Österreichs zweiter Anschluss

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Die Bundesrepublik Deutschland kauft Österreichs Wirtschaft auf

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Die Bundesrepublik Deutschland kauft Österreichs Wirtschaft auf

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Pharma-Großhandel, Reiseveranstalter und Banken, Airline-Allianz und Börse - fünf aktuelle Beispiele dafür, wie Österreichs Wirtschaft Schritt für Schritt erneut unter die Kontrolle des großen deutschen Bruders gerät. Fünf Schritte auf einem langen Marsch, der bereits in den fünfziger Jahren angetreten wurde.

War Österreichs Wirtschaft nach dem ersten, dem gewaltsamen Anschluss anno 1938, fast vollständig übernommen (manche Branchen gerieten zu 80 bis 90 Prozent unter deutsche Kontrolle) und in die Kriegswirtschaft Adolf Hitlers integriert worden, so erfolgte mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches vorerst eine Zäsur: Das deutsche Eigentum wurde in den ersten Nachkriegsjahren fast vollständig verstaatlicht.

Bis zum österreichischen Staatsvertrag 1955, der von der Haltung geprägt war, jede - selbst auch rein wirtschaftliche - Annäherung an Deutschland bereits im Keim zu ersticken, war der Einfluss des vermeintlichen großen Bruders hierzulande gleich Null. Doch der ließ sich nicht abschütteln. Hartnäckig und zäh suchte er, in der Zweiten Republik wieder wirtschaftlichen Fuß zu fassen, indem seine Konzerne hier neue Vertriebstöchter gründeten, wenn irgend möglich österreichische Unternehmen übernahmen oder trickreich ihre - per Gesetz verstaatlichten - Investitionen aus der Zeit vor 1945 wieder zurückeroberten.

Und wo das noch nicht möglich war, wurden zumindest Patent-, Lizenz- und Vertriebsabkommen mit den österreichischen Konkurrenten abgeschlossen und diese auf diese Weise sukzessive in die Abhängigkeit getrieben.

Der wirtschaftliche Vormarsch der Deutschen in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre schien bereits damals manchen höchst aggressiv zu sein. Eine Gruppe linker Ökonomen etwa stellte schon 1959 in einer Studie mit dem Titel "Der kalte Anschluss. Eine Untersuchung über den wachsenden westdeutschen Einfluss in der österreichischen Wirtschaft" besorgt fest: "Seit 1955 ist in Österreich ein Unterwanderungsprozess im Gang, der auf verschiedenen Wegen dazu führt, ansehnliche Sektoren der österreichischen Industrie und des Handels in Abhängigkeit des Auslandes, besonders der Bundesrepublik Deutschland zu bringen. (...) Was für England die amerikanische Wirtschaftsinfiltration bedeutet, ist für Österreich die westdeutsche. Dem Tempo nach ist sie eher als Invasion zu bezeichnen.".

Anfang der siebziger Jahre analysierte der renommierte Wirtschaftsjournalist Horst Knapp "das zunehmende Eindringen westlichen und vor allem deutschen Kapitals", nannte das den "stillen Anschluss an die Bundesrepublik" und warnte davor, dass die damit verbundene wirtschaftliche Abhängigkeit von den NATO-Staaten den damals noch gefürchteten "Russischen Bären", die Welt- und "Staatsvertragsschutzmacht" Sowjetunion reizen könnte.

Und Ende der Siebziger berichtete das Nachrichtenmagazin "profil" in einer Coverstory von der "Sahne-Front" und stellte sich die Frage: "Wie deutsch ist Österreich?" Die Antwort damals: "Deutschland ist irre am Drücker; seine Menschenkinder beherrschen Fremden- wie Straßenverkehr prima, seine Mark macht unsere Wirtschaft dufte."

Und im Zahlenstakkato: "2.700 Firmen aus der BRD, 7 Millionen Touristen und 7 Milliarden Wirtschaftskapital." Die vormals "stillen Teilhaber der Alpenrepublik" waren nicht mehr zu überhören.

Gut zwei Jahrzehnte später - als innerhalb von zwei Wochen österreichische Wirtschaftsikonen wie der Bugholz-Möbel-Erzeuger Thonet, der Handelskonzern Billa (samt Merkur, Mondo, Bipa & Co.) sowie die Papierfabrik Steyrermühl in deutsche Hände gerieten und praktisch gleichzeitig der Reifenwickler Semperit von dessen deutscher Mutter Continentale AG geplündert wurde -, stellte der inzwischen eingestellte Österreich-Ableger der deutschen Wirtschaftswoche nur mehr bang die Frage: "Österreich, eine deutsche Wirtschaftskolonie?" Das Cover zierte eine riesige Mozartkugel, auf der das Konterfei des "Wolferl" die Gesichtszüge des deutschen "Vereinigungskanzlers" Helmut Kohl trug. Dabei ist dieses süße touristische Symbol österreichischer Kultur längst ebenso germanisiert (größter Produzent ist Rajer im bayrischen Bad Reichenhall) wie sein liquides Pendant, der leberkillende achtzigprozentige "Stroh-Rum", den der deutsche Schnapsbrenner Eckes aufgesaugt hat.

Deutschlands 17. Bundesland Wirrschaftlich ist Österreich längst Deutschlands 17. Bundesland. "Österreich ist heute stärker in die deutsche Wirtschaft integriert als manches deutsche Bundesland, und zwar nicht nur stärker als die neuen Länder der ehemaligen DDR, auch stärker etwa als das Saarland", so der Direktor des Instituts fiir Höhere Studien, Bernhard Felderer. Eine Integration, die sich praktisch auf alle Gebiete erstreckt: Direktinvestitionen, Außenhandel, Währungspolitik, Fremdenverkehr - aber auch auf Kultur, Bildung und Medien.

Allein seit Österreichs EU-Beitritt 1995 wurden (bis Ende 1999) fast 100 Milliarden Schilling von Deutschen hierzulande investiert. In den 1.776 Unternehmen mit Sitz in Österreich, die unter wesentlichem deutschen Einfluss (Beteiligung mindestens zehn Prozent, das investierte Nominalkapital liegt über einer Million Schilling) stehen, arbeiten mehr als 180.000 Menschen. Vom gesamten von Ausländern Ende 1998 in Österreich investierten Nominalkapital in der Höhe von 96,7 Milliarden Schilling (Eigenkapital: 243,5 Milliarden; Marktwert: 343,2 Milliarden) stammten 47,7 Prozent aus Deutschland - während 1990 der deutsche Anteil erst 36,9 Prozent betragen hatte.

Gefahr für die eigenständige Entwicklung Insgesamt arbeitet bereits jeder fünfte heimische Beschäftigte in einer von ausländischen Eigentümern kontrollierten Firma, hat das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung 1998 erhoben, dessen Chef, Helmut Kramer, zugleich vor den daraus erwachsenden "Gefahren für die längerfristige eigenständige Entwicklung der österreichischen Wirtschaft" warnte - Gefahren, die umso größer sind, da das ausländische Kapital vor allem in den großen, "exportorientierten und forschungsintensiven Unternehmen steckt und damit die gut bezahlten Managerposten, die wirtschaftsnahen Dienstleister (Unternehmensberater, Werber, Anwälte etc.), die Entwicklungsabteilungen und die White-Collar-Jobs den Launen der Globalisierung ausgeliefert sind.

Ohne den großen Bruder im Nordwesten läuft in der kleinen Alpen-Donau-Republik fast gar nichts. 42 Prozent aller Importe kommen aus Deutschland, 35 Prozent aller Exporte gehen dorthin (1999). Das Ergebnis: eine bilaterale Handelsbilanz, die mit rund 87 Milliarden Schilling im Minus ist. Einziger Trost: der Fremdenverkehr, bei dem die deutschen Gäste rund 50 Milliarden Schilling (1999) mehr im Land lassen als die Österreicher bei ihnen ausgeben.

Doch auch hier die bedrohliche Kehrseite der Medaille: Österreichs Fremdenverkehrswirtschaft ist auf Gedeih und Verderb von den Urlaubern aus Deutschland abhängig. Von den 113 Millionen Nächtigungen im Jahr 1999 wurden 30 Millionen von Inländern in heimischen Betten verbracht, 53 Millionen hingegen von den viel geschmähten, aber heiß umworbenen "Piefkes". Sollten diese tatsächlich einmal jemand überzeugen wollen und können, Schifahren, Wandern oder Baden in Österreich sei unmoralisch, so wäre das mit Sicherheit der Ruin der rotweißroten Fremdenverkehrswirtschaft.

Die Verantwortung für die eigene Währung, wohl das wichtigste Symbol der wirtschaftlichen Unabhängigkeit eines Landes, hat Österreich bereits in den siebziger Jahren durch die fixe Bindung an die Deutsche Mark der Deutschen Bundesbank, liebevoll "Buba" genannt, abgetreten. Und mit Einführung des Euro ist der Schilling nun seit 1999 unwiderruflich mit der Mark vereint - womit sich allerdings nicht allzuviel geändert hat: Auch in Euroland tanzt alles nach der Pfeife der Buba, bläst der Bundesbank-Präsident letztlich den Marsch.

Und auch in der Europäischen Union übernimmt immer stärker das "deutsch-französische Direktorium" das Kommando. Was das bedeutet, wurde dem international umstrittenen Wende-Kabinett von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider per Rundlauf-Sanktionsbeschluss demonstriert.

"Die Anschlussbefürworter der Zwischenkriegszeit würden die jetzige Situation mit einer gewissen Befriedigung zur Kenntnis nehmen", hat der Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel bereits 1990 festgestellt - um weiter mit Hinweis auf den damals erst diskutierten Beitritt Österreichs zur Europäischen Union sein Unbehagen in Form einer Frage zu formulieren: "War nicht die gemäßigte Vorstellung des Anschlusses ein ,Sonderstatus' gewesen, ein Zusammengehen bei Erhalt der politischen Selbständigkeit, wobei nur das Staatsoberhaupt gemeinsam gewesen wäre?"

Christian Bellak, der Experte für grenzüberschreitende Investitionen unter Österreichs Ökonomen, analysiert den Ausverkauf der heimischen Wirtschaft trocken: Er sei "eine logische und angestrebte Konsequenz des EU-Beitrittes Österreichs sowie der Privatisierungswelle". Der Einsatz der Ressourcen würde nun eben nicht mehr auf nationaler, sondern - in einem Binnenmarkt selbstverständlich - auf internationaler Ebene optimiert.

"Damit", so Bellak, "ist der Ausverkauf nur eine Seite der Globalisierung: strukturelle Schwächen der österreichischen Industrie gepaart mit der Finanzkraft und Größe vor allem deutscher Unternehmen führen zu einer Übernahme und Verkaufswelle an ausländische Unternehmen - und eben nicht umgekehrt." (...)

1996 investierten Ausländer 47 Milliarden Schilling in Österreich, 1997 32 Milliarden, 1998 56 Milliarden und 1999 36 Milliarden Schilling. Allein in diesen vier Jahren kamen davon 94 Milliarden Schilling aus Deutschland.

Vor dem Hintergrund solcher Zahlen ortete der auf grenzüberschreitende Investitionen spezialisierte Ökonom Christian Bellak bereits 1996 drei Trends am österreichischen Markt der Fusionen und Übernahmen: "Erstens nimmt die Größe der Transaktionen zu; zweitens ist zunehmend der industrielle Kern der österreichischen Industrie betroffen; und drittens werden nach und nach auch ,einfach' abzusichernde Verfügungsrechte an das Ausland veräußert (zum Beispiel jene im Besitz des Staates oder der verstaatlichten Banken). Es handelt sich dabei nicht um feindliche Übernahmen, sondern um einen aktiven Verkauf."

Zum Stichtag ultimo Dezember 1998 bilanzierte die Oesterreichische Nationalbank - als Hüterin der Währung auch der Buchhalter aller grenzüberschreitenden Transaktionen - als aktive Direktinvestitionen österreichischer Unternehmen 2.805 Auslandstöchter (einschließlich Enkelunternehmen) mit zusammen 310.000 Beschäftigten. Dem stehen hierzulande 3.787 Unternehmen mit ausländischer Beteiligung (Töchter und Enkel) gegenüber, in denen 390.000 Menschen beschäftigt sind.

Ein Nachzüglicher in der Globalisierung So beeindruckend diese Zahlen für sich genommen sind, im internationalen Vergleich ist Österreich damit ein Nachzügler in der Globalisierung. Während der Wert der österreichischen Beteiligungen im Ausland (aktive Direktinvestitionsbestände) 1993 rund fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entsprach, war diese Quote bei vergleichbaren Ländern merklich höher: Finnland 15 Prozent, Kanada 16 Prozent, Belgien-Luxemburg 20 Prozent, Schweden 26 Prozent, Schweiz 38 Prozent und die Niederlande gar 43 Prozent (jeweils gemessen am nationalen BIP).

Bei den passiven Direktinvestitionen, dem ausländischen Kapital im jeweiligen Land, waren die Relationen ähnlich, wenngleich nicht ganz so extrem: In Österreich entsprach 1993 das Auslandskapital in der Wirtschaft rund sieben Prozent des BIP; in Finnland waren es nur fünf Prozent, in Schweden auch nur sieben Prozent, in der Schweiz 16 Prozent, in Kanada 20 Prozent, in Belgien-Luxemburg 27 Prozent und in den Niederlanden 28 Prozent (jeweils gemessen am nationalen BIP). Gegen Ende der neunziger Jahre hat sich die Internationalisierung der österreichischen Wirtschaft deutlich beschleunigt, aber nach wie vor strömt viel mehr ausländisches - vor allem deutsches - Kapital herein, als österreichisches außerhalb der Grenzen investiert wird. (...) Während die Schweiz, Schweden und Finnland vor allem Positionen in fremden Ländern erobern, ist Österreich ein Land, das erobert wird.

Der Zweite Anschluss. Deutschlands Griff nach Österreichs Wirtschaft.

Von Klaus Grubelnik. Molden-Verlag, Wien 2000, 320 Seiten, öS 337.,-/e 24,54 Thema: Juli 2000: Die bayerische "Hypo-Vereinsbank" erwirbt die "Bank Austria". Wieder ein österreichisches Flagschiff in deutschen Händen. Wie groß der deutsche Einfluss schon ist, schildert das Ende 2000 erschienene Buch "Der zweite Anschluss". Im folgenden ein Auszug aus dem gut dokumentierten, lesenswertenWerk.

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