Präsident ist nicht Präsident

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Sie tragen auch den Titel Präsident, aber die Macht des amerikanischen und französischen Staatsoberhaupts lässt sich mit der des österreichischen nicht vergleichen.

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist Regierungschef und Staatsoberhaupt zugleich. Er trägt Sorge für die Ausführung der Gesetze und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er ernennt die Bundesbeamten und mit Zustimmung des Senats die Obersten Richter. Jedes vom Kongress (Senat und Repräsentantenhaus) verabschiedete Gesetz bedarf der Unterschrift des Präsidenten.

Der Präsident ist dem Kongress für sein Handeln verantwortlich. Begeht er eine Straftat oder missbraucht er sein Mandat, so kann er im Wege der Amtsklage (Impeachment) aus dem Amt entfernt werden. Die Amtsklage gegen einen Präsidenten wurde erst zwei Mal angestrengt: 1867 gegen Präsident Andrew Johnson. Sie blieb im Senat erfolglos, allerdings knapp, mit lediglich einer fehlenden Stimme. Präsident Richard Nixon kam 1974 einer Amtsklage mit seinem Rücktritt zuvor. Gegen Präsident Bill Clinton kam im Dezember 1998 ein Impeachment in Gang; es scheiterte im Februar 1999 deutlich im Senat.

Roosevelt bleibt Ausnahme

Der US-Präsident wird für vier Jahre gewählt. Seit einer erstmals für die Präsidentschaftswahl von 1952 geltenden Verfassungsänderung darf der Präsident nur einmal in Folge wiedergewählt werden. Bis auf Franklin D. Roosevelt waren alle Präsidenten vorher dem Vorbild George Washingtons gefolgt und hatten auf eine dritte Kandidatur verzichtet. Unter den bedrohlichen Umständen des Zweiten Weltkriegs kandidierte Roosevelt (Präsident von 1933 bis 1945) vier Mal mit Erfolg. Einer Wiederholung dieses Beispiels wollte eine konservative Kongressmehrheit mit der Verfassungsänderung einen Riegel vorschieben.

Der Präsident wird nicht direkt von den amerikanischen Bürgern gewählt, sondern von einer Delegiertenversammlung, dem Wahlmännerkollegium. Dieses besteht aus 538 Delegierten aus den 50 Staaten und aus drei Delegierten für die Bundeshauptstadt. Mit dem Wahlmännerkollegium wollten die Verfassungväter des Philadelphia-Konvents 1787 eine Prüfinstanz einrichten. Damit sollte verhindert werden, dass dem US-Volk im Präsidenten ein cäsaristischer Volkstribun erwächst, der das Machtgleichgewicht zu seinen Gunsten verändert.

Wahlmänner obsolet

Mit dem Aufkommen politischer Parteien wurden die Wahlmänner verpflichtet, ihre Stimmen dem Kandidaten zu geben, auf den die Mehrheit der Stimmen ihres Staates entfällt. Damit sind sie zu blinden Werkzeugen der Wählermehrheit im jeweiligen Staat de-gradiert. Deshalb entspricht der Wahlvorgang in den USA eigentlich einer direkten Volkswahl, schreibt der Hamburger Politikwissenschaftler Jürgen Hartmann in seinem Lehrbuch "Westliche Regierungssysteme". Er gibt aber zu bedenken: Falls ein Präsidentschaftskandidat durch das Auftreten dritter Kandidaten die absolute Mehrheit im Wahlmännerkollegium verfehlt, entscheidet das Repräsentantenhaus. Dort hat jeder Staat eine Stimme. Das Anliegen dritter Kandidaten ist es aber vor allem, auf die Sorgen einer vernachlässigten Wählerschar aufmerksam zu machen.

Auch der Vizepräsident wird vom Wahlmännerkollegium gewählt. Er steht mit wenigen Aufgaben im Schatten des Präsidenten. In der amerikanischen Geschichte war der Vizepräsident aber oft von großer Bedeutung: Einige Präsidenten fielen Attentaten zum Opfer, andere litten unter lebensbedrohenden Krankheiten.

Präsident ohne Opposition

Das präsidentielle Regierungssystem der USA ist ein Unikat, heißt es in der Fachliteratur. Allein in Lateinamerika konnten vergleichbare Systeme noch Fuß fassen. Die Demokratien in West- und Osteuropa, im restlichen Nordamerika und Ostasien entsprechen überwiegend dem Typus parlamentarischer oder semi-präsidentieller Regierungssysteme (Bsp. Frankreich). Das parlamentarische Regierungssystem fußt auf der Einheit von Regierung und Parlamentsmehrheit. Das präsidentielle Regierungssystem der USA kennt keine Regierungsmehrheiten, weil die Regierung nicht vom Parlament abgelöst werden kann.

Im parlamentarischen System muss sich die Opposition in der Öffentlichkeit als künftige Alternative zur Regierung profilieren. Im präsidentiellen Regierungssystem gibt es diese Art von politischer Opposition nicht. Das Gegengewicht zur Regierung bildet dort das Parlament insgesamt. Das Parlament kann die präsidentielle Regierung nicht ablösen, aber es kann Regierungsvorschläge durch Mehrheitsverweigerung zum Scheitern bringen. Der Präsident im präsidentiellen System verkörpert die Regierung, ob er nun mit oder ohne Unterstützung des Parlaments regiert.

Der französische Staatspräsident als "Guide de la nation" geht auf General Charles de Gaulle zurück. Nach dem Zusammenbruch der Vierten Republik in der Staatskrise vom Mai 1958 wählte die Nationalversammlung de Gaulle zum Ministerpräsidenten und stattete ihn mit umfassenden Vollmachten aus. In der Verfassung der Fünften Republik stärkte de Gaulle die Regierungsgewalt und gab dem Staatspräsidenten entscheidende, richtungsweisende Kompetenzen. De Gaulle herrschte wie ein konstitutioneller Monarch. Er wollte nach seinem Idealbild des Staatsoberhauptes ein unabhängiger Staatslenker sein. Die laufenden Regierungsgeschäfte besorgten seine Premierminister, alles Persönlichkeiten, die ihn in der Vergangenheit auf seinem politischen Weg begleitet hatten.

Präsident braucht Mehrheit

Frankreichs semi-präsidentielles Regierungssystem liegt nahe bei der Konstellation des parlamentarischen Regierungssystems. Der Präsident braucht verlässliche Mehrheiten, will er als politischer Führer auftreten. Fehlt es daran, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich auf die Rolle eines Staatsoberhauptes zurückzuziehen, das wie im parlamentarischen Regierungssystem das effektive Regieren der parlamentarisch verantwortlichen Regierung überlässt.

Nach dem Zusammentreten einer neu gewählten Nationalversammlung schlägt der Präsident den Premierminister vor; die Ministervorschläge unterbreitet der Premier. De facto wird der Premierminister, wenn er es mit einem Präsidenten aus dem eigenen politischen Lager zu tun hat, die Personalvorstellungen dieses Präsidenten berücksichtigen.

Reservierte Vorrechte

Es hat sich eingebürgert, dass auch dann, wenn der Premier nicht aus dem politischen Lager des Präsidenten kommt, dieser bei der Ernennung des Verteidigungs- und Außenministers mitentscheidet. Dieser Anspruch leitet sich aus dem "domaine reservé" her, der dem Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte eine besondere Rolle in der Sicherheits- und Außenpolitik zuweist. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel: So hat der sozialistische Regierungschef Lionel Jospin Anfang 2000 den gaullistischen Präsidenten Jacques Chirac mit einem außenpolitischen Gegenakzent herausgefordert - damit mag das Ende einer politischen Konvention eingeläutet sein, vermutet der Hamburger Politikwissenschaftler Jürgen Hartmann. Da Chirac mittlerweile aber wieder einer Regierung aus dem eigenen Lager gegenübersteht, ist die Entscheidung darüber noch vertagt.

Vor einer ersten Bewährungsprobe stand die Fünfte Republik, als 1986 die regierenden Sozialisten ihre Mehrheit in der Nationalversammlung verloren. Der sozialistische Präsident François Mitterand stand nun dem gaullistischen Premier Chirac gegenüber. Diese erste Phase der so genannten "cohabitation", der Koexistenz zwischen einem Präsidenten aus dem einen und einer Regierung aus dem anderen Lager, bewies jedoch, wie flexibel die Verfassung der Fünften Republik ist. Mitterand respektierte das Wählervotum und ließ die Regierung vorbehaltlich seiner Mitspracherechte gewähren. Hier zeigte sich, dass der Premierminister eine starke Rolle im Regierungssystem gewinnen kann. Und als Richtliniengeber kann sich ein "kohabitierender" Premier sehr wohl positionieren.

Premier hat seine Chance

Das Verhältnis Präsident/Regierung lässt sich so charakterisieren: Wenn Präsident und Regierung aus demselben politischen Lager kommen, gibt es eine praktische Arbeitsteilung, aber die letzte Entscheidung in grundlegenden außen- und innenpolitischen Fragen liegt beim Präsidenten. Wenn Präsident und Regierung verschiedenen Lagern angehören, zieht sich der Präsident auf seine traditionellen Vorrechte zurück; er überlässt die Innenpolitik und die Details der Außen- und Sicherheitspolitik der parlamentarisch verantwortlichen Regierung.

Bietet sich für den Präsidenten die Chance, durch Auflösung der Nationalversammlung die Abwahl des lagerfremden Premiers zu erreichen, dann zögert er nicht. In der jüngsten Verfassungsänderung wurde die Amtszeit des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre - gleich der Legislaturperiode der Nationalversammlung - verkürzt. Damit scheint eine Entwicklung eingeleitet, die kohabitierende Regierungen in Zukunft eher unwahrscheinlich erscheinen lässt.

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