Noch vor der Flut nach Hasankeyf

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Das Ilisu-Staudammprojekt am oberen Tigris gefährdet ein 12.000 Jahre altes Weltkulturerbe und bedroht tausende Bauernfamilien mit Zwangsumsiedlung und Existenzvernichtung.

Schaut euch Hasankeyf an. Vielleicht habt ihr die letzte Gelegenheit diese wunderschöne Stadt noch zu sehen!" Der Besitzer des kleinen Hotels in Midyat macht mit einer etwas eigenwilligen Tourismuswerbung auf die eine halbe Fahrstunde nördlich gelegene Stadt aufmerksam. Tatsächlich scheint sich in Hasankeyf ein touristischer Anachronismus zu etablieren: ein Tourismus in letzter Minute. Obwohl die türkische Regierung fix beschlossen hat, die Stadt unter einem 312 Quadratkilometer großen Stausee verschwinden zu lassen, wurden in den letzten Monaten neue Informationstafeln des Tourismusministeriums aufgestellt.

Tourismus der letzten Minute

Verglichen mit meinem letzten Besuch in der Stadt sind deutlich mehr Touristen zu sehen. In letzter Minute wollen viele noch die historische Stadt am Oberlauf des Tigris sehen. In der Stadt selbst bleibt dabei jedoch wenig Geld liegen. Die meisten Gäste sind türkische Tagesausflügler. Seit Jahren hat hier niemand mehr in den Tourismus investiert. Niemand baut ein Hotel, wenn er befürchten muss, dass dieses schon in wenigen Jahren unter einem Stausee des türkischen gap-Projektes verschwindet.

Bis 2010 sollen im Rahmen des gap mehr als ein Dutzend Staudämme an Euphrat und Tigris errichtet werden. Durch den Ilisu-Damm würden dem "Kurdish Human Rights Project" zufolge 12.000 Anwohner vertrieben werden, weitere 60.000 Bauern würden ihr Land und damit ihre Lebensgrundlagen verlieren. Da die meisten dieser Bauern keine Landtitel besitzen und viele von ihnen selbst erst während des Kriegs zwischen Regierung und der kurdischen Guerilla pkk in den 1980er-und 90er-Jahren aus ihren Dörfern vertrieben wurden, werden nur wenige von ihnen entschädigt werden. Realistische Umsiedlungspläne fehlen völlig (s. S. 3).

Malaria kehrt zurück

Bereits gemachte Erfahrungen mit dem Atatürk-Staudamm am Euphrat versprechen auch für die Bewohner des oberen Tigris-Tales nichts Gutes. Viele der durch den Atatürk-Damm vertriebenen Bewohner wurden bis heute nicht entschädigt. Dreizehn Jahre nach seiner Eröffnung droht er mittlerweile wieder zu verschlammen. Das Erdreich der umliegenden Berge erodiert immer mehr und rutscht in den Stausee. Krankheiten wie Malaria, die in der Region längst als ausgerottet galten, kamen durch das stehende Wasser wieder zurück.

Mit 1200 Megawatt Leistung ist das nun am Tigris geplante Kraftwerk viel kleiner als die Kraftwerke am Euphrat. Tatsächlich geht es der türkischen Regierung und den Militärs jedoch nicht nur um Strom. Die Türkei nutzt ihre durch die Stauseen gewonnene Kontrolle über das Wasser der Flussoberläufe Mesopotamiens zunehmend als politisches und militärisches Druckmittel und zudem als politischen Hebel gegen Syrien. Nun soll offensichtlich noch vor einem eu-Beitritt und gegenüber einem geschwächten irakischen Nachbarn mit dem Bau des nächsten Großkraftwerkes begonnen werden.

Türkische Militärs und Politiker sind jedoch selbst nicht in der Lage ein solches Großprojekt durchzuführen. So sind es europäische Unternehmen, allen voran der österreichische Wasserkraftwerks-Spezialist va Tech Hydro, der erst kürzlich von Siemens an die steirische Andritz ag verkauft wurde. Ercan Ayboga, Sprecher der lokalen "Initiative zur Rettung von Hasankeyf", in der sich neben örtlichen Aktivisten auch die Kommunen der Region zusammengeschlossen haben, macht auf die politische Verantwortung in Österreich aufmerksam: "Ohne Exportkredite der Kontrollbank wird die va Tech Hydro hier nicht das Risiko eingehen zu bauen. Es ist also auch in Österreich eine politische Entscheidung, ob ihr ein solches Projekt über die Köpfe der Leute hinweg baut oder nicht!"

Tatsächlich wären die Risken eines solchen Großprojektes auch für ein Unternehmen wie die va Tech Hydro zu hoch, um sie alleine zu tragen. Schließlich kam es gerade in den letzten Monaten wieder zu verstärkten Kampfhandlungen zwischen Regierung und pkk. Die damit verbundene verstärkte Repression gegen die Zivilbevölkerung ist auch für Nonno Breuss von Eca-Watch, einem Zusammenschluss von ngos, die sich mit der kritischen Beobachtung der Vergabe von Exportkrediten beschäftigen, einer der Gründe, gegen das Projekt Stellung zu beziehen: "In einem Klima von Gewalt und Einschüchterung ist es unverantwortlich, die Zwangsabsiedelung vieler tausender Menschen vorzunehmen."

Der Ilisu-Damm wäre jedoch nicht nur aus der Sicht von Menschenrechts-und Umweltaktivisten eine Katastrophe, sondern auch für Archäologen und Historiker. Das obere Tigristal gehört zu den ältesten Kulturlandschaften des Menschen. Hier im fruchtbaren Halbmond entstanden die ersten festen Siedlungen, Städte und Reiche der alten mesopotamischen Hochkulturen. Ihnen folgten Römer, Araber, Seldschuken und Osmanen, die alle ihren Beitrag zum Weltkulturerbe Hasankeyf beisteuerten. In der Stadt gibt es noch bewohnte Höhlenwohnungen, ayyubidische und seldschukische Moscheen, von Sufi-Orden betreute Heiligengräber, Burgen und andere Gebäude von immenser kulturhistorischer Bedeutung, die mit der Landschaft zu einem einmaligen Panorama verschmelzen. Die Stadt ist jedoch trotz seiner Kulturschätze kein Museum, sondern wird von einer einzigartigen Mischung aus Kurden, Arabern und christlichen Assyrern, die noch aramäische Dialekte sprechen, bewohnt - Menschen, die gerne hier wohnen und keine Absichten haben, freiwillig ihre Stadt zu verlassen.

Unwissen & Ablehnung

Eine vom Vertriebenen-Verein der nahe gelegenen Großstadt Batman im Februar und März 2006 durchgeführte Umfrage in den vom Ilisu-Staudamm betroffenen Siedlungen machte eine klare Ablehnung des Projektes in der gesamten Region deutlich. Die Umfrage stellte ein massives Informationsdefizit unter der Bevölkerung fest: 78 Prozent der Befragten wissen nicht, welche Auswirkungen die Talsperren haben. Fast 90 Prozent wissen nicht, dass sie in das Projekt und seine Planung einbezogen werden sollten. Rund 70 Prozent der Befragten wissen nicht, wie sie nach einer Umsiedlung in die Stadt ihren Lebensunterhalt verdienen sollen. Über 80 Prozent beurteilen den Staudammbau und die damit verbundene Umsiedlung negativ und sprechen sich gegen den Bau aus.

"... dann gibt es Krieg"

Eine junge Frau aus der Stadt erklärt, dass sich die Leute hier nicht einfach vertreiben lassen werden: "Wohin sollen wir gehen? In den großen Städten gibt es schon genug Vertriebene ohne Arbeit." Wie im gesamten Osten der Türkei sind auch in Hasankeyf die meisten Jugendlichen ohne Arbeit und geregeltes Einkommen. Es gibt aber noch halbwegs intakte, gewachsene Familien-und Solidaritätsnetzwerke, die ein Überleben sichern. Ein alter Mann in einem der Kaffeehäuser wird in seinem Protest noch deutlicher: "Wenn die meine Stadt zerstören wollen, gibt es Krieg!"

Tatsächlich gibt es längst schon wieder Krieg in der Region, und auch die Baustellen der gap-Projekte könnten zu Zielen der Auseinandersetzungen werden - immerhin hat sich die pkk mehrfach gegen den Damm ausgesprochen. Von Seiten der Regierung versucht man solche Probleme mit Repression zu lösen. Auf der Strecke von Hasankeyf nach Diyarbakir stehen Checkpoints des türkischen Inlandsmilitärs. Das türkische Militär bewegt sich hier wie im Feindesland. Und das Versenken ganzer Landstriche ohne jede Einbeziehung der Bevölkerung wird dieses Verhältnis zur Bevölkerung nicht verbessern.

Der Autor ist Politikwissenschafter und Mitarbeiter der im Irak tätigen Hilfsorganisation Wadi.

Weitere Info: www.eca-watch.at

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