Österreich als Vorbild für Europa

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Europas Agrarpolitik steht vor entscheidenden Weichenstellungen: Weitere Anpassung an den Weltmarkt oder ein eigenständiger europäischer Weg?

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Europas Agrarpolitik steht vor entscheidenden Weichenstellungen: Weitere Anpassung an den Weltmarkt oder ein eigenständiger europäischer Weg?

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Philosophie, Agrarpolitik und Mode haben eines gemeinsam: Es kommt alles wieder! Als der bekannte ÖVP-Politiker und Publizist, Karl Pisa, in einem 1964 erschienenen Büchlein die provokante Frage stellte: "Besser leben ohne Bauern?", war allenthalben verständnisloses Kopfschütteln die Folge.

Der spätere Staatssekretär für Öffentlichkeitsarbeit und Information im Kabinett Josef Klaus (1966 bis 1970) wußte schon vor fast 35 Jahren die richtige Antwort, wenn er feststellte, Bauern sind nicht nur Kalorienproduzenten, sondern vor allem auch für die Erhaltung der Kulturlandschaft notwendig.

Die Multifunktionalität der bäuerlichen Familienwirtschaften ist also keine Erfindung der heutigen Agrarpolitiker, sondern wurde schon zu einem Zeitpunkt erkannt, als ökologische Fragen sowie eine offensive Politik für den ländlichen Raum erst in den Kinderschuhen steckten.

Rationalisierung, Spezialisierung, Arbeitsteilung und Produktivitätssteigerung hießen die ökonomischen Schlagworte der Agrarpolitik Ende der sechziger Jahre, als der viel gepriesene und noch öfter gescholtene damalige holländische Agrarkommissar, Sicco Mansholt, 1969 seine Vorstellungen über eine moderne europäische Landwirtschaft präsentierte und kontinentale Eruptionen auslöste, nur vergleichbar mit der heutigen Protestwelle gegen Franz Fischlers "Agenda 2000".

Die in den fünfziger Jahren gepriesene Lehre von der betrieblichen Vielfalt (Tierhaltung kombiniert mit Pflanzenproduktion) feiert nunmehr eine Renaissance. Biobauern, noch vor 15 Jahren als einfältige Sekte innerhalb der wachstumsorientierten, fortschrittsgläubigen Landwirtschaft belächelt und in der offiziellen Agrarpolitik suspekt, sind heute Vorzeigebetriebe und Liebkind der politischen Würdenträger aller Parteien. Die konventionelle Landwirtschaft, früher ausschließliches Leitbild, steht dagegen heute - zu Unrecht - nicht selten auf der Anklagebank oder mutiert zum "Leidbild".

Vor kurzem erschien das Buch "Braucht Europa seine Bauern noch?" (Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997). Als Herausgeber zeichnet unter anderen der im Vorjahr im Alter von 90 Jahren verstorbene und in Österreich sehr bekannte deutsche Agrarökonom Hermann Priebe verantwortlich, der schonungslos das Sündenregister der europäischen Agrarpolitik seit 1958 aufzählt und die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) als "erfolgreiche Fehlkonstruktion" anprangert.

Die ökologisch bedenkliche Entwicklung widerspiegelt sich auch in der Agrarstatistik: Sechs Prozent der EU-Getreidebauern haben 50 Prozent der Fläche und produzieren 60 Prozent der Erträge; 15 Prozent der Milchbauern erzeugen die Hälfte der gesamten Milchmenge; zehn Prozent der Stiermäster erzeugen 50 Prozent der Fleischmenge und 20 Prozent der Bauern bekommen in der EU 80 Prozent der Direktzahlungen. Die viel kritisierten Kosten der GAP im Marktbereich sind in den letzten 15 Jahren explodiert.

Seit 1980 hat Brüssel die Landwirtschaft mit 11.200 Milliarden Schilling alimentiert, ermittelte der Bonner Agrarwissenschaftler Rudolf Wolffram. Lediglich 4.200 Milliarden davon kamen der Landwirtschaft oder wenigstens den vor- und nachgelagerten Sektoren zugute; 7.000 Milliarden Schilling gingen der europäischen Volkswirtschaft völlig verloren, zieht der Agrarökonom, von den Bauernverbänden heftig kritisiert, anfechtbare Schlüsse. "Die größte Geldvernichtung der Weltgeschichte" urteilt nicht weniger provokant Ernst Zurek von der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie in Deutschland.

Österreichischer Weg aus der Sackgasse?

Österreich hat aber nach drei Jahren EU-Mitgliedschaft tiefe und erfolgreiche Spuren im agrarpolitischen Umdenkprozeß in Brüssel hinterlassen. Das Bekenntnis zu einer flächendeckenden bäuerlichen Landwirtschaft, zu dem sich der EU-Agrarministerrat im November des Vorjahres durchrang, das mittlerweile vielzitierte "Europäische Agrarmodell", wäre ein (österreichischer) Weg aus der Sackgasse.

Im Buch "Braucht Europa seine Bauern noch?", das ein beeindruckendes Plädoyer für eine bäuerliche Agrarwirtschaft enthält, werden auch die Prinzipien für eine zukunftsfähige Landwirtschaft entwickelt.

In diesen Leitlinien bilden die Zusammenführung von Pflanzenbau und Tierhaltung in Gemischtbetrieben, die Bindung der Viehhaltung an die bewirtschaftete Fläche (1,5 GVE/ha), die artgerechte Tierhaltung, der Anbau vielfältiger Fruchtfolgen, die Abkoppelung von Ausgleichszahlungen von Produktionsmengen und Flächenerträgen sowie die Einführung von Betriebsmittelsteuern einen zentralen Ansatz. Die Autoren sprechen sich auch für einen Außenschutz an den EU-Grenzen und für die Aufnahme ökologischer und sozialer Kriterien in die zukünftige Strategie bei den 1999 beginnenden WTO-Verhandlungen aus. Mehr denn je sind Bauern und übrige Gesellschaft als "Partner des Überlebens" aufeinander angewiesen.

Die Frage aber, wer und wozu und vor allem wie viele Bauern im nächsten Jahrhundert gebraucht werden, bleibt weitgehend unbeantwortet. Die Sicherung der Ernährung, die Produktion nachwachsender Rohstoffe, die Erhaltung der Kulturlandschaft als Inbegriff der beständigen Agrikultur sind wichtige Aufgaben und Leistungen, auf die unsere Gesellschaft nicht verzichten kann. Wer dies will, muß sich im klaren sein, daß die Landwirtschaft nicht Subventionen, dafür aber Leistungsentgelte benötigt. Über Bauern zu reden, zu schreiben, ihre Existenzsicherung zu fordern, ist lobenswert, über die Agrarpreise allein wird aber in einer globalisierenden Weltwirtschaft keine Agrikultur zu finanzieren sein.

Die Ära der Marginalisierung des Primärsektors geht zu Ende. Die Basisproduktion "Landwirtschaft" muß, dies fordern immer mehr Wissenschafter und Politiker, vom Rand in die Mitte gerückt werden. Hier kommt auf die Politik eine große Reformaufgabe zu. Dies zu erkennen, dazu hat zweifellos die österreichische Agrarpolitik viel beigetragen und kann in ihrer Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1998 die Chance nützen.

Eine auf Nachhaltigkeit und Dauer angelegte Agrarpolitik könnte Modell für die Fähigkeit des alten Kontinents werden, den Übergang zu einem neuen und schonenden Umgang mit den Ressourcen der Erde zu schaffen, um zu einer dauerhaften Wirtschaftsweise (Kreislaufwirtschaft) zu gelangen. Europa braucht seine Bauern in Zukunft bestimmt nötiger denn je!

Der Autor ist Ministerialrat im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft.

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