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Nur das Gesetz ist Meister

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Die Möglichkeit einer politischen Einflußnahme auf die Ernennung von Richtern, die in der Bundesverfassung durch die Nichtbindung der Exekutive an die Besetzungsvorschläge der richterlichen Senate gegeben ist, wird in letzter Zeit in wachsendem Ausmaß kritisiert. Doktor Manfried W elan spricht sich in seinem Beitrag für eine Bindung der Exekutive an die Besetzungsvorschläge aus und begründet dies mit dem rechtsstaatlichen und mit dem demokratischen Prinzip.

Die Redaktion

Der Justizminister ist in letzter Zeit dafür eingetreten, daß die Besetzungsvorschläge, die nach der Verfassung richterliche Senate zu erstatten haben, durch eine Verfassungsnorm mit bindender Wirkung ausgestattet werden sollen. Dieses Postulat wird nicht nur von den Richtern selbst unterstützt, sondern auch von namhaften Gelehrten, insbesondere von Mar6i6, dem Vater des Begriffes „Richterstaat“, und von Walter, dem Autor des Werkes „Verfassung und Gerichtsbarkeit“. Sinn und Zweck dieser rechtspolitischen Forderung liegt primär in der Stärkung der Autonomie des Richterstandes und damit in der Stärkung des Verfassungsprinzips der richterlichen Unabhängigkeit, sekundär in einer Verfestigung des Vertrauens des Volkes in die Justiz. Es handelt sich um ein „verfassungskonformes“ Postulat, denn sowohl dem demokratischen Prinzip als auch dem rechtsstaatlichen Prinzip würde durch eine solche Maßnahme entsprochen werden. Das Gegenargument, daß Organen der Exekutive (Regierungsorgane, Bundespräsident) ein unentbehrliches Korrektiv in der Form eingeräumt bleiben müsse, daß sie von den Besetzungsvorschlägen abweichen könnten, erinnert an die Zeit der konstitutionellen Monarchie, in der als eines der ersten Rechte des Monarchen das unbedingte und freie Ernennungsrecht für alle Organe der Verwaltung und Justiz verfochten wurde. Diese Meinung war allerdings durch die ehemals historische Tatsache gerechtfertigt, daß der Monarch Inhaber der richterlichen Gewalt war, während eine solche Rechtfertigung in einer demokratischen Republik nicht möglich ist. Im Gegensatz zu einer konstitutionellen Monarchie, in der der Richter als Repräsentant des Monarchen „galt“, repräsentiert der Richter in der konstitutionellen Demokratie kein anderes Staatsorgan. Er repräsentiert unmittelbar den Bund, also den Staat.

Im konstitutionell-demokratischen Rechtsstaat repräsentiert der Richter kein anderes Staatsorgan. Er hat gewissermaßen das Recht der „Selbstdarstellung“. Die Urteile und Erkenntnisse werden im Namen der „Republik“ (nicht im Namen des Volkes, des Parlaments oder des Bundespräsidenten) verkündet und ausgefertigt. Das, was den Richter auszeichnet, ist seine Qualifikation als unabhängiges Staatsorgan. Ihre Sicherung und Ausprägung erhält die in sachlicher Beziehung garantierte Unabhängigkeit durch den Grundsatz der persönlichen Un-absetzbarkeit und Unversetzbarkeit. Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Richters ist selbstverständlich keine grenzenlose; sie ist nicht absolut, sondern nur relativ: Sie besteht nicht gegenüber allen, sondern nur gegenüber gewissen Rechtserscheinungen (Merkl). Sie ist auch kein Privileg für den Richter, sondern eine Garantie für den Rechtsunterworfenen, daß nur auch für ihn geltendes Recht auf ihn angewendet wird, der Richter nicht von Vorschriften gebunden wird, die nur das Organ, nicht den Rechtsunterworfenen binden (Wolter).

Die Unabhängigkeit des Richters geht natürlich nicht so wert wie die Unabhängigkeit des Gesetzgebers. Dieser ist nur an die Verfassung gebunden, jener auch an das Gesetz. Der Richter ist aber nicht auf das Prokrustesbett von Weisungen (Dienstbefehlen, Dienstinstruktionen usw.) gespannt und auch den Rechtsverordnungen gegenüber

durch die von der Verfassung normierte Pflicht zur Prüfung ihrer Gesetzmäßigkeit freier gestellt als die Verwaltungsorgane. Der Richter hat die Möglichkeit, sich durch Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof von der Bindung an Verordnungen zu befreien. Gesetze können von den Gerichten nur in Ansehung ihrer gehörigen Kundmachung auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Nicht gehörig kundgemachte Gesetze hat das Gericht zu ignorieren. Am gehörig kundgemachten Gesetz dagegen bricht sich die richterliche Unabhängigkeit.

Karl Loewenstein erläutert die ratio der richterlichen Unabhängigkeit: „Wenn der Richter nicht vor jedem Einfluß und Druck von außen geschützt wird, kann er nicht unparteiisch nach den Gesetzen Recht sprechen. Er untersteht nur dem Gesetz, wie es ihm der verfassungsmäßig bestimmte Gesetzgeber vorschreibt. Das Gesetz, und nur das Gesetz, ist sein Meister.“

All dies zeigt die enge Beziehung von Gesetz und Richter. Der Richter ist gegenüber Zielsetzungen und Wünschen der Alltagspolitik von Verfassungs wegen tabu und immun. Hier liegt der große Unterschied zum Verwaltungsbeamten, der durch seine Weisungsgebundenheit direkt von seinen Vorgesetzten abhängig ist. Da die Spitze der Verwaltung parteipolitisch organisiert ist, dringen im Wege von Weisungen die aktuellen Zielsetzungen und Wünsche der Regierungspartei(en) in die Gesetzesanwendung vor und können das Gesetz, ja die Verfassung verdrängen; erst die Kontrolle im Wege der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit paßt solche Verwaltungsakte an Verfassung und Gesetz an und kann — wie Merkl sagt — den Einfluß zulässig oder unzulässig gegebener Weisungen auf den Inhalt des Aktes ausschließen. Es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß Richter und Gesetz zusammengehören. Sie sind die Basis eines Dreiecks, das in der Freiheit des einzelnen gipfelt. Ohne den unabhängigen Richter ist die Verwirklichung des im Gesetz kristallisierten Panlaments-(Volks-)willens nicht gesichert. Ohne den unabhängigen Richter ist aber auch die Verwirklichung der Grundrechte und der Privatautonomie ungesichert. Daher ist jeder Versuch, die richterliche Selbständigkeit zu sichern oder zu stärken, vom Standpunkt der Demokratie und des Rechtsstaates zu begrüßen.

Die Bestellung des Richterpersonals weist aus, ob und wie sich ein Staat zur Selbständigkeit des Richterstandes bekennt. Eine politisch bedingte oder bedingende Berufung des Richters widerspricht der Intention der Verfassung. Die Personalergänzung durch innerdienstliche Selbstauslese sichert wohl am meisten Fairneß, Objektivität und politische Neutralität. Sie hat sich beim Conseil d'Etat in Frankreich und beim österreichischen Verwaltungsgerichtshof ausgezeichnet bewährt. Diese Ausnahmeregelung von heute sei Vorbild für die Regelbestimmung der Zukunft.

Die Forderung des Justizministers hat im übrigen in der republikanischen Frühzeit Österreichs eine normative Entsprechung gefunden, nämlich im Paragraph 5 des Grundgesetzes vom 22. November 1918 über die richterliche Gewalt, wonach an Stelle des freien Ernennungsrechtes durch den Kaiser die Ernennung durch den Staatsrat (oder in dessen Auftrag durch den Staatssekretär für Justiz) getreten war, und zwar auf Grund bindender Besetzungsvorschläge der durch die Gerichtsverfassung bestimmten richterlichen Senate. Dies in einer Ära des Regierungstypus der Versammlungsregierung, da die Staatsmacht in einer demokratisch gewählten Versammlung als einzigem Machtträger konzentriert und die Exekutive der Versammlung unbedingt untergeordnet war! Kleca-tsky hält daher seinen Gegnern, die das „unentbehrliche Korrektiv“ der Regierung vertreten, entgegen: „Wenn die Abgeordneten während der Ära einer extrem parlamentarischen Demokratie in dem bindenden Charakter der Besetzungsvorschläge keine die verfassungsmäßige Parlamentsherrschaft beeinträchtigende und gefährdende .richterstaatliche' Tendenz sahen, so sollte man sich heute um so eher Dramatisierungen solcher Art versagen.“

Das ideale Wertmaß zur Beurteilung des Verfahrens zur Bestellung der Richter besteht nach Korl Loewenstein aus zwei Prinzipien: Einmal sollen alle politischen Einflußnahmen ausgeschlossen werden, zum anderen soll Gewißheit darüber gegeben sein, daß nur das beste Talent, gemessen an beruflicher Leistung und Charakterstärke, in die Richterlaufbahn gelangt. — Ein solches Idealverfahren ist bisher nicht gefunden worden. Es wird auch nicht gefunden werden. Doch dürfte der Vorschlag des Justizministers das Ideal zumindest asymptotisch realisieren. Die Bindung der Regierung an richterliche Besetzungsvorschläge würde einerseits ein politisches Vorbeugen und Verbeugen der Richter von vornherein ausschließen, anderseits wären die Richter durch die Selbstauslese vom Partei- und Regierungsgetriebe abgeschirmt und überhaupt allen — eine freie, unbefangene und selbständige Auffassung — trübenden politischen Beziehungen eher entrückt als bisher. Die Richter blieben gewissermaßen unter sich; ihre Vorschläge wären Ausfluß und Bürgschaft der richterlichen Autonomie. Sie wären eine Garantie für die Kollegialität und Solidarität der Richter und für die Eigenständigkeit und Selbständigkeit des Richterstandes.

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