumgesprochen haben sollte, dass die Allianz - obwohl sie sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts als sicherheitspolitische Dienstleistungsorganisation neuen Typs vermarktet - in ihrer Krisenlösungskapazität beschränkt ist. Die Alarmglocken hätten läuten müssen, als der Nato-Generalsekretär bei den Verhandlungen mit der politischen Spitze Mazedoniens dabei war. Was heißt: dabei war? - George Robertson war der maßgebliche Verhandler, der Nato-Chef war der Vertreter der politischen Chefs und drängte dabei sogar seinen Vorgänger und jetzigen EU-Außen- und Sicherheitsbeauftragten Javier Solana ins Abseits. Kein Wunder, der hat auch keine Divisionen, die ihm den Rücken stärken. Nur, wo kommt Europa da hin, wenn jetzt schon der Nato-Generalsekretär die politischen Verhandlungen führt und bestenfalls hin und wieder zum Fototermin vorbeischauende Außenminister in die Problematik einweist, das Heft aber von Anfang an selbst in der Hand, besser gesagt eisernen Faust, hält?

Europa musste dahin kommen, wo es jetzt festsitzt. Nämlich in einer auf dem Prinzip Hoffnung beruhenden Militärintervention, bei deren Scheitern es keine andere Option als die Teilnahme am drohenden Bürgerkrieg und die Umwandlung Mazedoniens in ein weiteres westliches Militärprotektorat gibt.

Wobei das Unglück ja schon früher - und wieder ist der Luftkrieg um das Kosovo das entscheidende Datum - seinen Lauf genommen hat. "Mazedonien ist der Kollateralschaden des Nato-Engagements auf dem Balkan", bringt der mazedonische Filmemacher und Oscar-Preisträger Milcho Manchevski die verfahrene Situation auf den Punkt. Die UÇK war die Bodentruppe der Nato im Kosovo-Krieg. Aus Dankbarkeit, eher aber aus Feigheit hat die Allianz die zu ihrem Kosovo-Mandat gehörende Entwaffnung der Hilfssheriffs auf die lange Bank geschoben. Aus den UÇK-Verbündeten wurden UÇK-Rebellen, die mit den Waffen, die sie jetzt der Nato - vollständig oder nur teilweise? - übergeben, die Krise nach Mazedonien trugen. Dass die Nato die Waffenrückholaktion nachholt, einen Fehler auszumerzen versucht, ist ihr nicht vorzuwerfen. Dass dieser Versuch einer Wiedergutmachung jedoch als Prävention ausgegeben wird, ist eine seltene Unverfrorenheit und setzt die Lügenpolitik fort, mit der die Allianz und das EU-Politikestablishment die Öffentlichkeit seit dem Zerfall Jugoslawiens für dumm verkaufen.

Gleiches gilt für die Beteuerungen der Nato, sie sei nur der Einladung Mazedoniens gefolgt. Die Demonstrationen, die Grenzblockaden, die Anschläge - alles gegen den ungebetenen Gast gerichtet - sprechen eine andere Sprache. Und wenn die EU die Solidarität ihrer Mitglieder beschwört, darunter aber allein das Mitmachen bei Militäraktionen in bester Nibelungentreue versteht, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Denn unter diesem Deckmäntelchen geht die Verdrängung der UNO und anderer Sicherheitsorganisationen mit echter Präventionskapazität und Instrumenten zur friedlichen Konfliktlösung munter weiter. Die Nato an ers-ter Stelle wird jegliches zivile Krisenmanagement weiterhin desavouieren, von vornherein verunmöglichen und das gleiche Schicksal erleiden lassen, wie den ausgehungerten Stabilitätspakt für Südosteuropa. Und dann braucht man nur noch die mahnenden Stimmen als "Moraltanten" diskreditieren - und schon kann es wieder einmal kräftig krachen.

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