Pioniere an den Urnen

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400.000 Jugendliche dürfen heuer erstmals ihr Kreuz auf einem Wahlzettel machen. In einem Wiener Gymnasium wurde probeweise gewählt.

Als Erwin Steiner den Raum betritt, sind alle schon auf ihren Plätzen. Auffallend ruhig und diszipliniert geht es in der 7c-Klasse am Gymnasium Rahlgasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk zu. Die vereinzelten, leisen Gespräche werden durch das „Guten Morgen“ des Lehrers rasch im Keim erstickt. Geschichte steht heute am Programm, aber eigentlich wird über die politische Zukunft abgestimmt. Schließlich gehören die 20 Schülerinnen und Schüler am 28. September zur heiß umkämpften Gruppe der Erstwähler.

Seit der Wahlrechtsreform 2007 können erstmals auch 16- und 17- Jährige ihre Stimme bei einer Nationalratswahl abgeben. Rund 400.000 haben bei dieser Wahl die Gelegenheit, erstmals ihr Kreuzchen zu machen (siehe Kasten).

Das kleinere Übel

„Keine Partei ist hundertprozentig richtig, aber man muss halt das kleinere Übel wählen, um Größeres zu verhindern“, erklärt eine Schülerin. Was für die Klasse das kleinere Übel ist, wird spätestens bei der für heute angesetzten Probewahl klar. 55 Prozent wählen die Grünen, immerhin 15 Prozent das Liberale Forum. Auf dem dritten Platz landen ex aequo SPÖ und KPÖ (je zehn Prozent). Eine Stimme ist ungültig. Auf das einzige Votum für die FPÖ reagieren die meisten aufgebracht: „Wer hat denn die gewählt?“, wird empört gerätselt.

Von Politikverdrossenheit ist in dem Raum jedenfalls nichts zu spüren – auch wenn sich alle einig sind, dass die drei Prozent Erstwähler bei der kommenden Nationalratswahl wohl nicht ausschlaggebend sein werden. Vielleicht haben sich das auch die Parteien selbst gedacht, meint eine Schülerin: „Die haben ja kaum Themen, die uns interessieren.“ Auf Nachfrage wird sie konkreter: „Uns fehlen Plätze, die wir in Freistunden besuchen könnten, ohne gleich etwas konsumieren zu müssen.“

Etwas hektischer geht es nach der großen Pause in der 6e-Klasse zu. Auch dort lässt Deutschlehrer Roman Jobstmann probewählen. Und auch dort ist das Ergebnis ähnlich: Die Grünen bekommen knapp 30 Prozent der Stimmen, das LIF rangiert mit 25 Prozent auf Platz zwei, die SPÖ kommt auf knapp 21 Prozent und sichert sich damit den dritten Platz in der Klasse. ÖVP und FPÖ überzeugen jeweils nur zwei Schüler und halten so bei acht Prozent. Zwei weitere Kollegen haben weiß gewählt.

Auch wenn nur fünf Jugendliche aus der sechsten Klasse heuer „Das erste Mal“ – so der Slogan der Werbekampagne „Wählen mit 16“ –, zur Urne schreiten dürfen: Fast alle wissen, was sie ankreuzen würden. „Wir reden viel über Politik. Nicht nur daheim, sondern auch in der Klasse“, erklärt eine quirlige Schülerin in der ersten Reihe. „Ich kenne aber viele, die nie darüber reden und sich auch überhaupt nicht für Politik interessieren.“ Ist das wirklich so, fragt Jobstmann – und bittet um etwas mehr Disziplin. Es folgen Zwischenrufe, der Lärmpegel steigt. Lehrer und Schüler sind sich über den Ablauf der Diskussion nicht einig. Kopfschüttelnd meint eine Schülerin: „Herr, Professor, das Durcheinander da ist ja fast wie in der Politik!“

Um die Diskussionskultur zu retten, soll ab jetzt aufgezeigt werden, wünscht sich Jobstmann. Und tatsächlich strecken die Jugendlichen plötzlich die Hände in die Höhe – und reden dennoch im gleichen Moment drauflos. Früher wären sie mehr von der politischen Einstellung ihrer Eltern geprägt gewesen, lautet das Credo der Klasse, aber jetzt seien sie in einem Alter, wo sie sich selbst informieren könnten und das auch tun würden. „Ich will ja nicht so wie die Älteren sein, die nicht mehr darüber nachdenken und immer dasselbe wählen“, erklärt eine Schülerin. Plötzlich kommt das Thema EU auf – und für ein paar Minuten ist der Mund wieder schneller als die Hand. Nur noch Satzfetzen sind zu vernehmen: „…für eine Volksabstimmung“, ruft einer, „bringt nichts“ ein anderer, „aber im Parlament sind gewählte Vertreter“ ein Dritter. Schließlich klinkt sich Lehrer Roman Jobstmann ein: „Gewählte Vertreter und nicht Verräter“, reimt er – und hat die Lacher auf seiner Seite.

Politische Bildung

Seit heuer ist ab der 8. Schulstufe das Fach „Politische Bildung“ im Lehrplan verankert. „Bei uns an der Schule“, so Erwin Steiner „legen wir sehr viel Wert auf aktuelle politische Themen und das nicht erst seit diesem Schuljahr!“ Zumindest beim FURCHE-Lokalaugenschein widerlegten Jugendliche das Vorurteil, nicht an Politik interessiert zu sein. Einer sagte klar: „Politik ist wichtig, wir wollen mehr darüber wissen.“

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