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Selten noch sind Parteien am Beginn einer Begierungsperiode so sehr ohne klare Konzepte dagestanden, wie es heute der Fall ist. Immerhin bewegt man sich in Sachen Budgetsanierung auf einigermaßen erforschtem Gelände. Totale Unsicherheit, herrscht hingegen im Bereich der Sozialpolitik.
Die geschehenen Versäumnisse sind umso unbegreiflicher, als Denker aller politischen Bichtungen seit Jahren darauf hinweisen, daß wir Sozialpolitik nach bisherigem Muster keineswegs fortsetzen können. Nehmen wir für viele andere die ganz hervorragenden Wortmeldungen von Klaus Firlei und Wolfgang Mazal in der Furche (48 und 51/52/1995). Niemandem geht es dabei um sozialen „Abbau", sondern einfach um die Tatsache, daß wir angesichts einer gewaltigen gesellschaftlichen Dynamik mutig neue Wege zu beschreiten und Gewohntes aufzugeben haben. Im Arbeitsleben wird man von der Illusion endgültig Abschied nehmen müssen, es könnte die sichere Geborgenheit pragmatischen Beamtentums kraft Bückhaltes starker Interessenvertretungen ins gesamte Wirtschaftsleben übertragen werden. Ganz im Gegenteil wird staatliche Politik die sozialen Bedingungen für mehr unternehmerisch orientiertes Agieren jener herstellen müssen, die heute als „Unselbständige" geführt werden. Wir werden den Widersinn darin erkennen müssen, daß der Staat Menschen, die ohne mit der Wimper zu zucken hohe Beträge für das Service ihres Au-. tos hinzulegen bereit sind, jeden Schilling für den Arztbesuch erspart, aber die Finanzierung der teuren hochwertigen Medizin nicht mehr schafft. Es muß also angesichts einer erfreulichen allgemeinen Wohlstandsentwicklung ein Umbau auf Großriskenversicherung geschehen, der aber den sozial Schwachen unzumutbare Belastungen gewissenhaftest erspart.
Derzeit ist etwa die Idee modern geworden, sogenannte Transferzahlungen generell zu „staffeln" oder für Bezieher höherer Einkommen überhaupt zu streichen. Das mag auf den ersten Blick vernünftig sein. Es bedeutet aber - konsequent durchgedacht - die Abwendung vom Versicherungsprinzip. Vom Grundsatz also, daß Beitragszahlung einen schützenswerten, rechtlichen Anspruch auf Gegenleistung vermittelt. Der Aufstand jener, die persönlich am meisten für die Finanzierung der Sozialleistungen aufbringen, ist also programmiert. Sie werden sich weigern, nur als Geber des Systems zu fungieren. Das Wohlbefinden im modernen Staat setzt nämlich zweierlei voraus: Den Umstand, daß den Bedürftigen geholfen wird, aber ebenso die Tatsache, daß alle in eine Solidaritätsgemeinschaft eingebunden sind, die auch dem Leistungswilligen Bechte und Anspruch auf sinnvollen Ausgleich vermittelt.
Soll der „reiche" leitende Angestellte, der für eine Hausfrau und mehrere Kinder sorgen muß, wirklich nichts aus dem sozialen Topfund daher dasselbe bekommen, wie sein kinderloser Kollege, dessen Gattin ebenfalls im Vollerwerb steht? Immerhin muß ja auch er auf viereinhalb Prozent seines Einkommens verzichten, um durch den gesetzlichen Lasten-ausgleich die Chancengleichheit zwischen Eltern und Kinderlosen herzustellen. Gleiches gilt für die ebenfalls immer wieder propagierte Idee, bei der jährlichen Anpassung von Pensionen auf gleiche Beträge für alle überzugehen. Abgesehen davon, daß die Steuerprogression „oben" stärker zugreift, würde man damit ausgerechnet jenen den vollen Ausgleich verweigern, die durch längere Arbeit oder höhere Beiträge mehr ins Sozialsystem eingezahlt haben.
Die SPÖ setzt nach wie vor Sozialpolitik mit Gewerkschaftspolitik gleich und sieht offenbar die Auseinandersetzung um die Verteilung öffentlicher Mittel als fortgesetzten Klassenkampf. Die ÖVP wiederum ist in ihren alten Fehler zurückgefallen, sich als Wirtschaftspartei zu verstehen. Sie hat mit einem neuen Obmann, der vielen sympathisch ist, ein kühnes Wahlziel gesteckt, das aber in der Hauptsache ökonomisch begründet wurde. Auf diese Weise mußte man es aber verfehlen, denn die soziale Kompetenz war - wenn auch nicht zu Becht - wieder den anderen vorbehalten. Ist die Volkspartei überhaupt noch „christlich-sozial"? Beide Parteien werden also vieles nachholen müssen. Die Zeit drängt. Wir brauchen eine gesunde Wirtschaft. Das steht außer Frage. Ohne eine moderne, wohldurchdachte Sozialpolitik würde aber alles andere sinnlos.
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