Peanuts für die EU-Pfeffersäcke

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Vor genau fünf Jahren haben unter Vorsitz Österreichs die EU-Erweiterungsverhandlungen begonnen. In genau fünf Monaten zählt die EU 25 Staaten. Was kostet die Erweiterung jeden einzelnen, und was konnte Österreich zum Erweiterungsprozess beitragen?

Herr und Frau und Kind Österreicher zahlen in den nächsten drei Jahren pro Person 112,35 Euro für die EU-Erweiterung. Das sind 37,45 Euro für jeden Bewohner Österreichs pro Jahr. Zum Vergleich: Eine Bahnfahrt Wien-Salzburg und retour kostet mit Vorteilscard 36,60 Euro und die monatliche Stromrechnung für einen Vier-Personen-Haushalt schlägt beim Schreiber dieser Zeilen mit 38,84 Euro zu Buche.

Martin Sajdik und Michael Schwarzinger machen diese exakte Kostenaufstellung in ihrem Handbuch "Die EU-Erweiterung" unter der Kapitelüberschrift "Ein teures Vergnügen oder peanuts' für die Pfeffersäcke?" Die beiden Botschafter und Erweiterungs-Experten bleiben eine explizite Antwort auf ihre provokante Überschrift schuldig. Stil und Ausrichtung des akribisch recherchierten und mit viel Insiderwissen ausgestatteten Standardwerks zu Geschichte und Gegenwart des Erweiterungsprozesses lassen jedoch den Schluss zu, dass die Autoren den "Peanuts für die Pfeffersäcke" den Vorzug geben.

Eine "win-win-situation"

Auch wenn das Österreichische Wörterbuch den Ausdruck "Pfeffersack" nicht kennt - bei den Nutznießern der Erweiterung ist Österreich an vorderster Stelle dabei: "Jene Länder, die wie Österreich, Deutschland und Italien bereits bisher enge Handelsbeziehungen mit den Mittel- und Osteuropäischen Ländern (MOEL) unterhielten, profitieren am meisten", analysiert Wirtschaftsforscher Fritz Breuss in dem vom Forum Politische Bildung herausgegebenen Informationsband "EU 25 - Die Erweiterung der Europäischen Union". Breuss nennt die Erweiterung sowohl für EU als auch für die neuen Mitgliedsländer eine "win-win-situation".

Und das obwohl bei einigen EU-Ländern die Kosten den Nutzen übersteigen. Die Finanzierung der Erweiterung erfolgt nämlich im Wesentlichen durch eine Umverteilung der Strukturmittel von den alten Kohäsionsländern (Griechenland, Portugal und Spanien, weniger für Irland) zu den neuen Mitgliedsstaaten. Zudem können diese Staaten aufgrund ihrer geringen Handelstätigkeit mit den MOEL weniger an derem Aufschwung partizipieren.

80.000 Seiten in vier Jahren

Für Österreich gerechnet, erwartet Breuss von der Erweiterung eine Zunahme des realen BIP von 2005 bis 2010 um 0,75 Prozent. Das entspricht einem jährlichen Wachstumsimpuls von 0,15 Prozent. Damit gehört Österreich neben Deutschland zu den Hauptgewinnern der Erweiterung.

Vor genau fünf Jahren, im November 1998, begannen unter dem Vorsitz des damaligen österreichischen Außenministers Wolfgang Schüssel die konkreten Beitrittsverhandlungen mit den damals noch sechs Kandidatenländern: Mehr als 80.000 Seiten EU-Recht, aufgeteilt auf 310 Verhandlungskapitel, mussten bewältigt werden. Sajdik/Schwarzinger zollen den raschen Beitrittsverhandlungen uneingeschränkten Respekt: "Bedenkt man, dass vom Beginn der konkreten Verhandlungen bis zu deren Beendigung auf dem EU-Gipfel von Kopenhagen im Dezember letzten Jahres lediglich vier Jahre, ein Monat und drei Tage vergingen und ab Februar 2000 mit insgesamt zwölf Kandidaten parallel Gespräche geführt wurden, so ist das - vor allem auch von Seiten der EU - eine beeindruckende politische und organisatorische Leistung." Bedenken, wonach das Tempo der Verhandlungen zu Lasten der Qualität gegangen sei, wiegelt das Autorenduo ab: "Es wäre unrichtig, den EU-15 allzu weitgehende Großzügigkeit gegenüber ihren späteren Partnern vorzuwerfen, werden doch gegenüber den zehn Neu-Mitgliedern in der Vorbeitrittsphase Mechanismen angewandt (Monitoring, Peer Review), wie sie bei bisherigen Erweiterungen noch gegenüber keinem künftigen Mitglied zum Tragen kamen."

1. Mai 2004: weise gewählt

Das ändert allerdings nichts am Faktum, dass die künftigen Mitglieder im Umwelt- und Veterinärbereich zum Teil noch sehr große Aufholjagden zu bewältigen haben und auch am Wettbewerbssektor so manches neue EU-Land den Standards noch beträchtlich nachhinkt. Sajdik/Schwarzinger bestätigen dem Beitrittsdatum 1. Mai 2004 "weise gewählt" zu sein: Zum einen bleibe damit den Ländern ausreichend Zeit, die Ratifikationsprozeduren und Beitrittsreferenda über die Bühne zu bringen. Zum anderen wäre ein Hinauszögern der Mitgliedschaft ein Vertrauensbruch zwischen der EU und den Kandidaten gewesen.

Österreich-Expertise genutzt

Was aber hat nun Österreich zur Erweiterung beitragen können? Als die Europäische Union entschied, Österreich als neues Mitglied aufzunehmen, war laut Sajdik/Schwarzinger eines der Argumente, das für Österreich ins Treffen geführt wurde, seine Expertise in Ost- und Mitteleuropa. Und trotz aller gegenteiligen Behauptungen versichern die beiden Erweiterungsverhandlungen-hautnah-Mitverfolger, dass Österreich diesem Anspruch gerecht werden konnte: "Gewiss, aus Österreich ertönte wiederholt lautes Angst- und Junktimgeschrei, man schwang die Vetokeule' und hielt die Vetokarte im Ärmel'. Doch all diese Aussagen waren Beiwerk zu einem Verhandlungsprozess, in dem diese Ankündigungen, die noch dazu in den seltensten Fällen aus dem Mund der tatsächlich zuständigen Regierungsmitglieder zu vernehmen waren, nie wahr gemacht wurden."

Während der gesamten Beitrittsverhandlungen blockierte Österreich nur ein einziges Mal ein Verhandlungskapitel: das Energiekapitel mit Tschechien. Als positiver und konstruktiver Effekt dieses Streits um Temelìn konnte der Melker Prozess in Gang gesetzt werden, "der letztlich dazu führte, das Verhältnis zu Tschechien zu entkrampfen und den Weg für einen Beitritt des nördlichen Nachbarn zu ebnen".

Einen andere Erweiterungsinitiative Österreichs streicht Martin Lugmayr im Sammelband "Österreich in der Europäischen Union" hervor: "Nach einer langen Phase der Gleichgültigkeit gegenüber den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas setzte die österreichische Außenpolitik mit dem Vorstoß zur Bildung einer mitteleuropäischen regionalen Partnerschaft' nach dem Vorbild der finnischen Northern Dimensions' erstmals wieder Akzente."

Punze Erweiterungsbremser

Trotz all dieser Bemühungen und einer überwiegenden Mehrheit der Österreicher, die sich für die Erweiterung aussprechen, haftet Österreich aber nach wie vor das Image des Erweiterungsbremsers an. Das Autorenteam Sajdik/ Schwarzinger zeigt sich deswegen enttäuscht und ein wenig ratlos: "Angesichts des tatsächlich für die Erweiterung Geleisteten ist es einfach bedauerlich, dass die Punze, gegen die Öffnung Europas nach Osten, gegen die (Wieder)Vereinigung des Raums Mitteleuropa gewesen zu sein, so sehr an einem Land haften bleibt, das selbst so viel mittel- und osteuropäische Tradition in sich trägt."

DIE EU-ERWEITERUNG

Hintergrund, Entwicklung, Fakten

Von Martin Sajdik und Michael

Schwarzinger, Verlag Österreich, Wien 2003, 290 Seiten, brosch., e 53,-

EU 25

Die Erweiterung der Europäischen Union

Hg. vom Forum Politische Bildung, Nr. 19/2003, StudienVerlag, Innsbruck,

92 Seiten, für Lehrer zu bestellen bei Servicestelle politische Bildung bm:bwk

ÖSTERREICH IN DER EUROPÄISCHEN UNION. Bilanz einer Mitgliedschaft

Hg. von Michael Gehler u.a., Böhlau Verlag, Wien 2003, 655 Seiten, geb., e 69,-

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