Panzer für zahme OAS

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Die Organisation amerikanischer Staaten konnte sich bei der Wahl ihres neuen Chefs zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte gegen die USA durchsetzen.

Man nennt ihn den "Panzer". Nicht, weil er durch militärisches Auftreten auffiele oder alles niederwalzte, was sich ihm in den Weg stellt. Es ist die Zähigkeit, mit der er ein Ziel verfolgt und auch erreicht, die dem Chilenen José Miguel Insulza seinen martialischen Beinamen eingetragen hat. Sein jüngstes Husarenstück: Bei der Wahl zum Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (oas) hat er nacheinander zwei Favoriten Washingtons aus dem Feld geschlagen. Das ist noch niemandem gelungen. Denn die usa haben zwar wie alle anderen 33 Mitglieder der Regionalorganisation nur eine Stimme, doch sie kommen für 60 Prozent des Budgets auf und haben ihre Kandidaten als oas-Generalsekretär praktisch immer durchgesetzt.

Der Kolumbianer César Gaviria war so ein us-Günstling an der oas-Spitze. Und auch sein Nachfolger Miguel Angel Rodríguez aus Costa Rica, der erst vergangenen September Gavirias Nachfolge angetreten hat. Von San José bis Guatemala feierte man den ersten Zentralamerikaner auf diesem Posten. Aber schon einen Monat später musste er wegen Schmiergeldvorwürfen zurücktreten. Es galt also, einen neuen Kandidaten zu suchen, vorzugsweise wieder aus Zentralamerika.

1. Bush-Freund scheiterte

Diesmal brachten die usa den ehemaligen Präsidenten von El Salvador, Francisco Flores, ins Spiel. Der war gerade auf Jobsuche und hatte sich als treuer Verfechter der von Washington diktierten Freihandelspolitik erwiesen. Sein Programm, die oas in eine Art regionale Handelsorganisation umzuwandeln, fand aber bei den meisten Regierungen genauso wenig Anklang wie sein Naheverhältnis zu George Bush. Schon nach dem ersten Wahlgang sah Flores ein, dass er keine Chance hatte. Im Rennen blieben Mexikos Außenminister Ernesto Derbez und Chiles Innenminister José Miguel Insulza. Washingtons Botschafter John Maisto warf sein Gewicht für den Mexikaner in die Waagschale. Da dürfte vor allem die Männerfreundschaft zwischen George Bush und Vicente Fox den Ausschlag gegeben haben. Insulza wurde von Brasilien vorgeschlagen. So wurde die Abstimmung zum Machtkampf zwischen Norden und Süden.

2. Bush-Freund gab auf

Während die Zentralamerikaner seit dem Ende der sandinistischen Revolution ihrem Ruf als treueste Verbündete von Uncle Sam gerecht werden, versuchen die linksnationalistischen Regierungen in Brasilien, Venezuela, Argentinien und Uruguay möglichst viel Spielraum gegenüber dem Hegemonieanspruch der usa zu gewinnen. Den Ausschlag gibt aber immer die Entscheidung der 14 kleinen karibischen Staaten. Doch deren Stimmen verteilten sich diesmal so, dass Mitte April nach der fünften Abstimmungsrunde kein Ausweg aus dem Patt von 17:17 in Sicht war.

Bolivien wollte nicht für den Nachbarn Chile stimmen, weil der seit dem Salpeterkrieg von 1879 den Zugang zum Pazifik blockiert, und Peru war noch immer verstimmt, weil Chile vor zehn Jahren das Waffenembargo an den Kriegsgegner Ecuador gebrochen hatte. Erst der Verzicht des mexikanischen Kandidaten Ernesto Derbez machte schließlich den Weg für eine Konsenslösung frei.

Schwerfällig und ineffizient

Dieser Zwist um die Wahl des Generalsekretärs machte einmal mehr das Dilemma der oas deutlich. Sie ist schwerfällig und wenig effizient: Da sie kein Äquivalent zum uno-Sicherheitsrat hat, wo die politischen Schwergewichte die Linie vorgeben (oder durch ihr Veto unbequeme Entscheidungen verhindern können), muss man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, der sich oft genug als zu klein erweist, um notwendige Änderungen herbeizuführen. Die Bulletins der oas-Wahlbeobachter sind meist auch bei unübersehbaren Unregelmäßigkeiten so lau, dass sich das jeweilige Regime bestätigt fühlen kann. Da Zwergstaaten wie die karibische Inselgruppe St. Vincent and the Grenadines mit ihren 117.000 Einwohnern und einem Bruttonationalprodukt von 342 Millionen Dollar ebensoviel Gewicht haben, wie Brasilien mit seinen 184 Millionen Menschen, betrachten die größeren Staaten die Organisation als Forum, wo die Probleme der Kleinen gelöst werden können. Wenn es in oder zwischen großen Staaten kriselt, werden Gruppen von "Freunden" zur Vermittlung eingeladen, wie zuletzt in Venezuela, wo die Opposition seit Jahren versucht, den populistischen Präsidenten Hugo Chávez zu entmachten.

Auf keinen Fall einmischen

Nirgendwo auf der Welt ist das völkerrechtliche Prinzip der Nichtintervention in innere Angelegenheiten anderer Staaten so hochgehalten worden, wie in Lateinamerika. Die lange Geschichte der Kanonenbootpolitik, mit der die usa die Länder des Subkontinents gefügig gehalten hatten, war bei der Redaktion der oas-Gründungscharta im Jahre 1948 sehr präsent. Das sollte die Präsidenten von Eisenhower bis Clinton aber nicht abhalten, ihre Interessen südlich des Rio Grande mit der Entsendung von Marines zu verfolgen: Kubas Schweinebucht 1961, Dominikanische Republik 1965, Grenada 1983, Panama 1989, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen. Respektiert wurde hingegen die Souveränität aller Militärdiktaturen, die sich unbequeme Oppositionelle unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Kommunismus vom Halse schaffen konnten. Als undemokratisch verstoßen wurde nur Kuba.

Erst 1985 "demokratisiert"

1985, als die Diktatoren ihre letzten Rückzugsgefechte antraten und fast alle Länder des Subkontinents formal demokratisch regiert wurden, begann mit dem Protokoll von Cartagena ein Reformprozess in der oas. Ohne unmittelbare Gefahr für die eigene Glaubwürdigkeit konnte man in die Präambel der Charta einen Passus hineinredigieren: "Die repräsentative Demokratie ist unentbehrliche Voraussetzung der Stabilität, des Friedens und der Entwicklung der Region." Dieses hehre Bekenntnis blieb zunächst allerdings ohne jede praktische Konsequenz. Erst 1991 wurde der oas-Generalsekretär durch den Beschluss von Santiago de Chile ermächtigt, eine Krisensitzung des Ständigen Rates einzuberufen, wenn er in einem Mitgliedsland die Demokratie bedroht sieht. Schon wenige Monate später, als am 30. September die Militärs in Haiti den gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide wegputschten, kam der neue Mechanismus erstmals zur Anwendung. Doch das von der oas verhängte Wirtschaftsembargo gegen die Generäle erwies sich als unwirksam, da einige Staaten durch den Schmuggel von Erdöl das Überleben des Regimes ermöglichten. Erst 1995 trat eine weitere Neuerung in Kraft, die es erlaubt hätte, die Mitgliedschaft solcher Länder zu suspendieren.

Insulza: Anwalt & Sozialist

Eine Anfang der 1990er Jahre von Argentinien angeregte Militarisierung der oas, die bewaffnete kollektive Interventionen erlaubt, war schnell wieder vom Tisch. Weder in der Krise, die Präsident Alberto Fujimori 1992 mit seinem Putsch gegen die anderen Staatsgewalten in Peru auslöste, noch im Grenzkrieg zwischen Peru und Ecuador, 1995, konnte die oas für die Wiederherstellung von Demokratie und Frieden sorgen. Auf die Vertreibung der Präsidenten von Bolivien im Vorjahr und Ecuador im vergangenen April hatte die oas genauso wenig eine Antwort wie auf die Krise in Nicaragua, wo ein Machtkampf zwischen Präsident und Parlament nur deswegen unblutig bleibt, weil sich die Armee neutral verhält. Die oas verfügt über keine eigene Autorität, da die Mitgliedsstaaten bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort haben. Dazu kommt das knappe Budget und der Mangel an Fachleuten.

José Miguel Insulza, der letzte Woche sein Amt als oas-Generalsekretär angetreten hat, übernimmt also eine Organisation, deren Existenzberechtigung in Frage gestellt wird. Er selbst gilt als erfahrener Anwalt, der auf Völkerrecht spezialisiert ist. Während der Diktatur unter Augusto Pinochet lebte der Sozialist 14 Jahre lang im mexikanischen Exil. Nach seiner Rückkehr nach Chile berief ihn der Christdemokrat Eduardo Frei als Außenminister ins Kabinett. Nach dem Regierungswechsel vor fünf Jahren wurde er Innenminister. Insulza hat für die oas die Stärkung der Demokratie zur obersten Priorität erklärt. Er will ein Frühwarnsystem einrichten, das es erlaubt, rechtzeitig zu reagieren, und nicht erst dann, wenn vollendete Tatsachen geschaffen wurden. In Ecuador etwa hätte die verfassungswidrige Entlassung der Höchstrichter durch Präsident Lucio Jiménez schon letzten Herbst ein Mediationsteam der oas auf den Plan rufen sollen.

Damit im nächsten Anlassfall nicht endlos diskutiert wird, ob tatsächlich die demokratischen Spielregeln verletzt werden, schlägt der ehemalige us-Präsident Jimmy Carter vor, einen Katalog "minimaler Indikatoren für inakzeptables Verhalten" aufzustellen. Aber angesichts der Krisen, die sich in mehreren Ländern Zentral- und Südamerikas zusammenbrauen, wird der neue Mann an der Spitze der oas auf seine erste Bewährungsprobe sicherlich nicht lange warten müssen. Seine positiven Panzerqualitäten wird José Miguel Insulza dabei gut brauchen können.

Der Autor ist freier Journalist und Lateinamerika-Spezialist.

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