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Politischer uberdruck in der Gesundheitsfrsorge

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Es fällt der österreichischen Gesundheitsfürsorge offensichtlich nicht leicht, alten Glanz wieder aufleuchten zu lassen. Die Neubildung einer medizinischen Schule brauchte eine rein fachlich bestimmte Personalpolitik, und diese stößt gerade auf Wiener Boden auf um so größere Schwierigkeiten, als beide Parteien starke Aerztegruppen erfaßt haben. Auch mit den Neubauten beispielhafter Krankenanstalten haben wir nicht allweg Glück gehabt, um im Ausland beachtet zu werden. Selbst die neue Anregung im Bereich der Psychotherapie hat draußen nur vereinzelt Beachtung gefunden. Um so unangenehmer ist es aufgefallen, daß 1949 ein. Krankenpflegegesetz erlassen wurde,* das den Erkenntnissen1 und der Berufsentwicklung der Krankenfürsorge in den darin führenden Ländern völlig widersprach. Es zerschlug unsere hochwertigen Fachschulen des medizinisch-technischen Dienstes, versuchte eine weitgehende Verpolitisierung der Krankenpflege, übersah die Neuordnung wichtiger Arbeitsgebiete und ging an der umfassenden Regelung des Gesundheitsdienstes überhaupt vorbei. Zunächst tat die kleine Gruppe, die dieses Gesetz machtpolitisch durchgesetzt hatte, sehr beleidigt, als sich sofort nach der Beschlußfassung des schlecht unterrichteten Nationalrates dagegen vielseitiger Widerspruch erhob. Dieses Gesetz hat sich nie durchgesetzt, und selbst öffentliche Stellen haben sich an seine Bestimmungen nicht gehalten. So mußte schließlich das Bundesministerium für soziale Verwaltung selber erklären, daß das Gesetz „die Erwartungen nicht erfüllt hat“. Trotz dieser üblen Erfahrungen hat dieselbe Gruppe auf den neuen Entwurf wieder und verstärkt Einfluß nehmen dürfen, so daß nunmehr ein zweites Krankenpflegegesetz droht, das die Tendenzen der Verpolitisierung und Bürokratisierung bedenklich weitertreibt. Doch ist anzunehmen, daß der Entwurf ZI. V - 145.201 - 20/JL/54 in der vorliegenden Form nicht zum Gesetz erhoben wird.

Natürlich soll das Positive nicht üb ersehen werden, worin schwere Mängel des Gesetzes von 1949 wieder ausgeglichen werden. 26 ff. sichert dem medizinischtechnischen Dienst sowohl seine berufliche Eigenständigkeit wie seine Sonderfachschulen, widerruft die Unterdrückung*- und Nivellie-rungsbestimmungen von 1949 und hilft damit auch die klare Eigenform der eigentlichen Krankenpflege wahren. Anderseits wird 19 ff. nunmehr auch der Ausbildung „in der Pflege Geisteskranker“ größeren Raum schaffen. 6 läßt vernünftigerweise die „Hilfeleistungen in der sogenannten Nachbarschafts-, Familienlind Haushaltshilfe“ unberührt und gibt damit der karitativen Betreuung von Mensch zu Mensch den notwendigen Entfaltungsraum. 25 ist der Versuch aufgegeben worden, die Berufsbezeichnung „Schwester“ zu eliminieren und durch „Krankenpflegerin“ abzulösen; nur zu gern hätte man ja diese „Sentimentalität“ ausgemerzt, um hier „einen Erwerbsberuf wie jeden andern“ herauszustellen. Gerade in diesem Zusammenhang darf man hoffen, daß sich 15 günstig auswirkt, wonach „die näheren Bestimmungen über den Lehrplan und den Betrieb von Krankenpflegeschulen vom Bundesministerium für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Unterricht durch Verordnung erlassen“ werden sollen.

Der erste Ansturm des neuen Entwurfes richtet sich gegendieKrankenpflege-schulen. Sie sollen „in der Regel nur an einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt errichtet werden“, so daß unsere hochbewährten Schulsysteme an karitativen Krankenanstalten auf alle Fälle zur Ausnahme erklärt und damit bedroht sind. 10/2 beginnt das erschütternde Trauerspiel der immer wiederkehrenden Vorschrift, daß „ein Vertreter der gesetzlichen Interessenvertretung“ in • die Schulaufnahms-kommission ( 11), Prüfungskommission ( 16), Ueberwachungskommission ( 10) usw. einbezogen werden soll. Diese Verpolitisierung ist ein einzig dastehender Sonderfall sowohl unter den Schulsystemen Oesterreichs wie in der Krankenpflege der Welt überhaupt! Hier hat eine gewerkschaftliche Gruppe machtpolitische Ansprüche angemeldet, welche die weitere Entwicklung der Krankenpflege schwerstens beeinträchtigen müßten; ihre gesetzliche Anerkennung würde unsere Diplome im gesamten Ausland bedenklich diskreditieren. Soweit bereits das Gesetz von 1949 derartige Bestimmungen enthielt, haben sie sich in keiner Weise bewährt; die Gewerkschaft war gar nicht in der Lage, überall geeignete Vertreter namhaft zu machen, manche Vorschläge mußten zurückgewiesen werden, und es zeigte sich auch schon offen die Tendenz, in den .Schulen parteipolitische Propaganda zu treiben. Diese Tendenz würde sich zweifellos erheblich verschärfen, wenn ( 13/2) den Schülerinnen anstatt des bisher gewährten Taschengeldes nunmehr „eine monatliche Entschädigung“ gegeben werden soll, deren Höhe mit der Gewerkschaft ausgehandelt sein muß; glaubt man wirklich, mit solchen Methoden einen zahlreicheren und qualitativeren Berufsnachwuchs heraufzuführen? Die Verwirrung wird vollständig durch die vorgesehene Vorschrift ( 10), daß in die Ueberwachungskommission auch „eine Oberin einer Krankenpflegeschule“ einbezogen werden soll; es braucht nur an die Vorkommnisse in dem Bundesland, woher dieser Vorschlag stammt, erinnert werden, um verhüten zu wollen, daß unsere karitativen Einrichtungen dem böswilligen Konkurrenzdruck politisch gelenkter Gruppen ausgeliefert werden. Ist es nicht zu bedauern, daß 12/l zwar 14 Unterrichtsfachgebiete aufzählt, aber mit keinem Wort die Berufsethik erwähnt, der in allen anderen Ländern eine gebührende Bedeutung eingeräumt wird? Selbst der 1949 eingeführte Unterrichtsstoff aus der Geschichte der Krankenpflege wurde wieder gestrichen, weil er der Kurzsichtigkeit politischer Perspektive offensichtlich im Wege stand. Schließlich ist es abwegig, daß die Entscheidung über die Anerkennung „außerhalb Oesterreichs erworbener Zeugnisse“, die durch das Sozialministerium zu fällen ist, wieder an die gewerkschaftliche Zustimmung gebunden sein soll; wenn etwa aus den Oststaaten bedrängte Ordensschwestern nach Oesterreich kommen und sich hier ihren überlasteten Mitschwestern zur Verfügung stellen — aus welchem inneren Grund soll diese Mitarbeit an das Votum ganz bestimmter Persönlichkeiten gebunden sein, deren Einstellung zu den Orden genugsam bekannt ist? In diesem Zusammenhang muß ausgesprochen werden, daß der Gesetzentwurf in keiner Weise die immerhin wichtige Tatsache berücksichtigt, daß noch immer ein beträchtlicher Teil der krankenpflegenden Personen von den kirchlichen Orden beigestellt wird, in einigen Bundesländern sogar in der Mehrzahl, und daß anderseits auch die weltlichen Diplomschwestern und medizinischen Assistentinnen in überwiegender Mehrheit weder der Gewerkschaft angehören noch auch eine weitere Verpolitisierung ihres Berufsraumes wünschen. Man sollte von Seiten der zuständigen Behörden die Bemühungen des Diplomverbandes, der Oesterreichischen Arbeitsgemeinschaft für Krankenpflege und des Ordensrates der weiblichen Ordensgenossenschaften um eine rein fachliche Hebung und Förderung des Krankendienstes anerkennen und unterstützen.

Einige Fragen werden ohnehin eine gute Zusammenarbeit von allen Seiten brauchen. Es muß z. B. verhütet werden, daß sich die begrüßenswerten Bestimmungen 19 ff. zur Ausbildung für die Pflege von Geisteskranken so auswirken, daß die Orden ihre Schwestern für diese ohnehin schwierige Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung stellen können.Ebenso darf 46 und 49 mit den bürokratischen Formalitäten die garantierte Freizügigkeit der Ordensführung nicht zu sehr beeinträchtigen. Möge auch vorgesorgt werden, daß die mit 48/l vorgesehenen jährlichen „amtsärztlichen Kontrolluntersuchungen“ des Pflegepersonals unseren Schwestern unnötige Peinlichkeiten ersparen. Natürlich ist es im Prinzip zu begrüßen, daß ll/2/c „mindestens die abgeschlossene Hauptschulbildung“ als Voraussetzung für die Aufnahme in eine Pflegeschule vorschreibt, doch sollte — wie nach dem Gesetz von 1949 — übergangsweise eine Möglichkeit geschaffen werden, um auch geeigneten Landmädchen aus Gegenden ohne Hauptschule den Berufsweg zu erschließen.

Hinter allen gesetzlichen Vorschriften steht ja stets mehr das andere Problem auf: wie den sozialen Frauenberufen genügender und geeigneter Nachwuchs geweckt, zugeführt und gesichert werden kann! Man übersieht in gewissen Kreisen großstädtischer Schulsysteme, daß ein guter Teil des Berufsnachwuchses aus religiös geformten Kreisen kommt. Schon 1938 stellten viele Seelsorger die bange Frage, ob diese Nachwuchsströmungen umgelenkt werden müßten, um sie menschlich nicht zu gefährden. Trotz aller Anfeindungen wurden in den letzten Jahren von katholischer Seite mehrere Gruppensysteme entwickelt, um den sozial-karitativen Frauenberufen vorgeschulte Mädchen zuführen zu können. Sollte dieser neue Gesetzentwurf vom Nationalrat gebilligt werden, so würde dieser Widersinn die Entwicklung des Krankenpflegeberufes schwer gefährden!

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