Ohnmächtiges Schweigen im Kreißsaal

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Viele Eltern, die ihr Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verlieren, sind mit Unverständnis und Unsensibilität konfrontiert. Eine neue Broschüre soll das ändern.

Sie verbindet ein ähnlicher Schicksalsschlag und ein großes Engagement: Die Hebamme Karin Schnabl und die Ärztin Sonja Gobara haben beide ihr Kind verloren. Schnabl erlitt eine Fehlgeburt in der Mitte der Schwangerschaft, Gobaras Sohn verstarb mit wenigen Monaten an einer seltenen Krankheit, darüber hinaus hatte sie mehrfach frühe Fehlgeburten. Beide haben es erfahren müssen, was es bedeutet, wenn das Umfeld hilflos bis unsensibel reagiert. Doch die betroffenen Frauen wollten etwas ändern: Sie wollten über das Thema Fehl- und Totgeburt sowie den frühen Tod eines Babys sprechen, das große Tabu durchbrechen. Vor allem aber wollten sie betroffenen Eltern Unterstützung im Trauerprozess anbieten und dazu beitragen, dass sich Ärzte, Hebammen, Krankenpfleger, Standesbeamtinnen oder Bestatter mit dem Thema auseinandersetzen und dazu beitragen, die Eltern in ihrem schwierigen Trauerprozess zu unterstützen, anstatt diesen mit zusätzlichen Kränkungen zu blockieren.

Christine Marek: „Große Hilflosigkeit“

Vor über zehn Jahren, 1999, gründeten die beiden Frauen ihre ehrenamtliche Initiative „Nur ein Hauch von Leben“. Im vergangenen Jahr wurden sie für ihr Engagement mit dem Liese-Prokop-Preis ausgezeichnet. Nun griff auch VP-Familienstaatssekretärin Christine Marek das Thema auf und gab eine Info-Broschüre zum Thema „Stille Geburt“ heraus, die bundesweit an Krankenhäuser, Hebammen und Familienberatungsstellen versandt wurde und dort aufliegt. Es bestehe eine enorme Nachfrage, informiert Marek. Es würden bereits neue Broschüren gedruckt. Marek begründet die große Nachfrage damit, dass hier ein Bereich angesprochen werde, der bisher unbearbeitet gewesen sei. Es herrsche zum Teil eine große Hilflosigkeit auf Seiten der betroffenen Eltern und ebenso des medizinischen Personals. Marek hat auch einen persönlichen Bezug: Das Baby ihrer besten Freundin verstarb an plötzlichem Kindstod. Auch Sonja Gobara, Kinderärztin und Ärztin für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin, spricht von einer Sprachlosigkeit, die sowohl die Eltern des verstorbenen Kindes als auch die Helfersysteme wie Ärzte oder Hebammen ergreife. Der Begriff „Stille Geburt“ – so der Titel der Broschüre – hat laut Gobara eine zweifache Bedeutung: einerseits, dass das Kind, das geboren wird, nicht schreit, andererseits drückt es die Sprachlosigkeit und Ohnmacht der Betroffenen und Involvierten aus.

Die beiden engagierten Frauen konnten aber bereits einiges verändern: Bestattungsgesetze wurden reformiert. Es gibt in Österreich mittlerweile in allen Bundesländern das Recht, ein fehl- oder totgeborenes Kind bestatten zu lassen. Zuvor wurden vor allem Fehlgeburten unter 500 Gramm meist mit dem Sonderabfall des Krankenhauses entsorgt – was eine schwere Kränkung für die Eltern darstelle, die den Trauerprozess blockieren würde, wie Gobara erklärt. Die Broschüre liefere den Eltern praktische Informationen, die sie in diesem emotionalen Ausnahmezustand nicht erst zusammentragen könnten, so Marek. Sie sieht derzeit keinen Handlungsbedarf, noch weitere Gesetze zu verändern oder zu vereinheitlichen. Wichtig ist laut Marek vor allem die weitere Bewusstseinsbildung und eine verbesserte Aus- und Fortbildung von medizinischem Personal.

„Sie sind eh noch jung“

Schnabl und Gobara werden nicht müde, genau jene Fachkräfte darüber aufzuklären, was den Trauerprozess dieser betroffenen Eltern besonders blockiere, wie Erklärungsversuche oder unsensible Wortmeldungen und Handlungen. So mussten Eltern noch vor Jahren oft mit ansehen, wie ihr fehlgeborenes Kind in eine Nierentasse gelegt und schnell weggetragen wurde, oder sie mussten vermeintlich wohlmeinende Äußerungen anhören wie „Sie sind eh noch jung“ oder „Vielleicht wäre es sowieso krank gewesen“. Vieles hat sich aber bereits getan, bestätigt die Hebamme Karin Schnabl. Aber immer wieder höre sie von betroffenen Frauen, dass es Rückschläge selbst in jenen Kliniken gebe, wo Schnabl und Gobara Schulungen durchgeführt hatten. Sowohl Schnabl wie auch Gobara regen daher an, dass jede geburtshilfliche Abteilung Standards haben sollte, die den Umgang für solche Situationen festlegen; sowie Ansprechpersonen, die die Einhaltung und Weiterentwicklung der Standards überprüfen. „Es gibt für so viele Dinge in Krankenhäusern Qualitätsstandards, nicht aber für diesen Bereich, dabei kommen Fehl- oder Totgeburten nicht selten vor“, sagt Gobara.

Diese Standards sollten vor allem jene Punkte umfassen: Den Eltern sollte genügend Zeit zugestanden werden, den Schock zu verkraften und selbst zu entscheiden, wann die Geburt ihres im Mutterleib verstorbenen Kindes erfolgen soll, erklärt Karin Schnabl. Es müsse genügend Zeit geben, sich vom Kind verabschieden zu können und Erinnerungsstücke mitzunehmen. Ganz wichtig sind laut Schnabl Zeugen, die das Kind gemeinsam mit den Eltern in Form eines Rituals verabschieden. „Damit das Kind im Familiensystem einen Platz bekommt“, so Schnabl. Frauen würden oft Beruhigungsmittel erhalten, sodass sie die Geburt des Kindes nicht mit klarer Wahrnehmung erleben. Das bereuten viele Frauen später.

Diese Aspekte und weitere sind laut Expertinnen sehr wichtig, damit der Trauerprozess der Eltern nicht krankhaft werde (siehe Interview). Karin Schnabl und Sonja Gobara haben sich ihrer eigenen Trauer gestellt, bevor sie andere unterstützen konnten. Schnabl erzählt, dass sie zwar im Krankenhaus gut betreut wurde, jedoch nach der Geburt kaum Unterstützung bekam. So geht es vielen Betroffenen. Angehörige und Freunde haben oft Angst, den Tod des Kindes erneut anzusprechen. Die Eltern wollten aber darüber erzählen, weiß Karin Schnabl.

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