Ordnung in Pandoras Box

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Wolfgang Petritsch, österreichischer Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf und ehemals als UNO-Beauftragter für die Einhaltung der Friedensverträge in Bosnien zuständig, reflektiert im Furche-Interview die Situation im Irak und dessen Schritte zur Demokratie.

Die Furche: Die USA haben im Irak eine zivile Verwaltung unter Führung von Jay Garner eingerichtet. Welche Etappen müssen noch gemeistert werden, um den Irak als souveränen Staat in die Selbstständigkeit entlassen zu können?

Wolfgang Petritsch: Erst einmal geht es nach der endgültigen Beendigung des Krieges um die Beseitigung seiner humanitären Folgen sowie die Herstellung von Sicherheit und einer funktionierenden Versorgung für die Menschen. Parallel dazu muss die Wiederherstellung von öffentlichen Institutionen anlaufen. Diesbezüglich ist im Irak schon vieles vorgegeben durch eine Verwaltungsstruktur, die zwar blutigrepressiv war, aber funktioniert hat. Diese funktionierenden Teile müssen mit entsprechenden Personen, und zwar möglichst rasch mit Irakern, besetzt werden, damit die Menschen das Gefühl bekommen, dass es tatsächlich einen Fortschritt für sie gibt. Meine Erfahrung aus Bosnien ist, dass Öffentliche Institutionen, vor allem Verwaltung und Polizei, wesentlich für die Menschen sind. Wenn die Menschen sich frei von Hunger, von Verfolgung und Mord fühlen, gibt es, glaube ich, eine positive Reaktion auf die Veränderungen.

Die Furche: Wie kann die Rollenverteilung zwischen den USA und der UNO sinnvoll gestaltet werden?

Petritsch: Dass die USA den Krieg ohne UNO-Mandat geführt haben, ist ein schwieriges, aber anderes Thema. Jetzt sollte man sich die Fakten anschauen. Es ist sicherlich positiv für die Betroffenen, dass die USA und Großbritannien das diktatorische Regime im Irak gestürzt haben. Sie haben damit gemäß den Genfer Konventionen aber auch Verpflichtungen: Stabilität, Versorgung, humanitäre Hilfe. Natürlich hat diese Koalition aber auch den Vorteil der Anwesenheit bei der Entscheidung über die nächsten Schritte. Ich persönlich bin der Meinung, dass die USA sehr gut beraten wären, wenn sie möglichst rasch mit der internationalen Gemeinschaft eine Arbeitsteilung vereinbaren würden. Da bietet sich natürlich als Plattform die UNO an. Die USA sollten sich auf ihre militärische Rolle zurückziehen und versuchen, dafür auch ein UNO-Mandat zu bekommen. Und andere Staaten dazu einladen, ihren Teil beizutragen. Auch im militärischen Bereich.

Die Furche: Wie können beim Wiederaufbau Probleme durch ein Zusammenprallen der westlichen und der arabischen Kultur verhindert werden?

Petritsch: Die Gefahr ist sehr groß, dass die derzeitige Situation als westlicher Kolonialismus aufgefasst wird, und die Erinnerung an den alten Kolonialismus ist in diesen Ländern sehr stark ausgeprägt. Der arabische Stolz auf die Befreiung begründet sich ja darauf, dass man damals die Engländer und Franzosen hinausgeworfen hat. Daher muss man jetzt mit sehr großer Sensibilität vorgehen. Da tut sich natürlich gerade eine Siegermacht wie die USA schwer. Die Vereinten Nationen und in ganz wesentlicher Rolle die arabische Welt müssen daher beteiligt werden. Die Arabische Liga bietet sich hier an. Und die Konferenz islamischer Staaten. Das halte ich für sehr wichtig, dann werden die Veränderungen auch nachhaltig sein und die erhofften positiven Resultate bringen. Ansonst wird man einen Zusammenstoß der Kulturen nur sehr schwer verhindern können.

Die Furche: Wie könnte sinnvoller Weise die Finanzierung des Wiederaufbaus und die Vergabe von Aufträgen aussehen?

Petritsch: Der Irak ist ein reiches Land, reich an Öl. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, der Westen hätte nur ein Interesse an der Ausbeutung. Die Bodenschätze gehören den Irakern, das müsste in einer feierlichen Erklärung klargestellt werden. Die USA laufen Gefahr, als Ölraub-Nation angesehen zu werden. Da kann nur eine internationale Organisation eine ausgleichende Rolle spielen. Dann wird man aus diesen Schätzen den Wiederaufbau finanzieren können. Eine neue, verantwortungsvolle Regierung sollte gemeinsam mit den Vereinten Nationen versuchen, eine Strategie und eine langfristige Planung zum Wohle des Landes zu entwickeln. Damit würde verhindert werden, dass sich in der arabischen Welt dieser Mythos fortpflanzt, dem Westen gehe es doch nur ums Öl. Das heißt aber auch, dass beim Wiederaufbau nicht nur amerikanische Firmen zum Zug kommen sollten. Es muss einen fairen Wettbewerb mit Ausschreibungen nach den Regeln der Welthandelsorganisation geben. Es müssen sich alle Firmen weltweit um die ausgeschriebenen Aufträge bewerben können, nicht nur Firmen aus den beiden Siegerstaaten.

Die Furche: Wie sollte der Irak nach der Besatzung politisch aussehen?

Petritsch: Im Irak ist Pandoras Box geöffnet worden. Jetzt muss man versuchen, sie nicht zu schließen, sondern erstmals in der Geschichte der arabischen Welt einen gewissen Fortschritt, eine gewisse Ordnung, hineinzubringen. Ich möchte aber davor warnen zu meinen, es müsste eine Demokratie nach westlichem Vorbild errichtet werden. Wichtiger ist, dass Rechtsstaatlichkeit angestrebt wird, dass den Menschen das Gefühl individueller Sicherheit gegeben wird, dass die Verlässlichkeit öffentlicher Institutionen herbeigeführt wird. Das ist das Substrat für die Entwicklung einer Demokratie, die natürlich eine Bürgergesellschaft benötigt. Diese muss von unten wachsen, und das ist nur in einem freiheitlichen Klima möglich. Man kann von außen dazu beitragen, dass die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Aber die Art und Weise, wie der Irak und die arabische Welt ihre Art von Demokratie konkret ausgestalten, ist deren Sache.

Die Furche: Wie stehen Sie zur Frage der Aufhebung der Sanktionen?

Petritsch: Man muss sich ernsthaft damit auseinander setzen. Aber man darf nicht vergessen, dass es bei den Sanktionen substanziell um die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen geht. Es ist also die zusätzliche Verpflichtung der Besatzungsmächte festzustellen, ob es diese Waffen gibt oder nicht. Das war ja schließlich der Grund, gegen Saddam vorzugehen. Wenn es die Waffen nicht gibt, steht einer Aufhebung nichts mehr im Wege. Die Sanktionen haben in erster Linie den Bürgern sehr geschadet. Insofern plädiere ich für eine möglichst rasche Aufhebung. Die USA wären aber gut beraten, sich in der Frage der Massenvernichtungswaffen auf UNO-Inspektoren zu verlassen. Alles andere könnte in der arabischen Welt so interpretiert werden, dass es sich die USA richten, wie sie es brauchen.

Das Gespräch führte Claudia Feiertag

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