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Anmerkungen zum Identitätsdiskurs des Landes.

Der Tod von Kurt Waldheim bietet auch Anlass, einmal mehr über das Selbst- und Fremdbild Österreichs nachzudenken. Denn in den letzten Tagen wurde erneut deutlich, dass aus Waldheim längst "Waldheim" geworden ist, dass also der Altbundespräsident als eine, nein die Chiffre schlechthin für ein Land in seiner notorisch behaupteten Sonderstellung, mit seinem vorgeblich singulär mangelhaften identitäts- und vergangenheitspolitischen Diskurs fungiert. Die "Entpersönlichung der medientauglichen Galionsfigur Waldheim" hat das Engelbert Washietl in der Wiener Zeitung trefflich genannt.

Nein, es gehe nicht um die Person, heißt es jetzt wieder - wie schon in der Schlussphase der Kontroverse vor zwanzig Jahren. (Das ist, nebenbei bemerkt, überhaupt eine der verblüffendsten Erkenntnisse der vergangenen Woche: dass die Diskussion sich so gut wie nicht weiter gedreht hat; die alten Positionen wurden bezogen, die Protagonisten von damals, leicht gealtert, haben ihre Argumentationsgeschütze aus dem Depot geholt und in Stellung gebracht. Die Rede vom Lernen aus der Geschichte, von der "Katharsis" durch die "Causa Waldheim" erscheint so in einem etwas fahlen Licht …) Also nicht um Kurt Waldheim gehe es, sondern um das Land. Und indem man Waldheim - nachdem von den monströsen Vorwürfen nichts übrig geblieben ist - klein und schäbig redet, redet man auch das Land klein und schäbig und diskreditiert es solcherart als "Waldheimat". "Er war ein echter Österreicher", heißt das dann (© Herbert Lackner im profil).

"Waldheimat": In diesem Begriff spiegelt sich ein Lieblingstopos der heimischen Linken wider - die Verwischung der Grenzen zwischen dem totalitären Ständestaat-Regime und der NS-Diktatur; die Amalgamierung von katholisch-bodenständigem Provinzialismus mit der rassistischen Barbarei. Dass es solche Verbindungslinien gibt, soll selbstverständlich nicht bestritten werden - aber die Betonung der quasi bruchlosen Kontinuität, war doch stets wesentlicher Bestandteil eines machtpolitischen Kalküls: der moralischen Selbstvergewisserung, fundiert durch das Bewusstsein, auf der "richtigen" Seite gestanden zu sein: Faschisten, das waren die anderen (und "Sozialismus" kommt im Wort "Faschismus" praktischerweise nicht vor …).

Den "echten Österreichern" stehen jene gegenüber, die definieren, was den "echten Österreicher" ausmacht - und die sich selbst, kollektiv, zum "anderen Österreich" stilisieren. Die Kritik, die von diesem "anderen Österreich" artikuliert wird, trifft zweifellos auch manch wahren Punkt; was indes irritiert, ist die Pose der Selbstgerechtigkeit. "Sie sollen nur nicht so tun, als hätte erst André Heller den Wiener Heldenplatz entsühnt", bemerkte Hubert Feichtlbauer in einer Furche-Kolumne anno 1992, zum Abschied Waldheims von der Hofburg, lakonisch.

Warum aber ist der "echte Österreicher", der Bewohner der "Waldheimat", wie er ist? Was unterscheidet ihn von den "echten" Franzosen, Polen, Italienern, von Nicht-Europäern gar nicht zu reden? Darüber lassen sich durchaus fruchtbringende historische Debatten führen, wie das ja auch geschehen ist. Dabei kann es freilich keine Stunde null geben: nicht das Jahr 1938, nicht das Jahr 1934 (und natürlich auch nicht 1945/55). Jede Zeit erklärt sich bis zu einem gewissen Grad aus der je vorangegangenen Epoche. Schnell ist man dann beim Ersten Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, doch auch die ist bekanntlich nicht vom Himmel gefallen. Also das Versagen der Habsburger-Monarchen im 19. Jahrhundert, die Gegenreformation, …? Irgendwann langen wir bei der Ostarrichi-Urkunde von 996 an - mit einigem Erkenntnisgewinn, gewiss, aber doch ohne Antwort auf unsere Frage.

Keine Antwort, aber ein Hinweis zum Schluss: Es wird wohl so sein, dass das Fremdbild Österreichs letztlich eine Projektion unseres Selbstbildes ist. Genauer: Das "andere" und das "echte" Österreich leben in einer nachgerade symbiotischen Beziehung, beide brauchen einander, beide haben auch ihre stets verlässlich agierenden medialen Erregungsorgane. Einer, der wie Kurt Waldheim in diese Mühlen gerät, ist chancenlos. Das große Österreich-Spiel funktioniert heute wie 1986 ff.

rudolf.mitloehner@furche.at

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