Peter Heidegger - © Foto: Unsplash/Ye Jinghan

Peter Heidegger: 2.865 Tage unschuldig in Haft

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Nach dem Freispruch ist Peter Heidegger zwar ein freier Mann - aber seine Odyssee ist nicht ausgestanden: Der Rechtsstreit über die Höhe der Haftentschädigung droht sich über Jahre hinzuziehen.

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Nach dem Freispruch ist Peter Heidegger zwar ein freier Mann - aber seine Odyssee ist nicht ausgestanden: Der Rechtsstreit über die Höhe der Haftentschädigung droht sich über Jahre hinzuziehen.

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Acht Jahre saß Peter Heidegger schuldlos im Gefängnis. 2.865 Tage als verurteilter Mörder in einer Zelle. Seit Ende seines wieder aufgerollten Prozesses im letzten Jahr steht fest: Die Exekutive hat den falschen Täter präsentiert, das Gericht den falschen Mann eingesperrt. Die Verteidigung spricht von einem "polizeilichen Ermittlungsskandal" und viele Anzeichen weisen in diese Richtung. Der inzwischen 30-Jährige kämpft um seine Reputation, um seine Ehre und gegen den Verdacht, vielleicht doch der Mörder zu sein. Und er kämpft um Wiedergutmachung. Seine Verteidiger fordern 1,15 Millionen Euro an Haftentschädigung.

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Begonnen hatte die Odyssee am 5. Juli 1993: Die 28-jährige Salzburger Taxifahrerin Claudia Deubler wurde in Wals ermordet aufgefunden. Schon wenige Tage nach der Bluttat hatte die Gendarmerie ihr Interesse auf den damals 19-Jährigen Gmundner Peter Heidegger, damals Präsenzdiener in Wals, gerichtet. Der junge Mann wurde verhaftet und gestand, er habe die Frau erschossen und beraubt. Gleich fünf Mal legte er ein Geständnis ab. Nach 15 Tagen widerrief er mit der Begründung, er sei von den Ermittlern unter Druck gesetzt worden, doch die Geständnisse hingen fortan wie ein Mühlstein an ihm. Dem gelernten Fliesenleger wurde der Prozess gemacht und die Geschworenen befanden ihn des Mordes schuldig. Das Urteil: 20 Jahre Haft. Nach acht Jahren erreichte er 2001 die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Die Geschworenen waren sich nach nur zweieinhalb Stunden Beratung einig: Freispruch für den Angeklagten mit 8:0 Stimmen.

Mord bleibt ungeklärt

Der nun wieder ungeklärte Mord an der Taxilenkerin muss neu aufgerollt werden. Weil sechs Beamte der Salzburger Gendarmerie-Kriminalabteilung wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs angezeigt wurden, haben Linzer Kollegen den Fall übernommen. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf zwei Salzburger, die seit Jahren als mutmaßliche Täter im Akt vorkommen, aber trotz eines Geständnisses nicht ernst genommen wurden.

Erschütternde und berührende Szenen spielten sich nach dem Freispruch ab. Peter Heidegger brach in Tränen aus und umarmte minutenlang seine Mutter. Auch dem Verteidiger Franz Gerald Hitzenbichler, der seit 1994 um die Wiederaufnahme gekämpft hatte, standen Tränen in den Augen. "Ich werde neu anfangen", sagte Heidegger. Er habe immer gehofft, dass es zum Freispruch kommt, "über die Hafterlebnisse will ich gar nicht sprechen".

Geständnis unter Druck

Die Ermittler im Mordfall Deubler sollen sich einseitig auf Heidegger eingeschossen und den in sich gekehrten, zurückhaltenden Bursch bei den Verhören massiv unter Druck gesetzt haben. "Mir ist vorgehalten worden, dass meine Haare im Taxi gefunden und meine Fingerabdrücke sichergestellt worden sind", schilderte Heidegger. Als er bestritten hatte, etwas mit dem Mord zu tun zu haben, habe ein Kripo-Beamter gesagt, dann werde man ihn "halt eine Nacht beleuchten, dann wird er es schon zugeben". Schließlich habe er das Geständnis abgelegt, "damit Ruhe ist". Er habe gedacht, dass "die Beamten weiter ermitteln würden und die Wahrheit dann sowieso rauskommt". Erst als ihm später klar geworden sei, dass die Ermittler "meine Unschuld nicht beweisen werden", habe er widerrufen.

Nun ist Heidegger wieder ein freier Mann. Sein Akt ist aber noch lange nicht geschlossen. Das Ringen um eine Haftentschädigung ist voll im Gang. Seine Anwälte haben erste Erfolge aufzuweisen. Das Gericht hat Haftentschädigung zugestanden - für 2.865 Tage. Die Staatsanwaltschaft will sich nicht mehr quer legen: Sie hat die Ankündigung, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen, zurückgezogen. Jetzt geht es um die Höhe der Entschädigung.

Peter Heidegger - Am Freitag, den 16. Mai 2003 wurde Peter Heidegger (links) freigesprochen. Hier mit seinem Verteidiger Gerald Hitzenbichler. - © Foto: APA/Salzburger Nachrichten/Robert Ratzer
© Foto: APA/Salzburger Nachrichten/Robert Ratzer

Am Freitag, den 16. Mai 2003 wurde Peter Heidegger (links) freigesprochen. Hier mit seinem Verteidiger Gerald Hitzenbichler.

"Der Gerichtsbeschluss auf Haftentschädigung ist sensationell", sagt Anwalt Franz Mahr. Er meint damit die Begründung des Richters, denn diese enthält starken Tobak. Die Ermittlungsbehörden kommen dabei schlecht weg: Schon Heideggers Festnahme wäre gesetzwidrig gewesen, die Erhebungen seien einseitig geführt worden, Entlastungsmaterial wurde negiert. Die Vorwürfe reichen von falscher Zeugenaussage über Beweismittelunterdrückung bis Urkundenfälschung. Der Richter hatte schon im Prozess herbe Kritik an "Ermittlungsfehlern" von Beamten des Landes-Gendarmeriekommandos geübt. Nun ließ er neuerlich aufhorchen: Entschädigung gebühre Heidegger auch für seine erste Verhaftung, die ohne Information der Staatsanwaltschaft und ohne gerichtlichen Haftbefehl erfolgt sei. Gegen sechs Kriminalbeamte der Gendarmerie laufen jetzt Ermittlungen. Auch das Büro für interne Angelegenheiten im Innenministerium wurde eingeschaltet. Der Vorwurf: "Irreführung der Justiz". Die Exekutive habe sich frühzeitig auf einen Täter festgelegt haben und wollte davon nicht mehr abgehen.

Für Heidegger ist die Sache noch nicht ausgestanden. Er muss um seine Entschädigung kämpfen. Heidegger fordert Ersatz für die seelische Qual, fast acht Jahre als Schwerverbrecher eingesperrt gewesen zu sein, für Ruf- und Kreditschädigung sowie für die Erschwerung der Berufslaufbahn. Anwalt Hitzenbichler beziffert den Schaden mit 1,15 Millionen Euro. Die höchste jemals in Österreich ausbezahlte Summe nach einer Amtshaftungsklage waren bisher knapp 220.000 Euro für eine Querschnittslähmung. Eine außergerichtliche Einigung über die Höhe der Haftentschädigung ist möglich, aber keineswegs wahrscheinlich. Sollten die Verhandlungen zwischen den Anwälten und der Republik scheitern, könnte sich der Rechtsweg über Jahre hinziehen.

Keine Entschädigung

"Heidegger kann noch lange auf sein Geld warten", befürchtet ein Linzer, der ungenannt bleiben will: "Wenn einem Staatsbürger dem Grunde nach eine Haftentschädigung zugesprochen wird, so heißt das noch lange nicht, dass er auch tatsächlich sein Geld bekommt". Der Linzer Mann spricht aus Erfahrung, er wartet seit zwölf Jahren auf Entschädigung. Er wurde als "Komplize" von Tibor Foco verurteilt und nach insgesamt sechs Jahren Haft in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. 1996 bekam er den Beschluss auf Haftentschädigung zugestellt. Seitdem streitet man über die Höhe des Betrages.

Das Landesgericht für Zivilsachen Wien hat ihm eine Summe zugesprochen, die für den Mann nicht akzeptabel ist. Auch die Finanzprokuratur bekämpft das Urteil. "Die wollen mir am liebsten gar nichts zahlen", sagt der Linzer. "Sie sagen, sie haben mir sparen geholfen, weil ich im Gefängnis gesessen bin. Außerdem soll ich ihnen auf Punkt und Beistrich belegen, wie viel an Gehalt mir in all den Jahren entgangen ist", sagt er. "Die Republik will mich offensichtlich aushungern. Man zieht die Sache so lange hin, bis ich unter der Erde bin", sagt der heute 60-Jährige verbittert. Die Finanzprokuratur sieht die Sache anders. Der Linzer könne bis dato keine entsprechenden Belege und Nachweise erbringen. Man sei grundsätzlich bereit, dem Mann eine Haftentschädigung zu zahlen, aber die "Beweislast" für die Höhe dieser Entschädigung liege beim Betreffenden.

Thomas Hartl

Der Autor ist freier Journalist.

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