"Nicht Schutz, Abschieben ist das Ziel"

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Politologin und Frauenhandel-Spezialistin Mary Kreutzer rechnet mit dem Anstieg von Zwangsprostitution während der Fußball-EM und kritisiert Österreichs Doppelmoral.

Die Furche: Frau Kreutzer, die Polizei und der Prostituierten-Beratungsverein LEFÖ beruhigen, dass es durch die Fußball-EM zu keinem Anstieg bei Prostitution und Frauenhandel in Österreich kommen wird.

Mary Kreutzer: Das ist absurd. Bei unseren Recherchen haben Freier oft erzählt, dass im Rotlichtmilieu gerade stark "aufgerüstet" wird. Auch die Prostituierten am Straßenstrich sagen, dass mehr Frauen in dieses Geschäft kommen. Bei allen großen Sportereignissen ist das der Fall. Und wenn man keinen Anstieg der Schlepperei befürchtet, warum hat man dann 135 EU-Frontex-Polizisten in Österreich stationiert?

Die Furche: Und abseits der Europameisterschaft: Welche Rolle spielt der Frauenhandel im gesamten Kontext von Menschenhandel?

Kreutzer: 90 Prozent von Menschenhandel sind Frauen- und Kinderhandel. Und weitaus die größten Gewinne im Menschenhandel werden in der Zwangsprostitution erwirtschaftet. Doch Frauenhandel gibt es ja auch in die Ehe oder in andere Formen der Zwangsarbeit. Die Methoden der Menschenhändler, Mädchen oder Burschen nach Europa zu locken, sind übrigens sehr ähnlich. Auch Afrikaner, die bei uns auf der Straße Drogen verkaufen oder zu anderen kriminellen Handlungen gezwungen werden, sind oft Opfer von Menschenhandel. Auch sie wurden mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt und zu Zwangsarbeitern gemacht, die ihre Schulden abarbeiten müssen.

Die Furche: Im Buch "Ware Frau" beschreiben Sie und Corinna Milborn, dass dieser Zwang vor allem auch mit Psycho-Terror ausgeübt wird.

Kreutzer: Wir haben einen Juju-Priester in Nigeria besucht, der mehrere "Töchter" in Österreich hat. Als Vorbedingung für ihre Reise nach Europa mussten ihm diese Frauen in einem eigenen Ritual schwören, dass sie nie ihre Schlepper verraten, nie zur Polizei gehen und das Geld für die Reise zurückzahlen werden. Dass es sich dabei um 40.000 Euro handelt und wieviel Geld das überhaupt ist, wissen die Frauen zu diesem Zeitpunkt nicht. Von unseren Interviewpartnerinnen hat auch keine gewusst, dass sie in der Prostitution landen wird. Und die Frauen, die davon wissen, haben keine Ahnung, wie groß die Gewalt auf dem Straßenstrich ist. Der Druck auf diese Frauen ist enorm. Der Juju-Schwur belastet zudem massiv ihre Psyche, wenn sie flüchten wollen. Dieser Juju-Glaube ist in der nigerianischen Gesellschaft sehr stark wirksam, unter Muslimen wie unter Christen, wir haben erlebt, dass sogar die Psychologen im Frauenhaus dort fest daran glauben - diese Juju-Priester verstehen es zudem, mit ihren Schlägerbanden jeden Bruch des Juju-Schwurs hart zu bestrafen.

Die Furche: Juju-Priester, Schlepper, Menschenhändler, Zuhälterinnen und Zuhälter … - wie kann man von europäischer Seite diesem Verbrechernetzwerk beikommen?

Kreutzer: Solange es für Afrikaner keine Möglichkeit gibt, ein Visum zu bekommen, sie keinerlei Aussicht haben, irgendwann legal nach Europa einreisen zu können, solange müssen sie sich auf Schlepper verlassen, die nicht immer, aber oft mit Menschenhändlern kooperieren.

Die Furche: Daher wird in Europa Menschenhandel als Problem der illegalen Migration gesehen …

Kreutzer: … leider ausschließlich! Ziel ist, diese Menschen so schnell wie möglich abzuschieben. Auch die Opfer von Zwangsprostitution. Wenn es nicht so wäre, hätten wir einen anderen, besseren Opferschutz, wie zum Beispiel in Italien. Aber dazu fehlt in Österreich der politische Wille. Dafür dürfen in manchen österreichischen Bundesländern Asylwerberinnen, denen ansonsten der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt ist, als Prostituierte arbeiten. Da scheint der Rassismus durch bis in die Gesetzgebung.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Buchtipp:

WARE FRAU

Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa

Von Mary Kreutzer und Corinna Milborn

Ecowin Verlag, Salzburg 2008 234 Seiten, geb., € 19,95

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