Paddeln ohne Grenzen

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Seit 1956 gibt es sie, die längste Paddeltour der Welt: 2080 Kilometer lang, von Ingolstadt bis Silistra in Bulgarien - entlang der Donau, dem großen völkerverbindenden Strom. Am 21. Juni startet die Tour wieder.

Die Regentropfen trommeln schon seit Stunden gegen das Zeltdach. Viele der rund 150 Paddelboote liegen mit dem Kiel nach oben neben den Zelten mit ihrer schlafenden Besatzung. Um zwei Uhr in der Nacht inspiziert die Strompolizei das Camp am Ufer der Donau bei Hainburg. Schlaftrunkene Augen blinzeln verstört in die Lichtkegel der Taschenlampen. Einige Zelte stehen zu nahe am Ufer und müssen nach oben verlegt werden. Unter dem Zeltdach ist es trocken und im Schlafsack kuschelig warm. Es regt sich Widerstand, doch unter Androhung der Zwangsräumung fügen sich schließlich auch die Widerborstigsten brummend in ihr Schicksal. Am nächsten Morgen wird der Platz einen Meter unter Wasser stehen und die Entscheidung der Strompolizei allgemeine Zustimmung finden. Mächtige Baumstämme reiten auf erdbraunen Fluten Richtung Südost. Wegen des Hochwassers wird die Donau für die gesamte Schifffahrt gesperrt. Just bei der Jubiläumsveranstaltung müssen die Paddelboote zwei der 52 Etappen auf dem Asphalt zurück legen.

Der Vorhang öffnet sich

Die Geschichte der größten und längsten Paddeltour der Welt begann 1956 mit einer Wanderfahrt auf der Donau von Bratislava nach Budapest. Große Anstrengungen waren notwendig, um die "Fahrt zur Förderung des Friedens und der Freundschaft auf der Donau" politisch durchzusetzen. 1957 paddelte man friedlich über die Grenzen der Volksrepubliken CSSR und Ungarn hinweg bis nach Jugoslawien. Und 1959 erstmals auch in einem nicht kommunistisch regierten Land am großen völkerverbindenden Strom: in Österreich. 1965 reichte die Freundschaft auf der Donau bis nach Deutschland und Bulgarien. Der Eiserne Vorhang hob sich an der Donau jedes Jahr von Juni bis August, wenn Paddler und Kanuten aus der ganzen Welt in Ingolstadt in Deutschland zusammentrafen, um gemeinsam der Donau 2080 Kilometer nach Silistra in Bulgarien zu folgen. Damals, als einzig die Donau unbekümmert durch das geteilte Europa fließen konnte, hatte die Tour International Danubien (TID) politische Bedeutung.

Barbecue mit Kreisky

"Nach einem furiosen Empfang in Wien, mit Barbecue vom Feinsten, lud Bundeskanzler Bruno Kreisky die Fahrtenleiter aller teilnehmenden Nationen ein", erinnert sich der Brite Harry Teasdale an seine erste TID-Teilnahme im Jahr 1972. Die Zeit ist vorbei, in der hochrangige Politiker einem fahrenden Volk in Sandalen, zerknitterten Leibchen und kurzen Hosen ihre Aufmerksamkeit schenkten. "Die russische Intervention 1968 in der damaligen CSSR war noch allen in Erinnerung und in Bratislava zeigten mir zwei Slowaken einige Einschusslöcher in der Stadt. Der Ostblock wirkte unheimlich. Wir redeten nicht offen, schauten uns ständig um und sprachen nur leise miteinander", erinnert sich "Sir Harry", wie ihn Paddelkollegen ehrfürchtig nennen. Heute, 33 Jahre nach seiner ersten Donaureise, habe sich die Atmosphäre auf der TID völlig verändert.

Sanft umspült vom weichen warmen Wasser der Donau hat bei Stromkilometer 1332 feiner weißer Sand im Laufe hunderter Jahre eine Bank mitten im Strom gebildet, auf der sich in der Mittagshitze eine illustere Schar von Paddlern versammelt: Deutsche, Österreicher, Slowaken, Ungarn, Serben, Polen und auch eine Neuseeländerin. Man nimmt ein Bad in der Donau, probiert sein Anglerglück im flachen Wasser, bestaunt das schönste Boot der Tour, das hölzerne Kanu "hereru", und ruft sich ein "Zum Wohl!" auf Serbisch zu: "Shiweli!" Max Grünberger quittiert das Treiben mit einem "Das Leben ist schön", eine Phrase, die der pensionierte österreichische Volksschuldirektor mehrmals am Tag verkündet. Dann bereitet er sich unter dem Schatten seines rot-gelben Sonnenschirms auf ein Nickerchen vor. Zoltan Dezeny, ein ungarischer Retroromantiker, hoffnungslos dem Glauben an die bessere k.u.k Zeit verfallen, fordert die Neuseeländerin Biff Frederikson zum Tanz auf. Max muss sein Nickerchen unterbrechen und spielt den Donauwalzer im schrillen Blockflötenklang, der bis zu den Ruinen von Vukovar auf der gegenüber liegenden kroatischen Uferseite tönt. Über die alte slawonische Hafenstadt brach 1991 das Inferno des jugoslawischen Bürgerkriegs herein und Vukovar wurde zum Symbol des chauvinistischen Wütens.

"TID - das ist Politik von unten", sagt der langjährige österreichische Fahrtenleiter und TID-Organisator Jannis Kaudelka. "Als Belgrad, Novi Sad und andere serbische Städte bombardiert wurden, luden Slowaken Kinder serbischer Paddelkollegen nach Bratislava ein. So konnten serbische Kinder dem Schrecken des Krieges entfliehen. Aber je wohlhabender die ehemaligen Ostblockländer werden, desto weniger Solidarität gibt es innerhalb der TID", beobachtet Kaudelka. Doch noch versorgen deutsche, österreichische und auch englische TID-Teilnehmer die ärmeren Serben und Bulgaren mit Ausrüstungsgegenständen und 2005 haben Deutsche und Österreicher die Visa für die Serben bezahlt.

Abschalten

"Bist du jemals in der Morgenstille gepaddelt?", fragt Werner Dangelmaier aus Bonn, der seine achte TID fährt. "Du hast alles für dich, das Wasser ist glatt, rundherum Stille und du gleitest dahin, während die Sonne aufgeht." Zwei Monate mit dem Boot unterwegs durch den halben Kontinent. "Es ist bezaubernd und nie langweilig, die Farben der Bäume ändern sich, tausendfach siehst du das Grün. Und am Abend baust du das Zelt auf und genießt das Zusammensein. Seit Wochen habe ich keine Zeitung mehr gesehen und keine Nachrichten gehört. Ich weiß gar nicht, was los ist zu Hause. Aber es ist leider kein Dauerzustand, irgendwann muss Schluss sein, am Schwarzen Meer." Ob er auch heuer mitfährt ist ungewiss: "Ich muss aufpassen, dass die TID nicht zur Sucht wird."

www.tid.at

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