ÖVP: Mit mehr Mut zur Wirklichkeit

Werbung
Werbung
Werbung

POLITIK • In Österreich wird der Politik gerne Visionslosigkeit vorgeworfen - besonders in Zeiten des Wahlkampfes, in denen sich die Botschaften zu den simpelsten Slogans verkleinert werden. Wie können die etablierten Parteien wieder zu echten Zukunftsplänen und visionären Programmen zurückfinden? Zwei junge Vordenker von SPÖ und ÖVP zur misslichen Lage des politischen Zukunftsbewusstseins.

Der Weg vom visionär anmutenden Kopf zum Balkon-Muppet kann - nicht nur in der ÖVP - ein kurzer sein. Für Personen und Parteien gilt gleichermaßen: Visionen sind definitiv nicht mit Genieblitzen von politischen Ausnahmepersönlichkeiten gleichzusetzen, die immer nur gute Ideen und knackige Kommentare im Angebot haben.

Visionen sind das Ergebnis harter Arbeit. Mit flotten Sprüchen und Schlagzeilen-Politik hat das alles nichts zu tun. Im Gegenteil. Josef Riegler etwa, der Erfinder der Ökosozialen Marktwirtschaft, ist ein stiller, ein hart arbeitender Visionär. Er ließ sich in seiner programmatischen Arbeit von klaren Grundwerten leiten. Er legte aber auch großen Wert auf wissenschaftliche Expertise. Und er ist seiner Überzeugung und damit seinem Weg bis heute treu geblieben. Immer mit dem Blick nach vorne. Und genau darum geht es einem politischen Visionär.

Thesen zum Visionären

Drei Thesen zum Visionären und zu Visionären in der Politik:

1. Politik muss wissen, was ist, bevor sie glaubwürdig sagen kann, was sein soll. Wer politische Visionen entwickeln will, der muss Mut zur Wirklichkeit haben. Daran fehlt es in Österreich in weiten Bereichen. Politik und Gesellschaft verdrängen heute bereits mehr die Zukunft als die Vergangenheit. Das muss sich ändern. Eine wichtige Aufgabenstellung ist daher: Wir brauchen einen besseren "Verkauf“ von Problemen und Herausforderungen, die wir lösen müssen. Hier können Think tanks im politischen Umfeld viele Beiträge leisten. Aber gerade auch Medien und Zivilgesellschaft sind zu mehr Mut zur Wirklichkeit aufgerufen. Und dazu, die Politik wesentlich mehr als heute, zu fordern. Die Volkspartei steht am Vorabend einer umfassenden Programmdebatte. Die Qualität des Ergebnisses wird sich nicht nur an der Breite der Diskussion, sondern auch an der Tiefe ablesen lassen, wie Probleme und Herausforderungen erfasst und beim Namen genannt werden.

2. Die Entwicklung von Visionen braucht Denk- und Handlungsräume abseits der Tagespolitik. Schlagzeilen ersetzen keine Zukunftsdiskussion. Das steht außer Frage. Gleichzeitig gilt aber auch, dass visionäre Ansätze inhaltlich und strukturell anschlussfähig sein müssen. Relevante visionäre Programme entstehen nicht aus dem Elfenbeinturm heraus und dürfen nicht nur in der akademischen Parallelwelt Gültigkeit haben.

Die "dritten Wege“ der Sozialdemokratie in den 1990er Jahren, die von Theoretikern wie Ulrich Beck und Anthony Giddens formuliert wurden, sind Beispiele dafür, dass man einer Partei nicht externe Visionen überstülpen kann. Aber auch der Weg der Ökosozialen Marktwirtschaft, mit dem Österreich ein ordnungspolitischer Leuchtturm in Europa werden könnte, ist in bestimmten Teilen der Volkspartei seit nun fast 20 Jahren noch immer nicht angekommen. Es muss daher im Interesse jeder Parteiführung liegen, dass visionäre politische Prozesse in enger Verbindung mit der politischen Struktur gestalteten werden, damit sie nachhaltige Wirkung entfalten können.

Bereits am Aufsetzen eines Programmprozesses zeigt sich, wie ernst er gemeint ist und welches Wirkungspotenzial er haben kann.

3. Politische Visionskraft ist nicht im luftleeren politischen Raum daheim. Die Wertebasierung von Visionen ist entscheidend. Eine politische Vision zielt stets darauf ab, eine bestimmte Wertehaltung, ein bestimmtes Werteversprechen zu erreichen bzw. wirklich werden zu lassen. Der Weg ist nicht das Ziel bei programmatischen Deliberationsprozessen, sondern der Wert.

Für die Volkspartei gilt, dass sie im politischen Spektrum über ein programmatisch stark entwickeltes Wertefundament verfügt. Freiheit, Leistung, Verantwortung, Nachhaltigkeit - das sind grundlegende Werte der ÖVP und des von ihr - zumindest nach gültigem Programm - vertretenen Wirtschafts- und Sozialmodells der Ökosozialen Marktwirtschaft. Die große Herausforderung liegt darin, diese Werte mit visionärem Leben zu erfüllen und dabei - siehe erste These - den Bezug zur Wirklichkeit nicht zu verlieren.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist das kürzlich präsentierte Forschungsprojekt "Netzwerke der Verantwortung“ der Julius Raab-Stiftung. Wir haben damit einen bewussten Kontrapunkt in der Werte- und Sozialdebatte gesetzt.

Entgegen der verbreiteten Rhetorik von der Erosion des Sozialen und einer angeblichen "neoliberalen Ellbogengesellschaft“ zeigt sich, dass es in Österreich eine vitale Verantwortungsgesellschaft jenseits staatlicher Strukturen gibt. Umso wichtiger ist es, die Potenziale dieser Verantwortungskultur sichtbar zu machen und gezielt weiterzuentwickeln.

Mehr Verantwortungspielräume

Das Miteinander von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen erweist sich dabei als besonders zukunftsträchtig. Der politische Handlungsauftrag, der sich daraus ableitet, ist klar: Moderne Verantwortungspolitik stärkt mit der Freiheit auch die Verantwortungsspielräume der Bürgerinnen und Bürger.

Das ist, nebenbei gesagt, auch eine klare Vision im Gegensatz zu dem in ganz Österreich - und auch innerhalb der ÖVP - weit verbreiteten Etatismus.

Die Auseinandersetzung mit Visionen in der und für die Politik braucht heute einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Historisch beeindruckende Beispiele wie Martin Luther King oder Mahatma Gandhi sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns nicht nur auf die visionären Kräfte einiger weniger verlassen sollten, wenn es um Visionen für uns alle geht.

Das Crowd-Paradigma liefert auch hier eine kluge Erweiterung unserer Perspektiven: "Crowd Visioning“, verstanden als Kooperationsprojekt zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wird uns möglicherweise mehr attraktive Möglichkeitsentwürfe für die Zukunft liefern als das herkömmliche Guru- oder Messias-Prinzip - dessen Bedeutung an dieser Stelle nicht geschmälert werden soll. Abgesehen davon ist die Verantwortung für die Zukunft nicht teil - und nicht abschiebbar. Jede und jeder von uns kann und soll einen Beitrag leisten.

In jedem Fall gilt: Wer Visionen haben will, der braucht vor allem Mut zur Wirklichkeit, Ernsthaftigkeit und klare Werte. Die Voraussetzungen für Visionskraft in und im Umfeld der Volkspartei waren und sind somit nicht die schlechtesten. Wir als Julius Raab-Stiftung wollen das Beste daraus machen.

* Der Autor ist Strategieberatungs-Unternehmer bei cumclave und seit 2011 Präsident der Julius Raab-Stiftung |

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung