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OVP hat Mitschuld an politischer Lage

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Bei der Bioethik-Konvention hat sich Walter Schwimmer beim Europarat weitgehend durchgesetzt. In Osterreich geht es dem Wiener ÖAAB-Chef um die Ankurbelung einer Wertedebatte in dramatischer Zeit.

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Bei der Bioethik-Konvention hat sich Walter Schwimmer beim Europarat weitgehend durchgesetzt. In Osterreich geht es dem Wiener ÖAAB-Chef um die Ankurbelung einer Wertedebatte in dramatischer Zeit.

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Schwimmer, Europaratsberichterstatter in Sachen „Bioethik-Konvention (siehe FURCHE 3/1995, Seite 1 und FURCHE 5/1995, Seite 4) ist zufrieden: Die Stellungnahme der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum umstrittenen Entwurf einer Bioethik-Konvention ist so ausgefallen, daß es einen Schutz von sogenannten „Nichtgeschäftsfähigen” vor Experimenten ohne deren Zustimmung und ohne unmittelbaren therapeutischen Effekt geben wird; die im Entwurf vorgesehene Ermöglichung der Embryonenforschung bis zum 14. Tag ihrer Entwicklung soll gestrichen werden. Ein Sieg des Menschen, obschon vatikanische Stellen auch mit der neuesten Entwicklung nicht ganz zufrieden sind.

Celestino Migliore, ständiger Vatikan-Beobachter in Straßburg, hat darauf verwiesen, daß auch der jetzt verabschiedete Text in vielen Bereichen „strittig” bleibe. Insbesondere krallt sich die vatikanische Kritik an der im ersten Artikel der Konvention immer noch nicht ausgemerzten Unterscheidung zwischen menschlichem Wesen und menschlicher Person fest. Darin komme ein „unangemessenes Nützlichkeitsdenken” hinsichtlich des Menschen zum Ausdruck. Die Streichungen mancher umstrittener Passagen - so im Bereich der Embryonenforschung -hält Migliore insofern für bedenklich, als damit eine Grauzone für diesen Bereich geschaffen werde. Damit laufe der Europarat Gefahr, seinen richtungsweisenden Aufgaben, die Menschenrechte zu verteidigen, nicht gerecht zu werden.

Die europäischen Staaten müßten jetzt den Straßburger Text mit ihren eigenen Bioethik-Gesetzen vergleichen, dann bleibe immer noch die Möglichkeit eines Vorbehaltes gegenüber dem Text - eine Meinung, die auch Abgeordneter Schwimmer teilt. Nun hat das Ministerkomitee des Europarates die Aufgabe den Text zu diskutieren. Das wird wahrscheinlich im Juni geschehen.

Der OAAB, der übrigens heuer wie die FURCHE das 50. Jahr seines Bestehens feiert, will sich nach den Worten Schwimmers wieder vermehrt auf Grundwerte, auf jenen Zusammenhalt besinnen, der aus Werten erwächst. „Eine völlig wertneutrale Gesellschaft”, so Schwimmer zur FURCHE, „findet keinen Halt. Was Jörg Haider betreibt, mit seinem Aufbau einer Bewegung von Bürgern, die gemeinsame Ideen zur Weiterentwicklung der Gesellschaft haben, ist ein Etikettenschwindel. Was ist, wenn das Ziel erreicht wurde, löst man sich dann auf?”

Schwimmer will mit seinem OAAB auch innerhalb der Volkspartei demonstrieren, daß es nicht ausschließlich um materielle Interessen gehen kann: „Sonst wäre eine Interessengemeinschaft mit den sozialdemokratischen Gewerkschaftern gegebene und wir könnten gleich eine Gewerkschaftspartei gründen.” Es geht aber um umfassende Werte und deren Bewahrung, „deshalb gab's die Wertegemeinschaft ÖVP”. „Gab's”? - fällt dem Interviewer sofort auf. Schwimmer will die Mitvergangenheit „historisch” verstanden wissen, als Wertegemeinschaft hatte die OVP ihre Aufgabe - und zu dieser müßte sie zurückfinden.

Gegenüber den Haiderschen Vorstellungen einer Art „Sozialpartnerschaftspartei” betont Schwimmer, daß eine derartige Bewegung in Österreich nicht notwendig sei: „Was wir brauchen ist sehr wohl eine soziale Integrationspartei, die ihre Anhängerschaft in Übereinstimmung mit wesentlichen Wertvorstellung vereint.” Aber selbst Haider traue sich nicht an die Sozialpartnerschaft heran, selbst er müsse deren Verdienste anerkennen, sagt Schwimmer unter Hinweis auf ein Interview des F-Chefs im deutschen Magazin „Focus”, „obwohl er sie am liebsten in die Luft sprengen möchte.” Für Schwimmer ist Haider ein Politiker, der sehr vordergründig mit Werten wie Gerechtigkeit und Anständigkeit umgeht.

Was hat die ÖVP zu bieten, was verlangt der ÖAABler Schwimmer von seiner Partei? „Die Werte der ÖVP sind eine Mischung aus christlich-sozialer Verantwortung, von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität, von Leistungsgerechtigkeit und rein konservativen Werten wie Vaterland, Bindung, Heimat, Anständigkeit und Treue (im Sinne von ,zu etwas stehen'). Die Familie steht als Wert dabei im Mittelpunkt, in ihr kommt überhaupt die stärkste Verknüpfung von christlich-sozial und konservativ zum Tragen.”

Schwimmer gibt zu, daß bei der Umsetzung dieser Werte „sicher Fehler passiert” sind, daß Werte nicht glaubwürdig waren”. Er nennt diesbezüglich den Bündestreit ums zweite Karenzjahr: „Das hätte man anders lösen müssen. Die Haltung des Wirtschaftsbundes war nicht ganz verständlich.” Auch im Bah-men des Sparpakets hätte man die Werte der Familie ganz anders einbringen und behandeln müssen, „weil dadurch die politische Bele-vanz von Werten in der Politik erkennbar geworden wäre”.

Zum gegenwärtigen politischen Zustand in Österreich - FlJRCHE-Ko-lumnist Hubert Feichtlbauer hat vor nicht allzu langer Zeit geschrieben: „Wir sind nun also Bürger der Europäischen Union. Und haben die stümperhafteste Begierung seit langem' - hält Schwimmer gleicherweise fest, daß es der Umgang der Koalitionäre miteinander sei, die leidende Diskussionskultur, die Schuld trage an einer weiteren Diskreditierung von Politik. „Da sind zwei Parteien mit historischen Verdiensten, die wirklich viel zusammengebracht haben, was sich sehen lassen kann -und die haben nichts Besseres zu tun, als einander schlecht zu machen.” Schwimmer fordert eine „Verhaltensänderung” bei der Politik: „Das muß im ÖAAB, in der ÖVP beginnen, wir wollen keine Schuldzuweisungen vornehmen, sondern Selbsterkenntnis. Wir sind nicht unschuldig an dieser Situation.”

Jetzt gelte es „zu reparieren ,was zu reparieren ist”, betont Schwimmer unter Hinweis auf die vorgesehenen Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Sparen sei an sich eine konservative Tugend, „die nur richtig gemacht werden” müsse. Das Ziel stehe nicht in Frage, sondern die Fehler, die beim Schnüren, bei der Präsentation und bei den Begleitmaßnahmen des Sparpakets gesetzt wurden. Wichtig sei, mit den Betroffenen zu reden. So habe man Breitseiten gegen den öffentlichen Dienst abgeschossen, ohne mit den Leuten gesprochen zu haben. Klar müsse sein, daß es weder Patentlösungen gebe, noch man es allen recht machen könne.

Für den Wiener AAB steht schon die nächste Gemeinderatswahl vor Augen: Deswegen will sich der AAB-Wien - so wurde dies vor nicht allzu langer Zeit auf einer Klausur erarbeitet - deutlich den existenziellen Fragen der Wiener widmen. Drei ganz pragmatische Dinge stehen im Vordergrund (die FURCHE wird nächste Woche in einem Wien-Dossier darauf eingehen): Zunächst geht es um die Existenzgrundlage der Menschen, um den Arbeitsplatz Wien. Dann um das Schwerpunktthema Wohnen und schließlich um eine umfassende Sicherheit.

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