Originalität statt Gleichschritt

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Autonomie und Wettbewerb fordern auch von den Schulen die ständige Bereitschaft zum Lernen. Das Motto lautet: Selbst ist die Schule.

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Autonomie und Wettbewerb fordern auch von den Schulen die ständige Bereitschaft zum Lernen. Das Motto lautet: Selbst ist die Schule.

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Was bietet ihm und uns jene Schule, in die ich mein Kind geben werde?" Dieses Wort einer Mutter signalisiert jenen Wandel der Bildungslandschaft, der von der Schule den aufklärerischen Mut einfordert, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen: Wettbewerb statt bloßer Traditionspflege, Teamgeist statt Obrigkeitsgehorsam, Schulprofil und Schulprogramm von Begegnungsorten statt Schultyp und Konformität von Anstalten. Keine Schule ist schon am Ziel, aber viele haben sich auf den Weg gemacht. Der Weg verändert Erziehung und Unterricht, Schulorganisation und -kultur. Er formt aus vergleichbaren Schulformen die Originalität der Standorte und beteiligt alle Schulpartner an jenen Entscheidungen, die sie selbst betreffen. Die Trendsetter der öffentlichen Diskussion dafür lauten "Autonomisierung", "Deregulierung" und "Schulentwicklung".

Unsere Schule, untergebracht im 500 Jahre alten "Schloss Wagrain" und in einem futuristischen Neubau, der sich nach innen öffnet und den Campus als Lern- und Lebensraum freigibt, nennen wir selbstbewusst "Schloss" und suchen die autonomen, nicht die gelenkten Wege, die Freiheit des Denkens, nicht die Bequemlichkeit des Vorgedachten.

Die Hausordnung wurde zur Schloss-Charta und steht als verschriftlichte Vereinbarungskultur für den Erziehungsauftrag: Aus Verboten wurden positiv formulierte Angebote - nicht von Pragmatisierten angebahnt für Kunden oder Zöglinge, sondern gemeinsam vereinbart von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin, als Klassencharta auch im Kleinen ausgehandelt und demokratisch veränderbar. Disziplin nicht als Unterrichtsmittel, sondern als Erziehungsziel. Der "Campus" wird zum "Szenario von Begegnung" (J. Riedl), 30 Minuten täglich ab 11 Uhr, als erweiterte "große Pause", mit vielfältigen Angeboten zu Gespräch, Bewegung und Neuem Lernen.

Mehrheitsfähige Wünsche der Schülervertretung wurden verwirklicht: Politische Bildung und Zeitgeschichte als eigener Gegenstand, Portfolio als Schüler-Sammelmappe für besondere Leistungen und zur Dokumentation verpflichtender Projektaufgaben. Konventionelle Notengebung wird ergänzt durch Good-Practice - die Beurteilung der Projektarbeiten. Neue Gegenstände reagieren auf gesellschaftliche Ansprüche: Medienwerkstatt, um das Dokumentieren und Präsentieren eigener Leistungen zu lernen, Galilei als naturwissenschaftlich-technische Praxislehre (Mikroskopieren, Laborarbeit , ...), KIT (Kommunikations- und Interaktionstechnologien) als digitale Alphabetisierung, Französisch als zweite Sprache bereits ab der 2. Klasse.

Schüler und Schülerinnen als Mitgestalter wollen nach den Gründen fragen, nicht bloß den Inhalten folgen. Eltern als Partner fordern nicht vorgekaute Wissensvermittlung, sondern Zusammenarbeit ein. Lehrer und Lehrerinnen werden zu "Wissenslotsen" und "Edutainern", deren Aufgabe weniger das Abprüfen von Wissen als das Neugierde-Wecken auf Wissen ist. Auf Wissen, das ihre Schüler staunen und nicht gähnen lässt. Denn nicht jene, die den Big Mac lieben und im Heck-Meck leben, werden die Zukunft bestimmen, sondern solche, die globale Verantwortung leben, weil sie ihre persönliche Verantwortung ernstnehmen. Nicht jene werden die Zukunft bestimmen, die auf den Autobahnen brausen, sondern solche, die die Info-Bahnen bevölkern.

Wissen bleibt an Gewissen gebunden: Eltern wie Lehrerinnen und Lehrer müssen ihre Kinder und Schüler lieben, wenn sie sie lehren, und sie müssen sie lehren, weil sie sie lieben. Gefordert ist eine Schule, die Leistungen einfordert und bewertet, nicht aber eine, die Menschen be- oder gar verurteilt. Leistungswille und -bereitschaft sind ein unverzichtbarer Aspekt der Selbstgestaltung. Eine der besten Energiequellen unserer Kinder ist ihr Stolz auf die eigene Leistung.

Auch die Schule selbst ist zur lernenden Organisation geworden, denn Schulautonomie fördert und fordert zunehmende Selbstverwaltung in finanziellen, organisatorischen, personellen und pädagogischen Fragen. Die Entscheidungsspielräume am Standort wachsen und die Vergleichbarkeit zwischen Standorten sinkt. Dabei sind die Wettbewerbsvoraussetzungen ungleich: Ortsgebundenheit, Sprengelpflicht, Budget- und Raumfragen, unkündbares Personal et cetera. Ihre Entwicklung braucht weniger Grundsatzdiskussionen als Erprobungen und ernsthafte Fälle. Sie braucht nicht Wünsche, sondern Taten, keine Solidarität des Wünschens, vielmehr eine "Solidarität des Tuns" (P. M. Zulehner). Die eigentliche Kraft von Autonomie in der Schule liegt im Zusprechen von Kompetenz und Eigenverantwortung an den Standort, an die Ideen der Schulgemeinschaft. Eingefordert ist nicht Jammern über die Knappheit von Ressourcen, über fremdbestimmte Regeln und zentrale, veraltete Lehrpläne, sondern Zusammenhelfen, eigene zu schaffen. Pflicht wird an der Freiheit zur Freude.

Die Botschaft für unsere Schulen an der Jahrtausendwende lautet: Geben wir unseren Schulgemeinschaften die Freiheit der Mit-Entscheidung. Beteiligen wir die Schulpartner an jenen Entscheidungen, von denen sie betroffen sind. Für den Umgang mit dieser Freiheit und Selbstermächtigung gilt es am Schulstandort eigene Regeln zu entwickeln und nach Bedarf und Mehrheitsbeschluss zu verändern. Sonst könnte bald die Angst vor Veränderung größer werden als jene Angst, bei den Veränderungen nicht dabei zu sein. Wie meinte einst Kurt Flossmann im Simpl? "Wer heute den Kopf in den Sand steckt, knirscht morgen mit den Zähnen."

Der Autor ist Verfasser des Schulautonomie-Handbuchs, habilitierter Lehrerbildner und Leiter des BRG Schloss Wagrain in Vöcklabruck

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