Politnarzissmus - © Collage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von AFP / Walter Dhladhla und APA / AFP/ Brendan Smialowski

Politik und Bühne

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Der Narzisst ist der Gottseibeiuns moderner Mediengesellschaften. Aber sind politische und gesellschaftliche Veränderungen mit ausschließlich selbstlosem Antrieb überhaupt möglich?

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Der Narzisst ist der Gottseibeiuns moderner Mediengesellschaften. Aber sind politische und gesellschaftliche Veränderungen mit ausschließlich selbstlosem Antrieb überhaupt möglich?

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Allein die Frage birgt Schock-Potenzial. Waren Nelson Mandela und Martin Luther King, waren Mahatma Gandhi oder gar Mutter Teresa, diese ikonischen historischen Persönlichkeiten, die die Welt zum Besseren wandten, indem sie sich selbstlos für die anderen einsetzten – waren sie am Ende womöglich alle glühende Narzissten? Es wäre eine wahrhaft schockierende Erkenntnis. Denn ein Blick in Zeitungen oder Fernsehberichte und erst recht Streifzüge durchs Netz zeigen klar und deutlich: Narzissten sind die Inkarnation des Bösen.Der Narzisst drängt in den Vordergrund, weil er die Bewunderung braucht. Er umschmeichelt Menschen, aber lässt sie fallen, wenn sie nicht mehr nützlich sind. Er benutzt sie als Steigbügelhalter auf Abruf, als Sänftenträger zur großen Bühne. Mitarbeiter und Untergebene, Freunde und Angehörige, Ehepartner und Liebschaften: Sie alle leiden unter ihm. Und die kollektive Diagnose steht: Der Narzisst verfolgt nichts als seine eigenen Interessen. Denn er dreht sich ausschließlich um sich selbst.

Entsprechend voll sind die sozialen Medien, die Feuilletons, die populärwissenschaftliche Ratgeber-Literatur mit wütenden Anklagen: Da formieren sich Geschädigte in Selbsthilfegruppen, da geben Youtuberinnen Tipps zur Trennung vom narzisstischen Partner, da rechnen mitunter gar Leute vom Fach mit ihren narzisstischen Klienten ab (sie gelten für Therapeutinnen und Therapeuten als besonders harte Nüsse), so dass man bisweilen fast den Eindruck bekommen könnte: Dem Serienmörder wird verziehen (er hatte schließlich eine traumatische Kindheit), dem Narzissten nicht.

Bisweilen könnte man fast den Eindruck bekommen: Dem Serienmörder wird verziehen (er hatte schließlich eine schwere Kindheit), dem Narzissten nicht.

Das Schlimmste aber: Der Narzissmus infiltriert die höchsten Zirkel der Macht effizienter als jede politische Ideologie. Die wandelnde Definition des Narzissmus, so das oft gehörte Urteil, sitzt heute im Weißen Haus. Der mächtigste Mann der Welt, ein polternder, unberechenbarer Egomane, der weltpolitische Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft, politische Gegner in nächtlichen Wut-Tweets diskreditiert und Journalisten auf Pressekonferenzen übers Maul fährt. Der amtierende Präsident der USA: ein Hyper-Narzisst? „Donald Trump halte ich für überfordert in seinem Amt“, sagt die Psychotherapeutin und Juristin Rotraud A. Perner. „Ob das unbedingt mit Narzissmus zu tun hat, ist eine andere Frage.“ Bei Trump sehe sie „eher chronische Verbitterung kombiniert mit unreifer Persönlichkeit“, typische narzisstische Verhaltensmuster erkennt sie eher beim britischen Premier Boris Johnson: „Er überhöht sich über andere.“

Eine Schwierigkeit der omnipräsenten öffentlichen Diskussion besteht in der Unschärfe der Begriffe. Denn der Narzissmus gehört – so wie etwa Neurotizismus oder Extraversion – zu den Persönlichkeitsanteilen, die jeder Mensch in sich trägt. Variabel ist die Stärke der Ausprägung – bis hin zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung. „Das Kriterium für eine Störung ist jedenfalls das Leiden“, sagt Perner: Entweder der Narzisst leidet selbst, oder es leidet das Umfeld – bei politischen Entscheidungsträgern dann mitunter auch die Gesellschaft. Der Zusammenhang zwischen Macht und Narzissmus scheint jedenfalls gut belegt. Ausgeprägt narzisstische Persönlichkeiten streben nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Machtpositionen, ob in der Politik oder in Führungsebenen von Unternehmen, bieten da eine aussichtsreiche Bühne. Der deutsche Psychotherapeut und Soziologe Hans-Jürgen Wirth schreibt in seinem Buch „Narzissmus und Macht“ gar von den beiden titelgebenden Begriffen als „siamesische Zwillinge“: Der eine könne nicht ohne den anderen.

Chamäleon Haider

Die Liste an Persönlichkeiten in der Politik, denen erhöhter narzisstischer Antrieb nachgesagt wird, ist lang. „Jörg Haider zum Beispiel war auch als Schauspieler hochbegabt“, sagt Perner. „Er hat aber eigentlich den Beruf verfehlt. Oder konnte sich nicht entscheiden, welcher seiner Begabungen er in erster Linie nachgehen will.“ Haider habe seine Reden, seine Sprache so geschickt wie kaum ein anderer an sein jeweiliges Publikum angepasst. „Er war ein Chamäleon. Auch das ist eine Begabung – aber nicht unbedingt eine ideale für die Politik.“ Ob John F. Kennedy, Barack Obama oder Martin Luther King, ob Bruno Kreisky oder eben Jörg Haider – eines haben diese höchst unterschiedlichen Charaktere gemeinsam: Von politischen Verbündeten wie Gegnern wurde ihnen dieses eine mysteriöse Attribut attestiert: Charisma.

Und ob US-Bürgerrechts- oder Frauenbewegung, ob Ende der Kolonialherrschaft in Indien oder Ende der Apartheid in Südafrika: All diese großen politischen Umbrüche waren getragen von „charismatischen Anführern“. Persönlichkeiten also, die die Fähigkeit besaßen, Menschen zu überzeugen und mitzureißen. Notwendigerweise besaßen sie also auch die Fähigkeit, sich in den Vordergrund zu spielen, Aufmerksamkeit zu generieren, gehört zu werden. Steht nicht nur Macht, sondern auch Charisma im Zusammenhang mit Narzissmus? Einst habe man mit Charisma die „Gaben“, die Fähigkeiten eines Menschen bezeichnet, sagt Perner. „Heute versteht man darunter eher eine populistische Überzeugungskraft.“ Vieles, was man heute als Charisma bezeichne, sei in Wahrheit eine „ausgeprägte Hysterie“, sagt die Therapeutin: „Übertreiben, schnelles Reden wird gerne als große Überzeugungskraft wahrgenommen.“

Das sei trainierbar – und biete damit Gefahr, als manipulative Technik genutzt zu werden. Das Charisma des „Sonnenkönigs“ Bruno Kreisky habe sich dagegen vor allem daraus gespeist, „dass er den Leuten zugehört hat und authentisch war“. Nicht nur die Politik, auch die Medienbranche zieht narzisstische Persönlichkeiten an wie ein Magnet. Und gerade journalistischen Aufdeckern werden gerne narzisstische Motive unterstellt: Es ginge gar nicht um die Demokratie, sondern um persönliche Eitelkeit. Aber selbst wenn narzisstischer Antrieb im Spiel ist: Würden wir auf die Kenntnis des öffentlich gemachten Politikskandals verzichten wollen, nur weil der Wunsch nach persönlicher Bestätigung Teil der Motivation war? Rational besehen wohl kaum.

Aufgeladen mit Energie

Zurück zur Anfangsfrage dieses Textes also: Wenn Macht und Narzissmus so enge Weggefährten sind; wenn gerade Menschen mit erhöhten narzisstischen Persönlichkeitsanteilen so häufig die exponiertesten Plätze der Bühne erklimmen; gerade sie zu Anführern von Staaten, Konzernen, aber auch von politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen werden: Müssen dann nicht die Gandhis, die Mandelas, die Martin Luther Kings narzisstische Persönlichkeiten gewesen sein? „Ich glaube nicht, dass es dafür erhöhten Narzissmus braucht“, sagt Perner. Gandhi und King waren als Anwalt beziehungsweise Pastor schon von Berufswegen gewohnt, vor vielen Leuten zu sprechen.

Sie hätten neben ihrer persönlichen Begabung auch professionell gelernt, Botschaften wirkungsvoll anzubringen. Ihr Gerechtigkeitsempfinden sei dagegen schon früh sehr ausgeprägt gewesen. Dazu komme die große Unterstützung von Gruppen Gleichgesinnter, die solche Persönlichkeiten weiter trage, sie förmlich mit Energie auflade. „Wenn Menschen diese Unterstützung für eigene Anliegen missbrauchen, dann stürzen sie auch irgendwann“, meint Perner. Aber kann auch Narzissmus als treibende Kraft, als Antrieb für positive Veränderungen dienen? Ein potenzieller Schlüssel liegt im Reflektieren der eigenen narzisstischen Anteile.

Ein unreflektierter Narzisst ohne Bewusstsein für sein narzisstisches System ist gefährlich. Ein reflektierter, der sich mit seinen Mustern auseinandersetzt, dagegen vielleicht auf gutem Weg. Ist die Auseinandersetzung mit sich selbst also die halbe Miete – auch auf dem Weg zu einem nützlichen Narzissmus? Selbst erkennen zu lernen, wenn man Gefahr läuft, in Richtung narzisstischer Störung auszuufern, ist zentral, sagt Perner. Für noch entscheidender hält sie aber etwas anderes: „Der gesunde Narzissmus setzt sich Ziele – erkennt aber gegebenenfalls auch an: Das ist möglich. Und mehr ist eben nicht drin.“

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