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Osterreich in den Vereinten Nationen

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Bekanntlich verpflichtet das Moskauer Memorandum vom 15. April 195 5 Oesterreich, eine dauernde Neutralität nach dem Vorbilde der Schweiz zu beobachten, welche durch die Großmächte anerkannt werden soll. Diese haben sich aber schön durch die Präambel des am 15. Mai 1955 in Wien unterzeichneten Staatsvertrages verpflichtet, die Bewerbung Oesterreichs um Zulassung zur Organisation der Vereinten Nationen zu unterstützen. Es erhebt sich daher die Frage, wie sich der Zustand der dauernden Neutralität eines Staates mit der Stellung eines Mitgliedes der Vereinten Nationen vereinbaren läßt.

Die Bewertung der Neutralität hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrfach verändert Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde der Zustand der Neutralität allgemein warm begrüßt,da die Staaten, die sich an einem bestehenden Kriege nicht beteiligten, als Fricdensinseln angesehen wurden, welche die hohe Mission hatten, die Leiden des Krieges zu mildern und zwischen den Kriegführenden zu vermitteln, um so ohne Linterlaß zur Bestärkung der Bande zwischen den Gliedern der Menschheit beizutragen. Zu Beginn unseres Jahrhunderts hat sich aber eine allmähliche Umwertung der Neutralität vollzogen. So sagt z. B. der verewigte belgische Gelehrte Alberic R o 1 i n in einem 1924 der Brüsseler Akademie der Wissenschaften erstatteten Berichte, daß die Neutralität ein wenig respektiertes Institut geworden sei, da alle Staaten moralisch verpflichtet seien, einem angegriffenen Mitglied der Staatengemeinschaft wirksam beizustehen. Sich in einem Kriege neutral zu erklären, sei daher ein Ausdruck des Egoismus und der Feigheit. Und Rolin fährt fort:

„Die Organisation der Staatengesellschaft ist die Negation der Neutralität. Die Völkerbundsatzung hat ihr den Todesstoß versetzt. Wenn der Völkerbund nämlich von allen Staaten mit genügend Kräften ausgestattet sein wird, wenn die noch fehlenden Staaten in den Völkerbund eingetreten sein werden, wird die letzte Stunde der Neutralität geschlagen haben.“

So dachte man damals in der Zeit, in der man noch mit großen Hoffnungen auf den vor kurzem gegründeten Völkerbund geblickt hat, dessen Satzung (Art. 16) den Bundesmitgliedern die Pflicht auferlegt hat, gegenüber einem Staate, der einen verbotenen Krieg begonnen hat, sofort und unmittelbar die wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen abzubrechen und jene Truppen, die auch an den militärischen Sanktionen teilnehmen, durch ihr Gebiet durchziehen zu lassen.

Gleichwohl hat auch der Völkerbund diesen Gedanken nicht restlos verwirklicht, da er der Schweiz eine Ausnahmsstellung eingeräumt hat, die nicht nur bei den einzelnen Kriegen neutral geblieben ist, sondern seit dem Ende des 17. Jahrhunderts eine konsequente Neutralitätspolitik befolgt hat. die am 20. November 1815 von den Mächten des Wiener Kongresses auch völkerrechtlich anerkannt und garantiert wurde. Diesen Zustand bezeichnet man — im Gegensatz zu der nur während eines Krieges bestehenden, vorübergehenden Neutralität eines Staates — als dauernde oder permanente Neutralität. Ein solcher Staat ist völkerrechtlich verpflichtet, nicht nur an keinen Kriegen teilzunehmen, sondern auch in Friedenszeiten keinerlei Bindungen einzugehen, die ihn in einen Krieg verwickeln könnten. Um diesen Status erhalten zu können, begnügte sich die Schweiz zunächst damit, vom Völkerbund von der Pflicht, fremde Truppen durch ihr Gebiet im Fall eines Sanktionskrieges durchmarschieren zu lassen, entbunden zu werden, während sie damals der Meinung war, daß die Teilnahme an den wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen mit ihrer dauernden Neutralität vereinbar sei. Während der Sanktionen gegen Italien im italienisch-äthiopischer Krieg hat aber die Schweiz erkannt, daß diese Auffassung widerspruchsvoll ist, da man keinem Staat zumuten kann, einen anderen neutral zu behandeln, der gegen ihn die wirtschaftliche Blockade verhängt hat. Diese Einsicht hat die Schweiz zur Erklärung bewogen, künftighin auch an wirtschaftlichen Sanktionen nicht mehr teilzunehmen, was auch vom Völkerbund anerkannt wurde. Nach diesen Erfahrungen ist e begreiflich, daß nach dem zweiten Weltkrieg die Vorsicht der Schweiz gegenüber der neuen Staatenorganisation noch viel größer ist als seinerzeit gegenüber dem Völkerbund. Bisher trat die Schweiz nur dem neuen Internationalen Gerichtshof bei, da sie nach wie vor an ihrem alten und bewährten Grundsatz der friedlichen Streiterledigung durch ein friedliches Verfahren unerschütterlich festhält. Hingegen hat die Schweiz noch kein Aufnahmegesuch an die Vereinten Nationen gerichtet, obgleich in unserer Frage das System der neuen Ordnung weniger starr ist als das der Völkerbundsatzung. Während nämlich diese in dem schon erwähnten Artikel 16 alle Bundesmitglieder ausnahmslos verpflichtet hatte, unmittelbar nach Ausbruch der Feindseligkeiten gegen den rechtswidrigen Angreifer die wirtschaftliche Blockade zu verhängen, verpflichtet die neue Satzung nur den Sicherheitsrat, den Friedensbruch festzustellen, und überläßt es seinem Ermessen, die Art der zu ergreifenden Maßnahmen zu bestimmen.

Ebenso hat der Sicherheitsrat allein darüber zu beschließen, welche Staaten zu den Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen herangezogen werden. Vor einem solchen Beschluß des Sicherheitsrates ist also kein Staat verpflichtet, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Es besteht daher kein Zweifel darüber, daß der Sicherheitsrat die dauernde Neutralität eines Staates schon dadurch respektieren kann, daß er ihn zu keinen Zwangsmaßnahmen heranzieht. Dazu kommt, daß gemäß Artikel 43 der Satzung der Vereinten Nationen die Pflicht zur Teilnahme an militärischen Maßnahmen, einschließlich der Gewährung von Durchmarschrechten, von einem Sondervertrag zwischen dem Sicherheitsrat und den einzelnen Staaten abhängig ist. Solange daher kein solcher Vertrag abgeschlossen wird, kann auch der Sicherheitsrat keinem Staat auftragen, sich an militärischen Aktionen zu beteiligen oder fremden Truppen den Durchmarsch zu gewähren.

Wenn aber einmal alle Großmächte die dauernde Neutralität anerkannt haben werden, wird es ihnen leicht gelingen, noch wenigstens zwei andere Mitglieder des Sicherheitsrates zu gewinnen, um mit den für seine Beschlußfassung notwendigen sieben Stimmen die dauernde Neutralität Oesterreichs im Rahmen der Vereinten Nationen auch in grundsätzlicher Weise sicherzustellen. Eine solche Zuständigkeit wird zwar dem Sicherheitsrat durch die Satzung der Vereinten Nationen nicht ausdrücklich eingeräumt, sie ergibt sich aber daraus, daß er auf Grund der Satzung darüber zu entscheiden hat, welche Staaten zu Ergreifung von Zwangsmaßnahmen heranzuziehen sind.

Ein solcher Beschluß läge auch in der Tendenz der neuesten Rechtsentwicklung, da diese die Neutralität wiederum positiv bewertet. So wurden z. B. zur Sicherung des Waffenstillstandes in Korea neutrale Staaten herangezogen. Ferner stellen die neuen Genfer Konventionen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. Aucust 1949 die Durchführung dieser Abkommen unter die Kontrolle neutraler Schutzmächte. Man anerkennt also wiederum, daß es im allgemeinen Interesse der Menschheit auch Staaten geben muß, die sich zur Neutralität bekennen. Ein solches Bekenntnis wäre aber wertlos, wenn es nicht mit der Entschlossenheit verbunden wäre, das neutrale Gebiets gegen jeden Angreifer zu verteidigen. Dieses Recht der Notwehr, das Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen bestätigt, ist daher für jeden neutralen Staat zugleich eine strenge Pflicht.

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