Parteitag, Gipfel, runder Tisch: Wettlauf um neue Gerechtigkeit

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Die härtesten Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise gelten als erkannt und behandelt. Jetzt widmet sich die Politik den Ursachen – und will damit zugleich bei Wählern punkten.

Ein Schlagwort jagt das nächste, eine neue Kampagne löst die noch gar nicht so alte ab, das Stimmengewirr der Konzepte wirkt vorerst disharmonisch. Im Bemühen, nach der Finanzkrise wieder Vertrauen herzustellen, liefern sich Europas Finanzminister und Regierungschefs einen Wettlauf für einen Sieg nach Punkten um die neue Gerechtigkeit.

Die nächsten Stationen sind der EU-Gipfel am 17. Juni in Brüssel und der G20-Gipfel am 20. Juni in Toronto. Da darf Österreich mit Vorschlägen nicht fehlen, tagt doch schon zuvor – am 11. und am 12. Juni in Wien – der Parteitag der Sozialdemokraten. Und dann gibt es das noch für die hiesigen Budget- und Steuerverhandlungen äußerst relevante Datum der Wiener Landtagswahl am 10. Oktober. Weswegen die SPÖ versucht, das Tempo zu bestimmen.

„Zeit für Gerechtigkeit! Zeit für faire Verteilung!“ lauten die Parolen der Sozialdemokraten, die sie plakatieren und via Internet auf einer eigens eigengerichteten Homepage verbreiten. Der Inhalt hat es in sich, hat die Betroffenen bereits aufgeschreckt.

Die SPÖ, vor Parteitag und Wien-Wahl wieder auf linkem Kurs? Es scheint so, liest man die unter dem Porträt des Parteivorsitzenden Werner Fayman ausgegebenen Parolen im Einzelnen durch. Per Bankenabgabe sollen die Kreditinstitute zur Behebung der – oftmals fälschlich ihnen als Verursacher zugeschriebenen – Finanzkrise beitragen. Finanztransaktionen sollen einer neuen Steuer unterworfen, die Absetzbarkeit von Gehältern für Manager beschränkt werden. Die für Stiftungen günstige Besteuerung sei zurückzunehmen, die Gruppenbesteuerung zu ändern.

Radikale Anträge an den Parteitag

Damit wird allem, was der behauptete neoliberalistische Kurswechsel mitsamt Globalisierung verursacht hat, der Kampf angesagt. Und die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter legt noch nach. Sie fordert die Einführung einer progressiven Vermögenssteuer, zumindest – wenn auch nicht auf Parteilinie – die Anhebung vermögensbezogener Steuern auf EU-Schnitt (in einigen EU-Ländern sind in den Vermögenssteuern allerdings Beträge enthalten, die in Österreich als Gebühren gesondert verrechnet werden; Anm.). Das alles solle, samt und sonders, wieder Gerechtigkeit und Fairness herstellen. Da will Faymann als Parteichef, der sich nach einem zwei Jahre zurückliegenden, mit 98 Prozent souverän gemeisterten Votum in zwei Wochen in der Wiener Messe den Delegierten zur Wiederwahl zustellen hat, nicht nachstehen.

In einer internationalen Tour wirbt Faymann für Transaktionssteuer und Bankenabgabe, vereinbart mit Europas Sozialdemokraten, eine EU-weites Volksbegehren zu starten. Sollten eine Million Bürger für das Projekt unterschreiben, dann müsste die Europäische Kommission dazu Gesetzesvorschläge ausarbeiten. Ob es dazu kommt, könnte sich schon beim Europäischen Rat in gut drei Wochen in Brüssel abzeichnen. In Österreich ist die Debatte voll angelaufen.

Die Industriellenvereinigung und andere Wirtschaftskreise haben die meisten der SPÖ-Vorschläge schon zurückgewiesen. Eine Börsenumsatz- oder Transaktionssteuer würde nur zur Flucht der Geschäftstätigkeit aus Österreich in Nachbarländer führen.Das gleich brächte eine härtere Besteuerung von Stiftungen oder von Verlusten innerhalb einer Unternehmensgruppe mit sich. Finanzminister Josef Pröll ging auf diese Einzelheiten noch nicht allzu intensiv ein, präsentierte hingegen ein in seinem Haus zurechtgelegtes Paket gegen Steuer- und Sozialbetrug.

Es sind vier Punkte, die Pröll im Visier hat: Steuerhinterziehung bekämpfen, Steuerflucht stoppen, Schattenwirtschaft austrocknen und Sozialmissbrauch verhindern. Das Papier kursiert, löst Debatten aus, doch die wahrscheinlich noch viel schwerer wiegende Problematik, auf die Pröll zu achten hat, liegt im Bundeshaushalt.

Budgetdebatte erst nach der Wahl in Wien

Mit dem Bundesfinanzrahmengesetz, welches Pröll dieser Tage vor seiner Israel-Reise der Regierung auf den Tisch legte, wird das große Sparprojekt in allen Ressorts eingeleitet. Das Werk selbst enthält nur die Zahlen für den großen Rahmen, Details folgen, und wie es in der Koalition ausgemacht zu sein scheint, keinesfalls vor der Wiener Wahl am 10. Oktober. Ab dann könnte es sehr rasch gehen. Der ÖVP-Klub hat den Kalender schon vorbereitet: Am 20. Oktober Budgetrede, anschließend Ausschüsse und Beratungen, bis zur Schlussabstimmung über das Budget am 19. November. So lange wollen oder können andere nicht warten, etwa der Präsident des Gemeindebundes, Helmut Mödlhammer.

Jeder dritten Gemeinde drohe die Pleite, hieß es aus dem Gemeindebund. Brieflich wandte sich Mödlhammer diese Woche an Bundespräsident Heinz Fischer. Dieser sei „als aktiver Bundespräsident“ die „ideale Persönlichkeit“, um angesichts besorgniserregender öffentlicher Finanzen und gewaltiger Verunsicherung der Bevölkerung einen „Pakt für Österreich“ zu initiieren. Dieser solle, so Mödlhammer, alle notwendigen Maßnahmen abseits von Partei- und Tagespolitik beraten und entscheiden.

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