Permanentes Lavieren zwischen Sein und Schein

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Nur ungern läßt sich die Öffentlichkeit in der bequemen Ruhe des sicherheitspolitischen Trittbrettfahrens stören.

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Nur ungern läßt sich die Öffentlichkeit in der bequemen Ruhe des sicherheitspolitischen Trittbrettfahrens stören.

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Das Buch erschien 1977 im Verlag Styria. Sein Titel faßte mit nobler Zurückhaltung zusammen, worum es ging: "Unbewältigte Landesverteidigung".

Der Autor wußte, worüber und wovon er schrieb: Mario Duic war einer der angesehensten Offiziere, über die das Bundesheer der Zweiten Republik verfügte. Sieben Jahre nach dem großen Wahlerfolg der SPÖ, den der nachmalige Bundeskanzler Bruno Kreisky nicht zuletzt mit dem demagogischen, im übrigen nie wirklich eingelösten Wahlversprechen errungen hatte, daß sechs Monate Dienstzeit im Bundesheer "genug" wären, diagnostizierte Duic, daß es "nie" eine Grundsatzdiskussion über die Landesverteidigung gegeben habe.

Weder 1955 nach dem Staatsvertrag, noch 1970, im Jahr der politischen Zeitenwende in der Zweiten Republik, in dem die SPÖ anstelle der ÖVP zur stärksten Partei im Lande wurde. Die Struktur des Bundesheeres und ihre Entwicklungsstufen - urteilte Duic 1977 - seien "vorwiegend von innenpolitischen Faktoren beeinflußt" gewesen; die "staatspolitische Seite" sei "immer sekundär" geblieben. Mit der Konsequenz halbherziger Lösungen und eines permanenten Lavierens zwischen Sein und Schein.

Daran hat sich seither nichts geändert. Gar nichts. Unverändert stehen die Landesverteidigung und mit ihr die österreichische Sicherheitspolitik im Schatten jener verhängnisvollen Geisteshaltung, die Erzherzog Mathias in Franz Grillparzers "Bruderzwist in Habsburg" so eindrucksvoll beklagt: "Das ist der Fluch von unserm edlen Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben." Die heimische Öffentlichkeit hat sich an diesen Zustand so sehr gewöhnt, daß er nahezu als naturgegeben hin- und nur dann wahrgenommen wird, wenn irgendwelche Katastrophen die bequeme Ruhe des sicherheitspolitischen Trittbrettfahrens stören und die krassen Mängel sichtbar werden, die sowohl militärische als auch humanitäre Einsätze unseres Bundesheeres behindern bzw. unmöglich machen.

Das war im heurigen Jahr - das notabene auch ein wichtiges Wahljahr ist - bereits zweimal der Fall: nach der Lawinenkatastrophe von Galtür und bei den Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge aus dem Kosovo. Als es Ende Februar darum ging, in Tirol und Vorarlberg Tausende Menschen zu evakuieren sowie Rettungsmannschaften, Nahrungsmittel und Bergegerät in die Einsatzgebiete zu transportieren, vermochte das Bundesheer nicht einmal die Hälfte der notwendigen 47 Transporthubschrauber zu stellen; 28 Hubschrauber kamen aus den USA, Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Und als das Bundesheer daranging, in Albanien für 5.000 Vertriebene ein Österreich-Camp aufzubauen, schrieb der "Standard" sehr treffend: "Leider tun wir das vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit mit jammervollen Mitteln." Österreich rücke "für seine große humanitäre Rolle mit Leukoplast-Bombern aus." Dem Resümee des "Standard" war nichts hinzuzufügen: "Das drittreichste Land Europas präsentiert sich im Rahmen einer internationalen humanitären Großaktion als Armutschkerlstaat."

Bereits zuvor hatte die angesehene "Frankfurter Allgemeine Zeitung" festgestellt, das Lawinenunglück in Tirol habe "wie selten zuvor offengelegt, daß Teile des österreichischen Bundesheeres nur noch bedingt einsatzbereit sind". Die "Ausrüstungs- und Bewaffnungsschwierigkeiten des Bundesheeres" seien "seit langem bekannt": "Das Wehrbudget Österreichs krebst seit einem Jahrzehnt gleichbleibend bei etwa 0,9 Prozent des Bruttosozialproduktes herum. Auf eine Etatausweitung konnte sich die Große Koalition nicht verständigen, die SPÖ gerierte sich in ihrem traumatischen Verhältnis zu allem Militärischen immer als Bremser."

Eben dieses unbestreitbare Faktum will jedoch der Parteivorsitzende der SPÖ, der gleichzeitig Bundeskanzler ist, nicht wahrhaben. Und so behauptete Viktor Klima dieser Tage allen Ernstes, daß er "voll" zu einem "leistungsfähigen Bundesheer" stehe. Gleichzeitig hat Viktor Klima allerdings einen Klubobmann im Nationalrat sitzen, der sich seit längerem für den Fall der Bildung einer rotgrünliberalen Ampelkoalition nach der nächsten Nationalratswahl als Anwärter auf die Funktion des Verteidigungsministers zu profilieren versucht. Peter Kostelka tut das in einer für ihn typischen Art und Weise auf einem unbeschreiblichen Niveau, das es schwer bzw. unmöglich macht, keine Satire zu schreiben. Verteidigungsminister Werner Fasslabend möge doch - "argumentierte" Kostelka - Kasernen verkaufen und Personal einsparen, um so den dringend notwendigen Ankauf von Hubschraubern zu finanzieren. Worauf die "Salzburger Nachrichten" mit dem nicht unschlüssigen Hinweis reagierten, daß dann doch wohl auch der Innenminister in der Lage sein müsse, sich seinen Krempel selber zu finanzieren. Und zwar ganz einfach durch Polizistenabbau und den Verkauf von Wachzimmern ...

Letztlich aber ist das Polit-Kabarett a la Kostelka alles andere als lustig. Denn es signalisiert, daß sich die Politik um Sachfragen herumdrückt. Darauf hat bereits nach den ersten Diskussionen über den Galtür-Einsatz des Heeres der Chefredakteur des "Standard", Gerfried Sperl, hingewiesen: "Tatsächlich ist es nicht nur beim Bundesheer so. Ähnliches läßt sich von der Technologie-Förderung sagen, von den zu geringen Investitionen in die Bildung, von den Versäumnissen auf dem Verkehrssektor. Die Leistungen der Industrie und die relativ hohe soziale Zufriedenheit übertünchen im Euroland Österreich eine insgesamt schwächer werdende Regierungsleistung."

Was Sperl als "insgesamt schwächer werdende Regierungsleistung" umschreibt, führt der emeritierte Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Heinrich Schneider, auf die Art zurück, wie die Koalition Politik macht bzw. nicht macht. Schneider tut das in einer sehr lesenswerten Analyse des Scheiterns der Bemühungen um einen sicherheitspolitischen Optionenbericht, in dem eine gemeinsame Regierungslinie in bezug auf die künftige Sicherheitspolitik (Neutralität, NATO) festgelegt werden sollte. Diese Analyse eines "Lehrstücks politischen Scheiterns" ist im "Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999" enthalten und sei hier abschließend kurz zitiert: "Man hat den Eindruck, daß zu den Eigenschaften österreichischer Politiker eine Abneigung gehört, die eigenen Redeweisen ,auf die Goldwaage zu legen'. Vielleicht meinen sie, daß ihnen das den pragmatischen Umgang mit Problemen erleichtert oder auch, daß Politik nicht in Form von Räsonnements und Diskussionen stattfindet, daß diese vielmehr nur eine Art Begleitmusik zu dem darstellen, was ,in Wirklichkeit' passiert, und daß dort, wo Definitionen und Argumente genauer differenziert werden, eher ,Schmonzes' geredet würde, während man es dort, wo ,Tacheles' ansteht, nicht so genau nehmen muß. Das mag manchmal so sein. Aber eine solche Einstellung und das entsprechende Verhalten stellt unter Umständen womöglich auch das Zutrauen in die Vernünftigkeit der österreichischen Politik in Frage. Kann unsere Politik sich das wirklich leisten? Gerade wenn es um die Sicherheit des Landes und um die Glaubwürdigkeit der Regierung geht, wäre ein anderes Vorgehen ratsam."

Ein kritischer Rückblick, meint Schneider, könne vielleicht zu einer "Selbstbesinnung" führen. Sicherlich könnte dazu auch eine klare und aussagekräftige Wortmeldung von Bundespräsident Thomas Klestil beitragen, der ja auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist. Sie steht allerdings leider bis zur Stunde noch aus. Obwohl sie überfällig wäre.

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