Noch sind wir nicht entstresst

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Die Furche-Herausgeber

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Die erste gesamteuropäische Brandschutzübung ist absolviert. In einem „Stresstest“ wurden 91 Großbanken auf Krisenresistenz geprüft, von denen nur sieben den Test nicht bestanden haben. Die Finanzmärkte zeigen sich beruhigt. Dass wir uns dennoch nicht entstresst zurücklehnen können, liegt an der Tatsache, dass die Übungsannahmen der überstandenen Feuerprobe an der Wirklichkeit der eben erst notdürftig überstandenen Krise vorbeizielten.

Eklatantes Systemversagen

Der Testfall bezog sich in erster Linie auf Einbrüche beim Wirtschaftswachstum. Unterstellt wurde ein Minus von drei Prozentpunkten unter den derzeitigen Prognosen. Weiters simulierte man einen außergewöhnlichen Zinsanstieg und Wertverluste bei Staatsanleihen finanziell angeschlagener Länder. Jene Risiken hingegen, die ursächlich für die aktuelle Finanzmarktkrise waren, blieben ausgeklammert.

Diese Krise hatte ja ihre auslösende Ursache keineswegs in konjunkturellen Schwankungen. Der massive Einbruch der Realwirtschaft war vielmehr in umgekehrter Reihenfolge die Konsequenz eines eklatanten Systemversagens der Finanzwirtschaft. Dieses kulminierte nach der Insolvenz von Lehman im September 2008 in einem Zusammenbruch des Vertrauens in die Bonität von Banken und deren Möglichkeiten, sich auf den Kapitalmärkten zu refinanzieren. Diese Erschütterung erst führte zu den katastrophalen Kapitalverlusten in den Büchern der Banken. Die nachfolgende Kreditverknappung und die Verunsicherung der von hohen Verlusten getroffenen Anleger ließ die Realwirtschaft einbrechen.

Der aktuelle Stresstest geht nun von der Annahme aus, die Finanzwelt wäre wieder in Ordnung, wenn nur die einzelnen Institute über messbar ausreichende Risikopuffer verfügten. Das Risiko eines neuerlichen systemischen Zusammenbruchs aber, wie er zuletzt im Mai am Höhepunkt der Griechenland-Verschuldungskrise nur durch einen 750-Milliarden-Euro-Schirm der Länder der Euro-Zone abgewehrt werden konnte, wird verdrängt. Der Stresstest ignoriert zudem handfeste systemische Ursachen der Finanzmarktkrise. Etwa die Problematik von Bilanzierungsmethoden, mit denen im Aufschwung fiktives Eigenkapital geschaffen wird. Oder das fatale Prinzip einer nach Risiko – das heißt nach Ratingstufen – gewichteten Unterlegung von Ausleihungen durch Eigenmittel, dessen krisenverstärkende Dynamik längst erwiesen ist.

Auftragsstudien der Banken

Die Banken lobbyieren indessen mit Auftragsstudien an Wirtschaftsforschungsinstitute gegen strengere Eigenmittelvorschriften („Basel III“). Dem Vertrauen in die Sicherheit des Bankensystems leisten sie damit keinen guten Dienst. Viel wesentlicher wären Initiativen zur grundlegenden Reform offensichtlich dysfunktionaler, krisenverstärkender Spielregeln. Oder zur Schaffung einer wirksamen Feuermauer, mit der das (Retail-)Geschäft der Banken mit Privatkunden und Unternehmen vor Krisen in den spekulativen (Investmentbanking-)Geschäftsfeldern geschützt wird. Erst eine solche Sockelsanierung des Finanzsystems brächte wirkliche Entspannung.

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