Nicht wollen, aber dürfen müssen

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Während man in Salzburg das Bettelverbot deutlich ausgeweitet hat und es in Linz sogar mehrere Brandanschläge auf Roma-Zelte gab, wartet man in Graz auf die Umsetzung eines "Dialogcenters". Über Betteln zwischen politischem Reizthema und Menschenrecht.

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Während man in Salzburg das Bettelverbot deutlich ausgeweitet hat und es in Linz sogar mehrere Brandanschläge auf Roma-Zelte gab, wartet man in Graz auf die Umsetzung eines "Dialogcenters". Über Betteln zwischen politischem Reizthema und Menschenrecht.

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Mehrsprachige Diskussionen am Eingangstor, herzliches Lachen im Innenhof: Am ersten Mittwoch im Monat ist im "VinziNest" mehr los als an den restlichen Tagen. Dann nämlich öffnet die Notschlafstelle ihre Pforten auch für jene, die keinen Schlafplatz, sondern eine Rechtsauskunft benötigen. Etwa fünfzehn Personen versammeln sich an diesem Mittwoch Abend im Innenhof des Grazer Obdachlosenasyls, das seit 1992 rund 80 männlichen Ausländern temporär Unterkunft bietet. Wer hierher zur Rechtsberatung kommt, bestreitet seinen Lebensunterhalt zu einem Gutteil durch das Erbeten milder Gaben. Ein Umstand, der oft empfindlich hohe Strafen nach sich zieht.

Lobbying für bettelnde Menschen

150 Euro: So hoch ist meist der Betrag, den Bettlerinnen und Bettler in Österreich nach Erhalt einer Strafverfügung zu zahlen haben. Für jemanden, der täglich zwischen zehn und 30 Euro an Almosen erhält, eine nicht zu vernachlässigende Summe. Sarah Kumar und Ronald Frühwirth von der Grazer Kanzlei Frühwirth wissen das und bieten ihre monatlich stattfindende Beratung kostenlos an. Wenn beide ins Grazer "Vinzi- Nest" kommen und unter Mithilfe von Dolmetscherinnen Bettelnde über ihre Rechte aufklären, greifen sie dabei auf eine Tradition aus der Bundeshauptstadt zurück. In Wien informiert die "Bettellobby" - ein Zusammenschluss von sozial engagierten, ehrenamtlich tätigen Personen -an jedem dritten Montag im Monat auf ähnliche Weise (vgl. www.bettellobby.at).

Im Wiener Amerling-Haus kann jeder, dem nichts mehr bleibt als zu betteln, in Erfahrung bringen, was dabei gesetzlich erlaubt ist und was nicht. "Anfangs", erinnert sich Anwalt Ronald Frühwirth, "waren bei jeder Beratung noch an die 30,40 Leute da. Sehr viele hatten Verwaltungsstrafen wegen gewerbsmäßigen oder aufdringlichen Bettelns." Heute, nachdem über 80 Prozent der Einsprüche gewonnen wurden, wird weitaus weniger gestraft. Die meisten Strafen seien schlecht begründet gewesen, erklärt Frühwirth und erzählt, dass die meisten der bettelnden Menschen, mit denen er vernetzt sei, heute überhaupt keine Strafen mehr bekommen würden. Weil auch der Polizei mittlerweile klar sei, dass, wer unaufdringlich bettelt, damit nichts Illegales tut.

"Ich will nicht betteln, aber dürfen muss ich", ist auf der Webseite der "Bettellobby" zu lesen. Ungerechtfertigte Kriminalisierung war es, die zur Gründung des Netzwerkes vor etwa acht Jahren führte. 2008 recherchierte Ferdinand Koller für seine Diplomarbeit zum Thema Betteln. Datenmaterial gab es zu diesem Zeitpunkt wenig, Ressentiments gegenüber bettelnden Menschen dafür aber zuhauf. "Noch stärker als heute war damals das Bild der bettelnden Mafia in den Medien", erzählt Koller. Bettlerinnen und Bettler seien als Gruppe strukturiert und müssten alles erhaltene Geld einem Boss abgeben -solche (meist unhinterfragten) Annahmen sind laut Koller in einem Jahrhunderte überdauernden "Rassismus gegenüber Roma"(Antiziganismus) begründet. Schlimmstenfalls kulminiert dieser in Gewalt: Im vergangenen Frühjahr kam es etwa binnen weniger Wochen zu drei Brandanschlägen auf Roma-Zelte in Linz.

Eine andere Folge ist freilich auch die Verunsicherung jener, die zwar helfen wollen, aber befürchten, mit ihrer Spende letztlich eine kriminelle Organisation zu unterstützen. Und so habe es der einseitig geführte Betteldiskurs geschafft, so Koller, "Menschen in einer Sache zu verunsichern, von der sie intuitiv immer wussten, dass sie richtig ist -nämlich einem armen Menschen etwas zu geben".

Wie kann dem Misstrauen gegenüber Bettlerinnen und Bettlern begegnet werden? In Form eines Begegnungszentrums, befand man in Graz, wo Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) vor knapp zwei Jahren eine Expertengruppe für "Neue Lösungswege im Umgang mit Betteln in Graz" ins Leben rief. Deren gleichnamiges Strategiepapier sieht ein Begegnungszentrum für bettelnde und nicht bettelnde Menschen in der Stadt an der Mur vor -mit Rechtsberatung, Sozialbetreuung und einem Dialog-Café.

Die Umsetzung schien bereits auf Schiene, bis sich plötzlich der Steirische Landtag meldete und mit der Novellierung des Steirischen Landessicherheitsgesetzes die Registrierungspflicht aller Bettlerinnen und Bettler vorschrieb. Die Steuerungsgruppe war empört: "Das war nicht ausgemacht", hieß es. Gutachten wurden verfasst, bei Geschichtskundigen wurden Assoziationen zu "Zigeuner-Datenbanken" im sogenannten "Dritten Reich" geweckt. Die Stadt Graz berief sich auf das Land, die Umsetzung geriet ins Stocken. Eine Weitergabe von Personendaten, wie sie die strittige Gesetzesnovelle vorsieht, "geht überhaupt nicht", mahnt Christian Ehetreiber, geschäftsführender Obmann der überparteilichen "AR-GE Jugend gegen Gewalt und Rassismus" als Arbeitsgruppen-Koordinator. Sollte der steirische Landtag der Gesetzesnovelle dennoch zustimmen, so werde mit Sicherheit dagegen beim Verfassungsgerichtshof geklagt werden. Ein "Datentransfer ad personam" sei "schlichtweg rechtswidrig."

Mit Beziehungen gegen Angst

Muss man Bettlerinnen und Bettler registrieren, weil sie eine Gefahr für andere darstellen? Josef Klamminger von der Landespolizeidirektion Steiermark winkt ab. In der Steiermark sei Betteln "ein Randthema", das man "ganz gut im Griff" habe. Natürlich wolle man eine Zunahme verhindern, "aber das Bettelproblem" sei "eigentlich ein marginales, auch aus polizeilicher Sicht". Wie er haben auch andere Grazerinnen und Grazer nicht zwingend Angst vor jenen, die in ihrer Stadt die Hand aufhalten. Nora Musenbichler, die als österreichweite Koordinatorin der "Vinziwerke" seit 13 Jahren mit bettelnden Menschen arbeiten, erzählt, dass sie immer wieder Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern erhalte, die sich weniger um das eigene Wohlergehen als um jenes liebgewonnener Menschen sorgen würden, die eben betteln: "Wo ist die alte Frau vor dem Billa hin verschwunden?" - Anfragen dieser Art würden zeigen, "dass 20 Jahre unserer Arbeit geholfen haben", sagt Musenbichler. "Sind erst einmal Beziehungen aufgebaut worden, dann ist alles anders.

HIntergrund

Das Kreuz mit dem Verbot

Seit Jahren wird hierzulande über das Betteln gestritten. In der Steiermark wurde "aggressives" Betteln bereits 2005 verboten. 2011 trat in Graz auch ein generelles Bettelverbot in Kraft - gegen das u.a. der Gründer der Vinzenzgemeinschaft, Pfarrer Wolfgang Pucher, ankämpfte. Tatsächlich stellte der Verfassungsgerichtshof 2012 fest, dass ein solches allgemeines Bettelverbot verfassungswidrig sei. Seitdem ringt man um eine politische Lösung. In Wien wurde mit dem Landessicherheitsgesetz von 2010 aggressives bzw. gewerbsmäßiges Betteln sowie das Betteln mit Kindern verboten. In der Stadt Salzburg hat man 2015 zusätzlich auch ein sektorales Verbot "stillen" Bettelns ausgesprochen. Die Verbotszonen wurden im Juni 2016 deutlich ausgeweitet, woran u. a. Erzbischof Franz Lackner heftige Kritik übte: "Betteln ist ein Menschenrecht", betonte er. Der Integrationsverein "Phurdo" kündigte den Gang zum VfGH an. In Linz und Eisenstadt gibt es ebenfalls ein sektorales Verbot stillen Bettelns, in Innsbruck ein sektorales sowie temporäres Verbot. (dh)

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