Null Perspektive hier, freiwillige Rückkehr dort

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Die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes hat Arigona Zogaj nichts genutzt - Innenminister Günther Platter bleibt hart: Sie muss in den Kosovo, obwohl sie nicht will. Über 2000 Asylwerber, Schubhäftlinge, Illegale pro Jahr sehen indes keine Perspektive mehr in Österreich und kehren freiwillig in ihre Heimat zurück.

Der "Verein Menschenrechte Österreich" ist "fast ein Reisebüro", sagt Vereins-Chef Günter Ecker. Mit der einen wichtigen Einschränkung: Ecker vermittelt nur One-Way-Reisen ohne Retourticket. Frau Zheng Xilon (Name geändert) hat eine solche Reise "gebucht". Sie sitzt im Vereins-Büro in der Wiener Alserstraße. Eine Stunde vor der geplanten Abfahrt zum Flughafen ist sie schon reisefertig, Koffer und Reisetasche stehen neben ihr. Sie blättert in einer chinesischen Modezeitschrift. Zu einem Gespräch mit der Furche ist sie nur bereit, wenn ihr richtiger Name verschwiegen und kein Foto von ihr gemacht wird.

Frau Zheng gibt ihren Asylantrag auf, sie will nach China zurück. Die 40-Jährige hat Brustkrebs und braucht jetzt die Unterstützung ihrer Familie; außerdem hat sie großes Vertrauen in die chinesische Medizin. Wie lange Zheng in Österreich war, möchte sie nicht sagen, sie spricht kein Deutsch - auch bei Chinesen, die längere Zeit hier sind, keine Seltenheit, erklärt der Dolmetscher, denn viele Chinesen halten sich nur unter ihresgleichen auf. Vor kurzem hat sie sich beim Verein Menschenrechte gemeldet und um eine freiwillige Rückkehr angefragt. Frau Zheng besitzt einen Reisepass, das erleichtert das Prozedere, es dauerte nicht lange, dann sind die Formalitäten erfüllt, ein Flug gebucht. Eine Mitarbeiterin von Verein Menschenrechte begleitet die Chinesin zum Flughafen; dort bekommt sie als "Reise- und Startgeld" 370 Euro ausgehändigt - und dann ist sie weg.

So einfach wie im Fall von Frau Zheng sind die Rückkehrverfahren nur selten, sagt Verein Menschenrechte-Rückkehr-Koordinatorin Dilyana Borisova. Ihre kompliziertesten Fälle sind solche, wenn Asylwerber unter falschem Namen im Land sind. Bekommen die oft aus Angst mit Aliasnamen lebenden Ausländer im Laufe der Jahre Kinder, werden diese mit dem falschen Familiennamen amtlich eingetragen. Geben die Eltern aber zur freiwilligen Rückkehr wieder ihre richtige Identität preis, um von der Botschaft des Heimatlandes anerkannt zu werden, stehen ihre Kinder plötzlich mit einem Namen da, den es nicht gibt, und die Botschaften verweigern ihnen lange die Einreise.

Trotz solcher kniffliger Fälle wird der Verein Menschenrechte heuer rund 1200 freiwillige Rückkehrer in ihre Herkunftsstaaten zurückschicken können. Im letzten Jahr gab es in ganz Österreich, und auch von anderen Rückkehrberatungen wie Caritas oder European Homecare betreut, 2132 freiwillige Rückkehrer.

"Wir bieten den Menschen die Möglichkeit, in Würde zurückzukehren", sagt Borisova, "ohne Polizeibegleitung, ohne dass ihr Stolz verletzt wird." Als Gründe dafür, warum sich Menschen für die freiwillige Rückkehr entscheiden, nennt sie: familiäre Ursachen, wie Todesfälle nächster Verwandter; oder die politische Situation in der Heimat hat sich verbessert; und viele wollen auch der Schubhaft entfliehen oder der Illegalität, die sie zur Schwarzarbeit zwingt, bei der sie jedoch oft ausgenützt und ihnen die Löhne vorenthalten werden. Die maximal 370 Euro Rückkehrhilfe und die Erstattung der Reisekosten sind für Borisova nicht entscheidend dafür, dass sich jemand zur Rückkehr entscheidet: "Ich bin selber Migrantin", sagt die in Bulgarien geborene Ökonomin mit Spezialgebiet Tourismus, "ich weiß, in dieser Frage ist Geld nicht alles - ich will nach Hause oder ich will nicht, das ist entscheidend." Sie weiß auch, dass in England oder Schweden, wo Rückkehrern mehr Geld angeboten wird, sich deswegen nicht viel mehr zur Heimkehr entscheiden.

Vor allem durch Mundpropaganda, sagt Borisova, erfahren ihre Klienten von der Rückkehrberatung. Und auf die Frage, warum sich der Verein Menschenrechte in den letzten Jahren zum nicht unumstrittenen Marktführer in diesem Bereich entwickeln konnte, antwortet die Koordinatorin: "Weil wir sehr schnell sind! Die Leute, die zu uns kommen, wollen oft noch am selben Tag zurück. Klar, so schnell geht es selbst bei uns nicht, aber wir fragen nicht lange nach den Asylgründen und wir tun auch sonst nicht herum - der Klient weiß mehr als wir, wenn er heim will, okay!"

Nicht jeder, der will, soll …

Karl Bader, Leiter der Caritas-Rückkehrberatung, hat in dieser Frage einen vorsichtigeren Zugang: "Auch wenn wir manchen auf die Nerven gehen und Klienten verlieren, wir wollen, dass dieser Schritt sehr genau überlegt ist." Bader sagt, es gebe auch zweifelhafte Gründe, warum jemand die Rückkehrhilfe aufsucht: Männer, die ihre Frauen und Kinder heimschicken wollen, damit diese nicht zu lange im liberalen Westen leben; oder es gibt Streit im Flüchtlingsheim; oder einmal, erzählt Bader, ist ein 22-jähriger Tschetschene zur Rückkehrberatung gekommen, der zum Kämpfen nach Hause wollte. "Der Krieg ist gut genug organisiert", antwortete ihm Bader, "dazu braucht es unsere Netzwerke und den Reisekosten-Ersatz des Innenministeriums nicht." Aber er hat dem Mann psychosoziale Betreuung angeboten. Heute ist der Tschetschene sehr froh, dass er in seinen überstürzten Heimreiseplänen nicht unterstützt wurde - er hat Asyl bekommen, Arbeit gefunden, zuhause wäre er schon tot.

Bei Rückkehrwilligen nach Tschetschenien besteht bei der Entscheidungsfindung in der Caritas-Rückkehrberatung generell "Teampflicht" - obwohl sich die Sicherheitssituation in Tschetschenien verbessert hat, will man damit so gut wie möglich ausschließen, "dass wir jemand ins Unheil rennen lassen". Oberstes Prinzip der Rückkehrberatung muss laut Bader sein, "dass wir den Leuten reinen Wein einschenken: Wenn wir für diese Menschen keine Perspektive mehr in Österreich sehen, sagen wir es ihnen, denn ohne Perspektiven verschwenden sie nur Lebenszeit". Eine gut überlegte freiwillige Rückkehr ist zudem um vieles nachhaltiger, gibt Bader zu bedenken. Wer unfreiwillig abgeschoben wird, kehrt frustriert ins eigene Land zurück; bei der ersten Enttäuschung dort wird er oder sie versuchen, wieder nach Österreich zurückzukehren.

Um die Rückkehr-Hilfe nicht am Flughafen abbrechen zu müssen, versucht die Caritas europäische Netzwerke oder das internationale Netz der Caritas zu nutzen. So versucht man die Rückkehrer beim Neuanfang in der Heimat zu begleiten. Außerdem sind Nachrichten der Rückkehrer wichtige Informationen für die Rückkehrwilligen in Österreich. Der Verein Menschenrechte bleibt mit (fast) jedem freiwilligen Rückkehrer in Telefonkontakt, fragt nach, ob und wie die Heimreise gelungen ist. Durch diesen Informationsaustausch ist man draufgekommen, berichtet Vereins-Chef Günter Ecker, dass Rumänen bei der Fahrt durch Ungarn von den dortigen Behörden "wie Untermenschen" behandelt werden: rüder Umgang, ohne Verpflegung, ohne aufs Klo gehen zu dürfen … Nach Einspruch aus Österreich scheint sich hier eine Verbesserung abzuzeichnen. Tschetschenien, Irak und Afghanistan sind auch für Ecker die Länder, bei denen eine freiwillige Rückkehr kritisch ist: "Aber einen Mann, der zurück zu seiner bei einem Bombenanschlag verletzten Frau will, kann nichts aufhalten." Aus Indien erhält Verein Menschenrechte die Rückmeldung, dass die Rückkehrer zwei, drei Tage angehalten werden und "Schmiergeld" zahlen müssen. In China werden Rückkehrer ohne Reisepass für die dieser Einreise vorausgegangene unerlaubte Ausreise in Verwaltungsarrest gesteckt oder müssen stattdessen eine hohe Geldstrafe zahlen. Doch selbst hier zeichnet sich nach Interventionen aus Österreich eine Verbesserung ab.

Frau Zheng hat einen Reisepass gehabt. Ihr ist der Arrest erspart geblieben, sie ist problemlos in China eingereist und gut zu Hause angekommen - das hat sie beim Kontrollanruf von Verein Menschenrechte berichtet. Sie freut sich jetzt bei ihrer Familie zu sein und hofft, schnell wieder gesund zu werden. Und Österreich ist ein sehr schönes und gutes Land, hat Frau Zheng am Telefon noch gesagt, "der Umgang der Menschen miteinander ist so zivilisiert".

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