Game Over für ­„Message Control“ - Nach Veröffentlichung der Aufnahmen aus Ibiza gab es nicht mehr viel zu kontrollieren – die Message hatte sich verselbstständigt. Resultat: Rücktritt des Vizekanzlers, Auflösung der Bundesregierung. - © Foto: APA / Helmut Fohringer

Kathrin Stainer-Hämmerle: „ÖVP bekannt für Parteichef-Mord“

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Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle über die Folgen von Ibiza, den Konnex zwischen autoritären Fantasien und Korruption, das Scheitern des Bundeskanzlers und Österreichs politische Zukunft.

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Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle über die Folgen von Ibiza, den Konnex zwischen autoritären Fantasien und Korruption, das Scheitern des Bundeskanzlers und Österreichs politische Zukunft.

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Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle analysiert die aktuelle Regierungskrise, die Strafbarkeit der schwerwiegenden Vorwürfe gegen Heinz-Christian Strache und welche Parteien nach der Neuwahl in der Regierung sitzen werden.

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 Stainer-Hämmerle - Kathrin Stainer-Hämmerle - © Foto: FH Kärnten
© Foto: FH Kärnten

Kathrin Stainer-Hämmerle

DIE FURCHE: Frau Stainer-Hämmerle, noch vor zwei Wochen haben wir in dieser Zeitung über die Chancen der Bundesregierung gesprochen, die volle Legislaturperiode zu überstehen. Sollte nicht eine „besonders stinkerte Leich’“ auftauchen, vermuteten Sie, stünden die Chancen für ein türkis-blaues Langzeitprojekt nicht schlecht. Dass nun derart schnell eine derart „stinkerte Leich’“ auftauchen würde – damit hätte abseits des kleinen Personenkreises, der bereits um das Ibiza-Video wusste, wohl niemand gerechnet. Oder?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Nein. Gleichzeitig sieht man aber auch, wie Türkis-Blau in einer Art Kettenreaktion zusammengebrochen ist. Und wie tönern die Füße zuvor schon waren. Die einstige Harmonie war aufgrund der Serie an Vorfällen bereits deutlich angekratzt. Ich glaube nicht, dass ein weiteres „Rattengedicht“ die Koalition zum Kippen gebracht hätte. Ihr Fundament war aber schon unterhöhlt. Gleichzeitig gehe ich doch davon aus, dass ein Skandal dieser Größenordnung auch alleine ge­reicht hätte, um die Koalition zu beenden.

DIE FURCHE: Das entstandene Sittenbild ist für Österreichs Politik auf etlichen Ebenen fatal. Wie lautet Ihre erste Schadensbilanz?
Stainer-Hämmerle: Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist das Vertrauen in die Politik natürlich zutiefst erschüttert. Dazu hat sich auch das zweite Koalitionsmodell diskreditiert: Zuvor wollte man keine große Koalition mehr – jetzt hat sich wohl auch die FPÖ auf lange Zeit aus dem Regierungsspiel genommen. Das bedeutet, dass Möglichkeiten neuer demokratischer Mehrheiten wieder stark eingeschränkt sind. Das Image im Ausland leidet natürlich erneut massiv und das wird uns auch in der EU nicht gut tun. Denn da geht es zum Beispiel auch um Kommissionsposten. Ich würde also nicht damit rechnen, dass Österreich nach diesen Vorkommnissen einen mächtigen Kommissar bekommt. Wir sind ein Binnenland, also wird es nicht gerade die Fischerei werden. Aber man wird uns mit einem Ressort abspeisen, bei dem Europa sich denkt: Österreich kann hier keinen Schaden anrichten.

DIE FURCHE: Korruptionstatbestände sind bereits mit der „Forderung“ nach einem Vorteil erfüllt. Strafrechtler Andreas Scheil wies zudem darauf hin, dass Heinz-Chris­tian Strache 2017 als Nationalratsabgeordneter – entgegen anderer Stimmen – bereits Amtsträger war. Wie schätzen Sie die Frage der Strafbarkeit ein?
Stainer-Hämmerle: Ich würde einer Strafbarkeit auch Chancen zurechnen. Denn als Klubobmann und Parteichef hatte Strache ja bereits Einflussmöglichkeiten bei zahlreichen Entscheidungen. Und bei Korruption zählt der Versuch eben gleichviel wie die Ausführung. Beim Verdacht auf illegale Parteienfinanzierung beginnt jetzt natürlich die Suche. Der Verein mit drei Rechtsanwälten klang ja recht real bei Strache. Ob und wo es tatsächlich Zahlungen gab, muss überprüft werden.

DIE FURCHE: Über die Auftraggeber des Videos gibt es etliche Spekulationen und Verschwörungstheorien. Was davon halten Sie für theoretisch denkbar und was nicht?
Stainer-Hämmerle: Für undenkbar halte ich, dass die SPÖ dahintersteckt, wie die Freiheitlichen mit dem Verweis auf Tal Silberstein andeuteten – und was auch Kanzler Kurz übernommen hat. Ich kann natürlich nicht völlig ausschließen, dass sich Silberstein verselbstständigt hat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine Auftragsarbeit der SPÖ ist oder sie davon gewusst hat. Von einer Aktivistengruppe bis zu Kampagnenprofis wäre wohl alles denkbar. Betrachtet man den Aufwand für die Aktion, dürfte jedenfalls eine finanziell gut aufgestellte Gruppe dahinterstecken.

DIE FURCHE: Es gibt auch diverse Geheimdienst-Thesen. Könnte es bei der jetzigen Veröffentlichung darum gegangen sein, die europaweit aufstrebende Rechtsallianz zu schwächen?
Stainer-Hämmerle: Die Erwartungshaltung ist ja, dass der russische Geheimdienst versucht, Europa zu schwächen. Dann müsste er aber eher versuchen, die russlandfreundliche FPÖ zu fördern. So wie generell zu erwarten war, dass er euroskeptische Rechtsparteien mittels Desinformationskampagnen zu unterstützen sucht. Die Frage beim Ibiza-Video ist: Welcher Geheimdienst dieser Erde hätte Interesse, Europa zu stärken und würde dabei Methoden verwenden, die das Vertrauen in Politik erschüttern? Das passt für mich nicht zusammen.

DIE FURCHE: Eine andere These lautet, bei den Urhebern könnte es sich ursprünglich um einen Erpresserring gehandelt haben, der kompromittierendes Material gegen hohe Politik- und Wirtschaftszirkel sammelt.
Stainer-Hämmerle: Das ist grundsätzlich natürlich denkbar und nicht abwegig. Hätte man allerdings im konkreten Fall zuvor versucht, die FPÖ zu erpressen, dann wären die freiheitlichen Funktionäre zuletzt schon besonders cool gewesen. Ich hatte dagegen den Eindruck, dass sie in den vergangenen Tagen durchaus am falschen Fuß erwischt und überrascht wurden.

DIE FURCHE: Was bedeutet das politische Erdbeben in Wien für die EU-Wahl?
Stainer-Hämmerle: Die FPÖ-Plakate sind schon mit „Jetzt erst recht!“-Stickern überklebt. Ich glaube aber nicht, dass diese Linie funktioniert. Denn die Freiheitlichen mobilisieren ja vor allem EU-skeptische Wählerinnen und Wähler. Und ich denke, die werden jetzt doch in größerer Zahl zu Hause bleiben. Verluste für die FPÖ dürfte es jedenfalls geben. Auf der anderen Seite werden die Grünen sicher profitieren, weil die ja stets gegen die Rechtsparteien mobilisiert haben. Insgesamt erwarte ich eher eine sinkende als eine steigende Wahlbeteiligung – und Zugewinne für die Parteien links der Mitte bzw. für die Oppositionsparteien. Was die gesamteuropäische Ebene angeht: Ich glaube nicht, dass der eine oder andere Abgeordnete weniger aus Österreich der EU-Rechtsallianz tatsächlich abgehen wird. Und auch nicht, dass das Ibiza-Video große Auswirkungen auf die Wahlergebnisse anderer EU-Länder hat. Auch wenn sich für andere rechtspopulistische Parteien schon da und dort der Zuspruch verringern könnte.

Kurz steht auch vonseiten der Medien und der Öffentlichkeit künftig unter anderer Beobachtung. Der Lack ist ein gutes Stück ab. Und das wird er nicht mehr völlig los.

DIE FURCHE: Mit nennenswertem Ausstrahlungseffekt auf das Wahlergebnis in, sagen wir, Belgien, den Niederlanden oder Frankreich dürfte aber wohl nicht zu rechnen sein.
Stainer-Hämmerle: Nein, denn wir wissen ja auch, dass innenpolitische Motive bei den EU-Wahlen in allen Ländern eine Rolle spielen. Es wird in anderen europäischen Staaten also nicht unbedingt um österreichische Politik gehen. Ein gewisser Shift von Rechtsaußen- zu Mitte-Rechts-Parteien wäre aber denkbar.
Die Furche: Hierzulande wird es wohl gewisse Wanderbewegungen von gemäßigten FPÖ-Wählern zur ÖVP geben.
Stainer-Hämmerle: Der harte Kern der freiheitlichen Wähler wird auf die Parole „Jetzt erst recht!“ natürlich reagieren. Die Partei versucht ja mit allen Mitteln, darunter die kollektiven Minister-Rücktritte, die eigenen Reihen zu schließen. Es wird bei der EU-Wahl also gut erkennbar sein, wie groß dieser harte Kern der FPÖ-Wähler und Unterstützer ihrer Politik tatsächlich ist. Abseits dieses Kerns werden natürlich einige zur Kurz-ÖVP wandern. Ich denke aber, dass der größere Teil enttäuschter FP-Wähler einfach nicht wählen gehen wird.

DIE FURCHE: Was steht der heimischen Politik nun bis zur Neuwahl bevor?
Stainer-Hämmerle: Eine Expertenregierung ist natürlich ein spannendes Experiment – das gab es in Österreich ja noch nie. Auch wenn das natürlich kein Modell für die Dauer, sondern nur zur Überbrückung von Krisen ist: Es erweitert die Handlungsmöglichkeiten. Spannend wird auch, welche Koalitionsmöglichkeiten sich die Parteien versuchen, offen zu lassen.

DIE FURCHE: Welche Koalitionsvarianten halten Sie nach einer Neuwahl für denkbar?
Stainer-Hämmerle: Diese Frage hängt auch stark von den handelnden Personen ab: SP-Chefin Rendi-Wagner und Kurz würden sich wohl schwer tun, zusammenzufinden. Bei Doskozil und Kurz wären die Chancen schon deutlich größer. Und wenn Sebastian Kurz die Wahl nicht so klar gewinnt, wie er und seine Partei sich das vorstellen, dann ist er vielleicht auch selbst nicht fix gesetzt bei der ÖVP. Sofern Rendi-Wagner und Meinl-Reisinger an der Spitze bleiben, gibt es sicher auch eine gute Achse zwischen SPÖ, NEOS und den Grünen.
Eine gemeinsame Koalition dieser drei Parteien gegen die Kurz-ÖVP wäre durchaus denkbar, auch wenn diese deutlich
auf Platz eins landet.

DIE FURCHE: Ob sich SPÖ-NEOS-Grün rechnerisch für eine Koalitionsmehrheit ausgehen könnte, ist aus heutiger Sicht allerdings äußerst fraglich. Ebenso, ob ÖVP und NEOS gemeinsam eine absolute Mehrheit erreichen könnten. Wahrscheinlicher ist dagegen, dass sich eine türkis-pink-grüne Koalition ausginge. Aber ist die inhaltlich machbar?
Stainer-Hämmerle: Das halte ich aufgrund programmatischer Differenzen eigentlich für
ausgeschlossen. Die Grünen werden im Wahlkampf wohl ganz massiv gegen Kurz kampagnisieren, nach dem Motto: Wir stehen gegen den Rechtsruck und alles, was passiert ist, ist auch passiert, weil wir nicht im Parlament waren. Danach zu sagen „jetzt koalieren wir aber miteinander“, ließe sich wohl schwer verkaufen. Dass die Grünen mit der Kurz-ÖVP eine inhaltliche Basis für ein Regierungs­übereinkommen finden, kann ich mir aber ohnehin nicht vorstellen.

DIE FURCHE: Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass letztlich wieder eine große Koalition kommt?
Stainer-Hämmerle: Eine große Koalition mit Doskozil und Kurz wäre gut vorstellbar. Ebenso eine mit Rendi-Wagner und jemand anderem als Kurz an der VP-Spitze. Jemandem aus der „alten“, noch von der Sozialpartnerschaft geprägten ÖVP. Diesen Flügel gibt es in der Partei ja nach wie vor. Kurz ist daher zum Siegen verdammt, um seine Autorität innerhalb der eigenen Partei zu wahren. Die ÖVP ist schließlich bekannt dafür, bei Turbulenzen ihre Vorsitzenden zu „ermorden“.

DIE FURCHE: Wie viel von diesem Regierungs-skandal, diesem Scheitern der Koalition, wird an Kurz haften bleiben? Das türkis-blaue Projekt wird sich künftig kaum mehr als Erfolgsgeschichte verkaufen lassen.
Stainer-Hämmerle: Derart weitreichende Reformen, wie in dieser Regierung geplant, wird Kurz in Zukunft sicher nicht mehr so freihändig durchführen können. Er steht auch vonseiten der Medien und Öffentlichkeit künftig unter anderer Beobachtung. Der Lack ist ein gutes Stück ab. Und das wird er nicht mehr völlig los.

DIE FURCHE: Die FPÖ liegt, auch personell, in Trümmern. Sich davon zu erholen, dürfte lange dauern, oder?
Stainer-Hämmerle: Das hat man in FP-Krisen immer wieder erwartet und es ist dann doch meist schneller gegangen. An einem 30-Prozent-Ergebnis zu kratzen, liegt jetzt sicher einmal in weiter Ferne. Aber die Freiheitlichen werden erfahrungsgemäß alles tun, um auf die anderen zu zeigen und zu sagen: Alle anderen Parteien sind ohnehin schlimm genug. Das könnte zum Teil funktionieren – was kein österreichisches Spezifikum ist. Auch in anderen Ländern sehen wir nach Skandalen, dass zwar der Ruf der Politik leidet, aber nicht unbedingt jener der Parteien und Politiker, die die Skandale verursacht haben. Das Hauptproblem für die FPÖ dürfte in nächster Zeit ihre doch sehr dünne Personaldecke sein, vor allem bei den Landtagswahlen. Gleichzeitig hat sich wieder einmal gezeigt, dass eine Partei, die die liberale Demokratie in Frage stellt, als Regierungspartei früher oder später scheitern muss.

DIE FURCHE: Weil es zusammenhängt, die liberale Demokratie infrage zu stellen und sie als Selbstbedienungsladen zu betrachten?
Stainer-Hämmerle: Ja, und genau das ist der Konnex zur vergangenen schwarz-blauen Regierung: Der Zugriff auf öffentliche Bereiche, öffentliche Güter, öffentliche Funktionen. Das war ein weiteres Mal entlarvend.

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