Pilz - © Foto: APA/ Georg Hochmuth

Peter Pilz: „Türkis ist bis auf die Knochen korrupt“

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Peter Pilz über Interessen elitärer Minderheiten, den „politischen Islam“, die „Flucht“ des Altbundeskanzlers und die Frage nach der Sinnhaftigkeit seines eigenen Antretens bei der Nationalratswahl.

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Peter Pilz über Interessen elitärer Minderheiten, den „politischen Islam“, die „Flucht“ des Altbundeskanzlers und die Frage nach der Sinnhaftigkeit seines eigenen Antretens bei der Nationalratswahl.

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Zum Auftakt der FURCHE-Interviews zur Nationalratswahl spricht Peter Pilz über sein Parteiprogramm, Pläne nach dem Wahltag, die Vorwürfe sexueller Belästigung und erklärt, was mit den Millionenförderungen für die Parteiakademie der Liste Pilz bislang passierte.

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DIE FURCHE: Herr Pilz, um mal „soft“ zu beginnen: Es gibt eine Werbeanzeige Ihrer Partei mit dem Slogan „Macht braucht Kontrolle“. Darauf zu sehen sind Sie mit Ihren Mitstreitern Maria Kern und Martin Balluch. Daneben, in gleicher Größe: Sebastian Kurz, H. C. Strache und Stefan Pierer. Hat Kurz sich eigentlich schon dafür bedankt, dass er in Ihrer Wahlwerbung gleich groß ins Bild gehoben wird wie Sie als Spitzenkandidat – und implizit gleich zum nächsten Bundeskanzler gemacht wird?
Peter Pilz: Er muss sich nicht bedanken, denn er ist der nächste Bundeskanzler. Es steht ja diesmal nur zur Wahl, wie groß die vier Beiwagerl werden – egal ob sie jetzt blau, rot, rosa oder grün sind. Kurz hat also einen Grund, warum er nur von mir davonläuft. Ich habe so etwas noch nie erlebt: Ein Kanzlerkandidat, der eigentlich schon Bundeskanzler ist, und vor mir durch Österreich flüchtet – und zwar mit seiner gesamten Liste. Niemand von der ÖVP-Liste traut sich, im Fernsehen gegen mich anzutreten. Dazu müssen sie eine Abgeordnete aus Brüssel importieren, die sich gerade noch traut. Ich werde in der ORF-Konfrontation also mit Karoline Edtstadler diskutieren. Und zwar über den ÖVP-Plan der Orbánisierung Österreichs.

DIE FURCHE: Das bringt uns direkt zu den Inhalten: Die zentrale Botschaft, die Sie im Wahlkampf bislang vermittelt haben, ist: Sie wollen Kontrollpartei für die Regierung sein. Aber was ist, abseits davon, eigentlich Ihre eigene politische Agenda, für die Wählerinnen und Wähler das Kreuz bei Ihnen machen sollen würden?
Pilz: Das erste ist die schärfste Kontrolle der Parteienfinanzierung und Parteibuchwirtschaft der ganzen Welt: Schärfste Kontrolle durch den Rechnungshof; Spendenwäsche, Ausschreibungsbetrug und Parteibuchwirtschaft ins Gesetz: drei Jahre für nachgewiesene Parteibuchwirtschaft im Amt. Zwei weitere Schwerpunkte: Erstens, ein Klimapaket bestehend aus CO2Steuer, Fleischsteuer und einer hohen Kerosinbesteuerung, die mindestens 250 Mio. Euro pro Jahr bringt. Dazu gehört der sofortige Ausstieg aus privaten Ölheizungen inklusive massiver Förderung der Betroffenen und ein großes Paket zu öffentlichem Verkehr – mit dem Öffi-Ticket für ganz Österreich um 730 Euro. Zweitens: Innerhalb von zwei Jahren Kinder- und Altersarmut beseitigen – durch eine bedingungslose Grundsicherung für Kinder und ältere Menschen. Der Schlüssel für all das ist aber die Korruptionsbekämpfung.

DIE FURCHE: Weil?
Pilz: Korruption bedeutet in Österreich nichts anderes als in Brasilien: Eine reiche Minderheit kauft sich Abgeordnete, Minister und Gesetze. Und verhindert damit, dass die Politik dem Gemeinwohl dient. Wenn die ÖVP die Interessen einer reichen und elitären Minderheit vertritt, dann ist alles, was wir an tollen Konzepten erarbeiten, für den Reißwolf. Deshalb müssen korrupte Parteien zuerst von den Wählern aus dem Amt gewählt werden. Und die türkise ÖVP ist eine politisch bis auf die Knochen korrupte Partei.

Jeder weiß: Wer Millionen in Parteien investiert, der erwartet reichen-­ und industriellenfreundliche Politik.

DIE FURCHE: Zur Transparenz der Liste Pilz selbst: Was ist bisher mit den jährlich 1,2 Mio. Euro an öffentlicher Förderung für die Parteiakademie passiert, die Sie seit 2018 bekommen?
Pilz: Zum einen haben wir einmal die Akademie aufgebaut. Ab Jänner haben wir eine Reihe großer Veranstaltungen, unter anderem mit Slavoj Žižek und der Politologin Chantal Mouffe, organisiert, die einiges gekostet haben. Das führen wir demnächst mit den nächsten großen Veranstaltungen fort. Das zweite war zunächst der Einstieg in unser Medium Zackzack.at. Wir haben dann aber beschlossen, die Finanzierung über die Partei zu machen. Dazu finanziert die Akademie Stipendien, die gerade vergeben werden. Wir haben Sie in Erinnerung an meine alte Freundin Gabriela-Moser-Stipendien getauft.

DIE FURCHE: Was passiert mit dem übriggebliebenen Geld, wenn Sie es nicht mehr ins Parlament schaffen?
Pilz: Meines Wissens ist die gesetzliche Regelung, dass das bereits ausbezahlte Geld in der Akademie verbleibt und die Akademie über die weitere Verwendung entscheidet.

DIE FURCHE: Diesen Fall gab es bereits bei der Akademie des Teams Stronach. Nachdem die Partei 2017 aus dem Parlament flog, bestand die Akademie weiter und tut das auch heute noch, was für viel Kritik sorgte. Was würden Sie also konkret mit dem Geld machen?
Pilz: Das entscheide nicht ich, sondern der Vorstand und die Mitgliederversammlung der Akademie. Ich bin allerdings eines von fünf Vorstandsmitgliedern und werde mitreden. Ich möchte jedenfalls ZackZack.at nach seinem großen Erfolg zu einem Medienhaus ausbauen – mit einem zweiten Onlinemedium, Fernsehen und Ausbildung investigativer Journalisten. Möglicherweise wird es dafür auch finanzielle Unterstützung der Parteiakademie geben. Denn wir brauchen einen Gegenpol zu Medien von Unzensuriert.at bis zu ehemals unabhängigen Zeitungen, die jetzt an der kurzen Leine der ÖVP sind.

DIE FURCHE: Die ÖVP fordert ein Verbot der Identitären und des „politischen Islams“. Sie auch?
Pilz: „Den politischen Islam“ kann man nicht verbieten, sehr wohl aber seine Organisationen. Die kommen jetzt dran. Und dann nehmen wir uns die rechtsextremen Burschenschaften vor.

DIE FURCHE: Aber wer oder was ist dieser „politische Islam“ und wer soll darüber bestimmen, was darunter fällt und was nicht?
Pilz: Das ist sehr einfach: Organisationen, die im Islam eine Handlungsanleitung zu Errichtung eines islamischen Staates sehen, sind politische Islamisten. Ich will deshalb ein Verbot von ATIB und Millî Görüş, der türkischen Muslimbruderschaft, schon in der Nationalratssitzung am 25. September. Die Muslimbruderschaft, weil sie eine islamistische verfassungsfeindliche Organisation ist. Bei ATIB kommt dazu, dass der von Ankara aus geführte Moscheeverband ein gefährliches nachrichtendienstliches Instrument des türkischen Präsidenten ist.

Entweder gibt es uns als Kontrolle im Parlament, oder es gibt gar keine Kontrolle.

DIE FURCHE: Die Wahlumfragen sehen Sie bei ein bis zwei Prozent, also deutlich nicht im Parlament. Wenn Ihnen die Kontrolle der neuen Regierung so wichtig ist, wäre es rechnerisch also eigentlich gescheiter, nicht anzutreten. Denn scheitern Sie an der Vier­Prozent­Hürde, teilen sich die an Sie „verlorenen“ Stimmen proportional auf die anderen Parteien auf – und die Großen profitieren davon am meisten.
Pilz: 25 Prozent sagen in einer StandardUmfrage, dass sie uns unbedingt im Nationalrat wollen. Wir müssen nur drei Prozent von ihnen überzeugen, dass wir dazu ihre Stimmen brauchen. Und der Punkt ist: Entweder gibt es uns als Kontrolle im Parlament, oder es gibt gar keine Kontrolle.

DIE FURCHE: Man darf guten Gewissens davon ausgehen, dass auch andere Parteien ihre parlamentarische Oppositionsfunktion wahrnehmen werden.
Pilz: Zu den Grünen sage ich nur: Novomatic. Soravia. Und Michael Tojner. Das war der Sündenfall der Grünen. Gegen Toj ner laufen riesige Betrugsverfahren. Jetzt im Wahlkampf hat er mit seinem Club 20 sogar zu einer Veranstaltung mit Werner Kogler geladen. Die NEOS sind da immerhin transparenter. Sie haben wie Löwinnen dafür gekämpft, dass Millionenspenden legal bleiben. Jeder weiß: Wer Millionen in Parteien investiert, erwartet reichen- und industriellenfreundliche Politik. Das ist auch nichts Illegales: Bei NEOS ist vollkommen transparent, dass die Reichen und Mächtigen das bekommen, wofür sie gezahlt haben. Aber es wird dann hoffentlich niemand glauben, dass die NEOS die schärfste Kontrolle der Bauindustrie oder der Auftragsvergabe im Bauwesen sind.

DIE FURCHE: Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung gegen Sie wurden eingestellt. Das Thema kommt aber immer wieder auf – gerade in den sozialen Medien. Wäre es nicht, auch als Symbol politischer Kultur, besser gewesen, Ihr Mandat nicht anzunehmen und von einem erneuten Antritt bei der Wahl abzusehen?
Pilz: Ich habe dem Rechtsstaat vertraut. Entscheidend war die konsequente Arbeit einer Innsbrucker Staatsanwältin. Die Verfahren, die aus der grünen Ecke kamen, wurden sachlich untersucht und von der Staatsanwältin wegen Substanzlosigkeit eingestellt. Der Alpbach-Teil wurde nach ausführlichen Ermittlungen ebenfalls eingestellt. Ich wurde nicht einmal mehr einvernommen. Die Staatsanwältin hatte keine Fragen an mich.

DIE FURCHE: Sie kennen die Debatte. Es gibt zahlreiche Menschen, die denken: Wenn solche Vorwürfe gegen einen Politiker im Raum stehen, sollte er – auch wenn ein Verfahren wegen Verjährung eingestellt wurde – sein Mandat nicht annehmen.
Pilz: Wenn ein Verfahren rechtsstaatlich geklärt wird, ein Vorwurf offensichtlich falsch ist, dann soll man – weil die ÖVP damit spekuliert, dass etwas hängen bleibt – sein Mandat nicht annehmen? Und dann haben einige Herrschaften in anderen Parteien trotz einer klaren rechtsstaatlichen Entscheidung ihr Ziel erreicht? Ich habe damals Heinz Patzelt, den Generalsekretär von Amnesty International, getroffen. Er hat zu mir gesagt: Du hast alles getan, was man von einem Politiker erwartet, um aufzuklären.

DIE FURCHE: Im Falle eines Parlamentseinzugs stünden Sie ausdrücklich nicht für eine Koalition mit der ÖVP zur Verfügung. Mit welchen Parteien würden Sie denn koalieren?
Pilz: Die Frage der Koalition wird sich jetzt nicht stellen. Aber wenn wir uns als parlamentarischen Kern eines Projekts verstehen, das einen Gegenpol zu den Ibiza-Parteien aufbauen will, dann geht es natürlich vor allem um die SPÖ und die Grünen. Alle wissen: Die sind sicher im nächsten Nationalrat. Es geht jetzt also um uns als einzige unbestechliche Kontrolle.


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