"Österreich macht sich auch selbst Probleme"

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die furche: Herr Botschafter, ist Ihrer Meinung nach das Kapitel "Temelín" abgeschlossen?

Botschafter JiÇrí GruÇsa: Als tschechischer Botschafter kann ich Ihnen sagen, dass dies abgeschlossen ist. Aber natürlich, wir wissen beide ganz genau, dass es Ritualitäten geben wird. Wir sollten längst dieses Kapitel beiseite lassen. Die Österreicher machen uns zwar Probleme, aber sie machen diese Probleme auch sich selbst. Es ist ein doppeltes Spiel mit vielen Varianten. Je kürzer wir das Spiel spielen, umso besser für uns beide.

die furche: Warum spricht niemand über Dukovany?

GruÇsa: Das ist eine Frage, die ich Ihnen stellen würde. Denn ich weiß die Antwort nicht. Ich weiß auch nicht, warum niemand über das Atomkraftwerk in Ungarn oder in der Schweiz spricht. Nicht, dass ich den Ungarn oder der Schweiz wünschen würde, sie hätten unsere Schwierigkeiten, keinesfalls. Die Tschechen waren die ersten, die sich nach der Wende für eine Nachrüstung im Sinne der Sicherheit und der westlichen Standards entschieden. Es sind 20 Milliarden Schilling investiert worden. Hätten die Entscheidungsträger sich für die ungarische und Dukovany-Technik entschieden, wäre das Werk längst ans Netz gegangen. Deswegen ist dies technologisch und aus den sogenannten Sicherheitsgründen bei uns nicht nachvollziehbar - selbst bei den Gegnern. Da muss noch etwas dahinterstecken, sagt jeder bei uns. Je schneller wir das, was dahintersteckt, beseitigen, umso besser für unsere beiden Nationen.

die furche: Wenn nun Temelín den Vollbetrieb aufnimmt, was passiert mit den Kohlekraftwerken in Nordböhmen?

GruÇsa: Da stellen Sie eine wichtige Frage. Niemand hat hier in Betracht gezogen, wie sich die Umweltpolitik in der Tschechischen Republik verbessern lassen kann, das hängt mit der Schließung des Kohleabbaus zusammen, mit der Komponente, dass die Leute dort ihren Job verlieren. Wir werden ganz bestimmt eine sozial ausgewogene Politik machen, die aber darauf hinzielt, so viel wie möglich umweltverträgliche Energie zu produzieren. Das heißt nicht automatisch die Atomkraft. Wer die Kohleminen in Nordböhmen je gesehen und dort gelebt hat, der weiß, worüber ich rede.

die furche: Hatte oder hat Tschechien die Möglichkeit, so wie Österreich, Wasserkraftwerke einzusetzen?

GruÇsa: Ja, aber verglichen mit Österreich können wir höchstens viereinhalb oder sechs Prozent unseres Bedarfes decken. Es ist verglichen mit Österreich zu wenig. Hier wäre eine gemeinsame Politik möglich. Wasser ist der Rohstoff der Zukunft und wir beide, Österreich und Tschechien, gehören zu den Ländern, die das Wasser "produzieren". Das ist eine zukunftsträchtige Überlegung.

die furche: Sehen Sie Möglichkeiten für österreichische Unternehmer, auf dem Gebiet der erneuerbaren Energie Hilfestellung zu geben?

GruÇsa: Die Österreicher haben uns gegenüber einen großen Vorsprung und es gibt schon die ersten Schritte in dieser Richtung. Minister Molterer und andere haben dies schon angeschnitten. Ich sehe hier eine große Chance. Die Diskussion wäre bei uns leichter, hätte man ständig auch wirtschaftlich praktisch in dieser Richtung nicht nur argumentiert, sondern vorgefühlt, was zu machen ist, und investiert. Für die Zukunft ist dies nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Weil wir jetzt auch diese kleinen Kreisstrukturen haben, ist die Basis, mit den österreichischen Ländern zusammenzuarbeiten, unbürokratischer zu erreichen. Und auch gemeinsam, sozusagen "investitionell", in Hinsicht auf die EU-Finanz sind Möglichkeiten machbar.

die furche: Heuer sind Wahlen in Tschechien. Könnte durch eine Regierungsänderung auch eine Änderung bei der Energiepolitik erfolgen?

GruÇsa: Also das bezweifle ich durchaus.

die furche: In den deutschen und österreichischen Medien ist immer wieder von Kritik der UNO an den BeneÇs-Dekreten die Rede. Laut Umfrage in der tschechischen Bevölkerung sind 49 Prozent für die Beibehaltung. Wie sehen Sie diesen Umstand?

GruÇsa: Die Beibehaltung in diesem Sinne bedeutet, dass man es nicht generell aufhebt, dass es als ein historischer Bestandteil Tschechiens, als ein totes Recht belassen wird. Das bedeutet nicht, dass diese Leute der Meinung sind, das ist ein gültiges Recht. Es geht um eine klare Unterscheidung zwischen zwei Ebenen. Erstens um eine Konfiskation und eine Restribution eines Feindes, der bedingungslos kapitulierte nach einem Krieg, in dem das Land besetzt, dessen Staatlichkeit aufgehoben und eine Umvolkung betrieben wurde. Also die Rekonstruktion des Staates und die Zur-Verantwortung-Ziehung der Täter, das können wir in keiner Position aufheben. Eine andere Frage ist, wie das mit der tschechischen - oder damals tschechoslowakischen - Rechtslage zu vereinbaren war, das heißt, mit den für uns selbst gültigen Gesetzen. Das ist eine Frage, die wir uns stellen müssen: Und wie Sie sehen, 51 Prozent haben eine andere Meinung. Was darauf hinzielt, dass mit der Wiederherstellung der tschechischen Demokratie und ihrer Festigung dies gewiß irgendwann beantwortet wird, aber nur in Hinblick auf eine gemeinsame Leistung, was die Vergangenheit anlangt.

die furche: Stichwort Osterweiterung: Es gibt Kritik seitens des Internationales Währungsfonds und der OECD daran, dass die rechtlichen Grundlagen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht dem EU-Standard entsprechen.

GruÇsa: Es ist gut, wenn uns jemand auf diese Art aufmerksam macht, und das ist auch in der tschechischen Öffentlichkeit und in den Parteien genau das Thema. Ich hoffe, dass das nepotistische und direktoriale Denken der Vorzeit damit verschwindet.

die furche: Glauben Sie, wie viele in Österreich das auch tun, dass bei einer Grenzöffnung tschechische Arbeiter und Fachkräfte unser Land mehr oder weniger überrollen werden?

GruÇsa: Besonders Niederösterreich und Südmähren, Südböhmen und Oberösterreich haben mentalitätsmäßig vieles gemeinsam. Bei uns haben die Leute keine große Mobilität, weil sie aus einer alten kakanischen Tradition stammen, die das heimatliche wesentlich mehr schätzt als einen industriellen Erfolg, sogar über dem großen Teich. Und wir haben selber nicht genug Arbeitskräfte. Wir sind längst zu einem Zielland geworden mit denselben Problemen. Es kann natürlich zu einer partiellen Konkurrenz kommen aus wirtschaftlichem Interesse der Österreicher. Dasselbe gilt für uns. Sie wissen, dass wir viele Ukrainer, Polen und Slowaken haben - und einige Österreicher in den höheren Etagen, längst gut bezahlt, besser als in Österreich.

die furche: Sie sind auch Lyriker und Romancier. Wie lässt sich das mit der Position als Spitzendiplomat, als öffentlicher Vertreter der Tschechischen Republik - zuerst in Deutschland und seit 1998 in Österreich - vereinbaren?

GruÇsa: Es ist eine nicht immer leicht zu vereinbarende Position. Denn ich kann dieses Amt nur so lange ausüben, solange ich in irgend einer intellektuellen Form auch das nachvollziehen kann, was meine Regierung will. In diesem Sinne bin ich kein klassischer Beamter. Und das will ich mir so erhalten, solange es noch geht. Wenn es nicht gehen sollte, dann muss ich Adieu sagen.

Das Gespräch

führte Peter Soukup.

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