Politische Häferlgucker

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Mit insgesamt 106 Außenvertretungen und knapp 400 Diplomaten und Botschaftern ist Österreich im Ausland und bei internationalen Organisationen vertreten. Über ihre Arbeit, ihr Selbstverständnis und einige besonders aufregende Aufträge lesen Sie in diesem Dossier.

Kluge Bündnisse, gekonnte Intrigen, vorausschauende Taktik und psychologisches Verhandlungsgeschick - so stellt man sich die Kunst der Diplomatie vor. Und die Internet-Suchmaschine, nach diesem Stichwort befragt, spuckt auch exakt ein diesen Kriterien entsprechendes Ergebnis aus. Der einzige Haken dabei: Die ersten zehn Treffer sind Diplomatie-Gesellschaftsspiele, die meisten für sieben Spieler und mehr, und haben nichts mit den Beziehungen zwischen Ländern und Staaten zu tun. Aber auch die weiteren Ergebnisse enttäuschen. Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten, in denen ein "Volk der Diplomaten" intergalaktischen Streit mehr oder weniger erfolgreich bekämpft, entsprechen nicht den Erwartungen. Fakten und Hintergründe zu bilateraler und multilateraler Politik in Europa und der Welt hat man sich erhofft, Brettspiele und Fantasygeschichten in anderen Sphären waren das Ergebnis.

Den Europaparlamentarier Hans-Peter Martin überrascht diese Auflistung der Internet-Suchmaschine hingegen keineswegs. Im Gegenteil, die hier vorgenommene Reihung deckt sich vollkommen mit seiner eigenen Einschätzung: Diplomatie als Gesellschaftsspiel in einer Welt die nicht mehr die unsrige ist. Botschaften sind für Martin, die "völlig falsche Art der Repräsentanz". Hier würden nur noch "Polit-Pfründe" verteidigt und das Ganze "verkomme zur Lachnummer", wettert der Parlamentarier ins Telefon. Schon bei seiner Kandidatur für das Europaparlament hatte der damalige Spitzenkandidat der spö mit kritischen Aussagen diesbezüglich aufhorchen lassen. Martin forderte im Wahlkampf, die Botschaften von eu-Staaten in anderen Ländern zu schließen und weitete schließlich den Kreis auch noch auf österreichische Botschaften außerhalb der eu aus. Bis zu einer Milliarde Schilling nannte Martin damals das Einsparungspotenzial.

Wie sieht er heute, drei Jahre später und durch seine Arbeit in europäischen Gremien mit mehr Vergleichsmöglichkeiten in diesem Bereich ausgestattet, zu seinem damaligen Vorstoß? "Mehr denn je, stehe ich zu dieser Meinung!" lautet ohne Zögern seine Antwort. In einer Welt, die immer enger zusammenwächst, sei das System an Botschaften und Diplomaten grotesk, argumentiert der frühere Journalist, Buchautor und Warner vor der "Globalisierungsfalle".

Was es brauche, sind nicht Botschaften, "verstaubte Relikte aus einer längst vergangenen Zeit", meint Martin, sondern so etwas wie ein "Haus der Anderen". Wirtschaftsfachleute und Fremdenverkehrsexperten sowie Kunst- und Kulturschaffende gehörten sodann in diese Begegnungszentren, keineswegs jedoch Diplomaten. Eine Spezies, die der eu-Parlamentarier als "völlig unqualifiziert", großteils "ungeeignet und ineffizient" sowie als "Blamage und Peinlichkeit" abkanzelt. "Haben Sie schon einmal versucht einem Diplomaten einen Tarifvertrag zu erklären?" fragt Martin den furche-Redakteur auf der anderen Seite der Leitung. "Völlig unmöglich", antwortet er sich aber lieber gleich selber.

Engagierte Gewerkschafter brauche es da, die der größten Herausforderung Europas, dem Schließen der Gerechtigkeitslücke gewachsen seien. Gerade im Bereich des sozialen Ausgleichs habe Österreich viel herzuzeigen. Das gelinge aber nicht mit Botschaftern, die sich von ihrem "Von" nicht trennen können und nur mehr als deplatziert zu bezeichnen sind, wird Martin richtig wütend, um mit dem Verweis auf Deutschland das Gespräch zu beenden. Dort wisse man was Not tue, dort werde schon steuersparend die Schließung von Botschaften veranlasst, dort gebe es aber auch den "Bund der Steuerzahler". Der fehlt hier zu Lande, sonst würde es wohl um den Fortbestand vieler österreichischen Botschaften in aller Herren Länder anders aussehen.

Doch Europaparlamentarier Hans-Peter Martin sollte die Widerstandsfähigkeit der diplomatischen Zunft nicht unterschätzen. Sie wurde schon des öfteren tot gesagt, aber es gibt sie noch immer. "Das ist das Ende der Diplomatie", soll Queen Victoria angesichts der Erfindung der Telegrafie geglaubt haben. Mittlerweile gibt es Internet-Konferenzen, E-Mails, die Welt ist kleiner geworden, 15 europäische Staaten und bald mehr bilden eine Union - haben da Hans-Peter Martins Einwände nicht doch eine gewisse Berechtigung? Braucht es in der multilateralen EU noch bilaterale diplomatische Vertretungen?

"Ja, natürlich!" ist Manfred Scheich überzeugt. Scheich war Österreichs Delegationsleiter bei den eg-Beitrittsverhandlungen und Botschafter in Brüssel. Die furche erreicht ihn für eine Stellungnahme zu dieser Frage in Fayence in Südfrankreich. "Vergessen Sie eines nicht", erklärt Scheich, "der ganze Integrationsprozess Europas ruht auf den Mitgliedstaaten, gerade jetzt gehen wir wieder durch eine Periode, in der die einzelnen Länder den Ton angeben." Der Europäische Rat sei eben die Quelle der politischen Macht und Autorität in der eu, sagt Scheich. Seine Schlussfolgerung daraus ist aber wahrscheinlich durch die französische Küche inspiriert: "Die eu-Politik wird in hohem Maß in den Mitgliedsstaaten gemacht, zur eu-Meinung verkocht wird sie aber in Brüssel." Und hier komme den Diplomaten, wenn schon nicht die Rolle der Chefköche, so doch die der Küchenjungen und Häferlgucker zu, meint Scheich. Was denken die Meinungsmacher in Paris, in Berlin und anderswo? Wie beginnen wo welche Entwicklungen? Informationen beschaffen und übermitteln, das ist laut Botschafter Scheich die unersetzliche Rolle der Botschafter in der Europäischen Union. Neben Ministern und hohen Beamten sind sie "auch ein Kanal", der den Informationsaustausch zwischen Brüssel und den Mitgliedsstaaten garantiert.

Ins selbe Horn stößt Ernst Sucharipa, der Direktor der Diplomatischen Akademie in Wien, und er erläutert seine Meinung am Beispiel Transit: "Es wäre fatal anzunehmen, man könne verkehrspolitische Fragen nur in einer Serie von Sitzungen in Brüssel erfolgreich verhandeln." Hier müsse die bilaterale Diplomatie unterstützend zur eu-Diplomatie die Vorarbeiten leisten, glaubt Sucharipa.

Und was sagt der Direktor der Lehranstalt für Diplomaten zum Vorwurf, sein Klientel sei eine abgehobene Kaste? Diese Kritik werde zunehmend absurd, antwortet Sucharipa. "Es gab lange Zeiten in der Diplomatie, wo man als Diplomat nur in Frage gekommen ist, wenn man über eigenes Vermögen verfügt hat, damit man sich und die ganze Botschaft aushalten konnte." Davon könne aber heute keine Rede mehr sein. Sucharipa: "Der Privilegienabbau ist praktisch vollzogen und ganz im Gegenteil, viel öfter überwiegen sogar die Unannehmlichkeiten." Sucharipa, der lange als Botschafter in den usa tätig war, gesteht: "Gerade als österreichischer Diplomat fragt man sich jedes Mal, wenn man ins Ausland geht: Warum tue ich mir das an? Hier habe ich eine sehr große Lebensqualität, die ich dort nie haben werde."

Dass für viele der Diplomatenberuf trotzdem soviel Reiz ausübt, lässt sich vielleicht mit einem Rückgriff auf die anfangs erwähnten Diplomatie-Spiele erklären. Dort steht als Begründung für den enormen Erfolg: "Das Spielgefühl lässt sich nicht in Worte fassen, es spielt sich einfach fantastisch. Die Regeln sind einfach, sobald man es einmal gespielt hat und wirklich jede Partie spielt sich von Grund auf anders."

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