"Politik verwendet den Bürger als Ausrede“

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Othmar Karas ist seit 1999 Abgeordneter zum Europäischen Parlament. Er löste in diesen Tagen den wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretenen VP-Delegationsleiter Ernst Strasser ab. Im FURCHE-Interview nimmt er Stellung.

Die Furche: Wir erleben die EU in diesen Tagen als eine Union, die mit ihren vielen alten Problemen kaum fertig wird - und mit immer noch mehr Aufgaben konfrontiert wird, mit denen sie sich noch schwerer tut. Wie lautet Ihre Analyse dazu?

Othmar Karas: Als der Euro eingeführt wurde hat man gesagt, man setzt diesen Schritt, weil damit der nächste Schritt der Integration unausweichlich ist. Dieser Schritt wurde aber nie gesetzt. Das wäre also die Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. Jetzt ist die Wirtschafts- und Währungsunion primär vordringlich. Das heißt eine Wirtschafts- und Sozialunion. Diese Politiken sind großteils in den Händen der Mitgliedstaaten. Es gibt da eine Schieflage zwischen der bestehenden wirtschaftspolitischen Kompetenz der Union und der kaum existierenden sozialpolitischen Kompetenz. Zweite Schieflage: Es gibt die Währungsunion, aber keine gemeinsame Budgetpolitik und kein gemeinsames Budget und keine Steuerpolitik. Deshalb schlage ich vor: Es sollte ein Konvent eingerichtet werden, der die Wirtschafts- und Sozialunion bis 2014 schaffen soll.

Die Furche: Das wird aufgrund von Ängsten vor Volksabstimmungen über EU-Vertragsänderungen wohl nicht so schnell gehen.

Karas: Die Regierungen scheuen zurück und verwenden den Bürger als Ausrede, weil sie sich selbst nichts mehr zutrauen. Wir müssen in der Politik wieder dazu kommen, das zu tun, was wir für richtig halten und dafür werben und nicht schon vorher kapitulieren. Klar ist: Wenn es zu mehr Integration kommt, besteht die Gefahr der Stärkung der Nationalismen auf der anderen Seite. Aber darauf ist Europa eben die Antwort.

Die Furche: Wie lange kann die Union auf Basis der bestehenden Verträge so dahinwursteln?

Karas: Den Lissabonvertrag haben wir erst ein Jahr. Wir wursteln auch nicht dahin. Die EU hat in der Krise ganz gut reagiert. Aber sie stößt dort auf ihre Grenzen, wo der politische Wille der Mitgliedstaaten und die mangelnde Führung auch in der EU fehlen. Überall dort, wo es Lücken gibt, Stichwort Steuerpolitik, Stichwort Sozialpolitik, Stichwort Bildung, Stichwort Forschungspolitik, kann diese Lücke geschlossen werden, durch den einstimmigen politischen Willen der Mitgliedsländer.

Die Furche: Aber damit landen wir wieder bei Vertragsänderungen, die wiederum Plebisziten unterliegen. Das kann Jahre dauern.

Karas: Da sind wir am entscheidenden Punkt. Wer macht Politik, wer kommuniziert Politik? Wie gehen wir mit der EU um? Mittlerweile bin ich ja der Überzeugung, dass Veränderungen beim Bürger leichter zu kommunizieren wären als bei Politikern. Veränderungen bedeuten nämlich auch immer Veränderungen der Machtstruktur. Daher kommt dann auch das Argument: Wir werden nix tun, weil wir eh eine Volksabstimmung brauchen. So ist das bitte nicht. Das ist verlogen. Vor einer Volksabstimmung käme nämlich ein Entscheidungsprozess der Regierungen und ein einstimmiger Beschluss im Rat, dazu bräuchte es zunächst also ein Konzept, hinter dem man selbst steht.

Die Furche: Ein aktuelles Beispiel des Versagens?

Karas: Schauen wir uns nur den 1. Mai 2011 an. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der Grundvoraussetzungen der EU, das ist ein Grundwert. Wir haben sieben Jahre lang verhindert, dass unsere Nachbarn die gleiche Freiheit haben wie wir selbst. Wir lassen sie für Bulgarien und Rumänien immer noch nicht zu. Sie sehen: Der Grundgedanke der EU, dass Ereignisse eben Taten der Solidarität erfordern, ist aktueller als 1950. Diese Ereignisse werden ja täglich mehr.

Die Furche: Sie sprechen immer von Solidarität. Die Vorwürfe gegen den Mandatar Ernst Strasser oder Hans-Peter Martin könnten auch darauf schließen lassen, dass die Solidarität von EU-Mandataren bei ihnen selbst beginnt und dort auch endet.

Karas: In jeder Organisation kann es zu Fehlverhalten kommen. Was wir tun können ist, das Fehlverhalten zu minimieren und Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufzubauen oder wiederherzustellen, indem man es schwer macht, durch Transparenz sein politisches Mandat zu missbrauchen. Deshalb ist in beiden Fällen etwas zu unternehmen, beim Lobbying ebenso wie bei der Wahlkampfkostenrückerstattung und bei der Parteienfinanzierung. In beiden Fällen werde ich mich darum bemühen.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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