"Oligarchische Netzwerke der Macht"

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Der Politikwissenschafter Vedran Dzihic über das Erbe Titos, die Probleme der politisch-ethnischen Teilung und das, was bei allem Widerstand und politischem Chaos trotzdem noch funktioniert.

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Der Politikwissenschafter Vedran Dzihic über das Erbe Titos, die Probleme der politisch-ethnischen Teilung und das, was bei allem Widerstand und politischem Chaos trotzdem noch funktioniert.

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Vor 25 Jahren brach der Bosnienkrieg aus, der blutigste Abschnitt der Balkankriege, die Jugoslawien zerriss und die darin lebenden Ethnien gegeneinander stellte. Ein Gespräch über das Erbe Titos und die Sehnsucht nach Jugoslawien.

Die FurcHe: Der jugoslawische Staatsgründer Josip Tito wäre Anfang dieses Monats 125 Jahre alt geworden. Sein politisches Erbe ist ein Trauerspiel. Dennoch gibt es eine stärker werdende Tito-Nostalgie?

Vedran Dzihic: Titos System war ein autoritäres System, aber viele schätzen heute an ihm, dass er eine eigene Idee und eine Vision von einer anderen Gesellschaft hatte. Er wollte keinen Kapitalismus, aber auch keinen Kommunismus. Er begann den Dritten Weg und ließ ja auch Intellektuelle über die Zukunft der Gesellschaft nachdenken, damals auf der Insel Korc ula.

Die FurcHe: Und die Gegner des Regimes ließ er auf einer anderen Insel internieren.

Dzihic: Ja, auf Goli Otok. Es ist unbestritten, dass Tito zunächst jede Opposition brutal unterdrückte. Jugoslawien war ein Staat, der von einer kleinen Clique regiert wurde und die Menschen geformt hat.

Die FurcHe: Und danach sollte die Demokratie kommen. Aber gekommen ist eigentlich Krieg und Krise.

Dzihic: Die Menschen glaubten einem Versprechen. Die Wahlen und die Freiheit würde verbunden sein mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und eine Zukunft in Europa. Aber diese Perspektiven haben sich zerschlagen. Vor allem für jene, die meinten, die Demokratie ist gleichbedeutend mit einem Mercedes in der Garage. Dazu hat Europa dann noch seine Versprechen nicht eingehalten. Und diese Enttäuschung haben die Nationalisten genützt.

Die FurcHe: Angesichts Bosniens muss man sagen, eine Niederlage seit 25 Jahren.

Dzihic: Europa hat die Erwartungen der Menschen enttäuscht. Hingegen steigen in serbisch besiedelten Gebieten am Balkan und in Bosnien die Sympathiewerte von Vladimir Putin. Die liberalen Kräfte bemühen sich, auf den Zug der Demokratie aufzuspringen. Aber da stellt sich auch die Frage, wohin man da springt, bei all den Krisen und Debatten über das Ende der Demokratie in Europa, oder über Postdemokratie. Die FurcHe: Russland ist da sehr im Vorteil.

Dzihic: russland unterstützt Leute wie Nikola Gruevski in Mazedonien. Sie haben den Balkan zu einem Nebenschauplatz ihres Konfliktes mit Europa und den USA gemacht. Zuletzt gab es eine große Debatte in den USA und der EU über einen möglichen von Russland gesteuerten Putschversuch in Montenegro. Tatsächlich hat es Verhaftungen gegeben und Vorwürfe, Präsident Djukanovic´ und seine Regierung hätten entführt und ermordet werden sollen. Das wäre erklärbar mit dem nahenden Beitritt Montenegros zur Nato. Wie auch immer der Wahrheitsgehalt der Vorwürfe ist: Russlands Einfluss führt zu starken Störeffekten für die Politik. Diese Ereignisse strahlen ja auch aus. Die Tumulte in Mazedonien werden beispielsweise in Serbien sehr stark wahrgenommen. Die Regierung spricht von einem "mazedonischen Szenario". Darunter versteht man eine Verschwörung albanischer und Sorosnaher Kräfte gegen die Regierung. Die Nationalisten profitieren und schaffen es, die Demokratie zu beschädigen.

Die FurcHe: All das gilt für Bosnien und seinen multiethnischen Staat noch umso mehr. Die Hoffnungslosigkeit ist ja weitgehend beschrieben. Einmal anders gefragt: Gibt es Hinweise auf eine Politik, die sich von den alten Fesseln löst?

Dzihic: Was es gibt, ist ein Welle von unterschiedlichen Bewegungen, die den Bürgerprotest auf die Straße bringen und transnationale Kontakte knüpfen. Die bunte Revolution in Mazedonien oder Proteste gegen Vuc ic´ in Serbien werden von jungen Menschen getragen, denen Demokratie und Freiheit wichtig sind. Aber die charismatischen Figuren, welche diese Bewegungen hervorbringen, scheuen vor der Politik zurück. Und in der Politik halten sich der Klientelismus und oligarchisch geknüpfte Netzwerke an der Macht, die Reformen in Richtung Demokratie und Reformen der Justiz verhindern. Die Pressefreiheit ist in der ganzen Region zurückgegangen. Die FurcHe: Also keine Hoffnung?

Dzihic: Bosnien existiert seit mehr als 20 Jahren mit einem dysfunktionalen politischen System. Und es funktioniert auf eine sehr rudimentäre Weise trotz allem. In einer großangelegten Untersuchung hat ein Wissenschafter der Universität Sarajewo untersucht, wie es um das Sozialkapital in Bosnien bestellt ist. Wie die Leute also zusammenarbeiten. Das Ergebnis ist, dass es Bereiche gibt, wie Nachbarschafts-oder Nothilfe, in denen die ethnischen und politischen Grenzen keine Rolle spielen. 2004 gab es in Doboj, einer Stadt in der Republika Srpska, große Überschwemmungen. Bosniaken aus dem bosnisch-kroatischen Teil sind den Serben zu Hilfe gekommen. Einzelne Gemeinden versuchen sich explizit aus den ethnischen Konflikten herauszuhalten und gemeinsam etwas aufzubauen. Es ist also eine paradoxe Situation. Was in der Politik nicht funktioniert, geht manchmal auf der Alltagsebene ohne Probleme.

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