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Prüfstein der Rechtsordnung

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Die Anerkennung des Rechtes auf Eigentum ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung. Wer fremdem Zugriff nicht die Schranke des Rechtes entgegenstellen kann, ist der Willkür ausgeliefert. Die Rechtsunsicherheit ist die stärkste und heimtückischeste Waffe gegen den einzelnen und seine Freiheit. Die unverrückbare Anerkennung der Eigentumsordnung ist daher geradezu ein Prüfstein für die Rechtsordnung.

Hat nun die Enzyklika „Populo-rum Progressio“ die Lehre der katholischen Kirche über das Eigentum und seinen Gebrauch geändert oder erweitert, wie manche zu meinen scheinen? Das soll im folgenden untersucht werden. Zunächst ist es daher notwendig, die bisherige Lehre der Kirche über das Eigentum und seinen Gebrauch darzulegen.

Die katholische Naturrechtslehre bezeichnet als Eigentumsrecht die ausschließliche und uneingeschränkte Herrschaftsgewalt über Sachen. Die Eigentumsordnung wird nicht aus der Natur der Güter (was selbstverständlich ist), sondern aus der Natur des Menschen und der Gesellschaft gefolgert. Die Güter der Welt hat Gott den Menschen zur Verfügung gestellt, um mit ihrer Hilfe die existentiellen Zwecke erfüllen zu können. Diese Hingabe erfolgte nicht in individueller Zuordnung, sondern generell: Die Güter sollen allen Menschen dienen. Es ist daher nicht die Natur der GüteY selbst, aus der sich das Privateigentum ableitet, sondern die Natur und der Zweck der Gesellschaft. Die naturhaft ursprüngliche Bestimmung der Güter geht diesen nie verloren, auch dann nicht, wenn sie rechtmäßiges Eigentum des einzelnen geworden sind. Sie rechtfertigt daher auch Enteignungen, wenn es das Gemeinwohl erfordert — allerdings nur gegen Entschädigung —, und sie rechtfertigt unter den gleichen Voraussetzungen eine Einschränkung im Gebrauch des Eigentums.

Die katholische Naturrechtslehre anerkennt also das Eigentumsrecht im vollen Ausmaß. Es kann nur, wenn es das allgemeine Wohl erfordert, gegen angemessene Entschädigung beschränkt oder aufgehoben werden. Dies entspricht unserer Rechtsordnung gemäß den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches und den Staats grundgesetzen.

Von Leo XIII....

Die katholische Kirche hat in den Sozialbotschaften der Päpste die Lehre über das Eigentum und seinen Gebrauch verkündet. Papst Leo XIII. sagt in der ersten großen Sozialenzyklika „Rerum Novarum“, die am 15. Mai 1891 erlassen wurde: „Das Recht zum Besitze privaten Eigentums hat der Mensch von der Natur erhalten. Daß aber Gott, der Herr, die Erde dem sanzen Men-

schengeschlechte zum Gebrauch und zur Nutznießung übergeben hat, dies steht durchaus nicht dem Sonderbesitze entgegen. Auch die göttlichen Gesetze verkünden das Besitzrecht, und zwar mit solchem Nachdruck, daß sie sogar das Verlangen nach fremdem Gute streng verbieten.“ „Das Recht auf privates Eigentum gründet sich“, sagt der Papst weiter, „auf die natürliche Ordnung, und dieses Recht zu gebrauchen ist nicht bloß erlaubt, sondern es ist im gesellschaftlichen Dasein eine Notwendigkeit.“ Vom Gebrauch der Güter sagt der Papst, es sei Pflicht, vom Überfluß den Notleidenden zu spenden; das sei aber — äußerste Not ausgenommen — nicht eine Pflicht der Gerechtigkeit (also ein Rechtsanspruch), sondern die Pflicht der christlichen Nächstenliebe.

... über Pius XI....

40 Jahre später, am 15. Mai 1931, erließ Papst Pius XI. das zweite große Sozialrundschreiben der Kirche, „Quadragesimo Anno“. Seit der Enzyklika „Rerum Novarum“ hatten sich zur Frage des Eigentums scharfe Diskussionen erhoben. Die Kirche wurde der Begünstigung der besitzenden Klassen — zum Nachteil der Enterbten — bezichtigt. Dazu nimmt die Enzyklika zunächst Stellung. Niemals sagt sie, sei vom kirchlichen Lehramt „die Doppelseitigkeit des Eigentums, das ist seine individuelle und seine soziale, seine dem Einzelwohl und seine dem Gesamtwohl zugeordnete Seite, verkannt oder in Zweifel gezogen“ worden. „Im Gegenteil: einmütig lehrt sie, das Sondereigentumsrecht sei von der Natur, ja vom Schöpfer selbst, den Menschen verliehen; einmal, damit jeder für sich und die Seinen sorgen könne, zum anderen Mal, damit mittels dieser Institution die vom Schöpfer der ganzen Menschheitsfamilie gewidmeten Erdengüter diesen ihren Widmungszweck wirklich erfüllen: beides hat die Einhaltung einer festen und eindeutigen Ordnung zur verläßlichen Voraussetzung.“

Sie sagt weiter: „Eigentumsrecht und Eigentumsgebrauch sind wohl zu unterscheidende Dinge. Die Achtung der Grenzen von Mein und Dein, die Ausschließlichkeit jeden Rechtes, die den Einbruch 'aus den Grenzen des eigenen Rechtsbereiches heraus in den Rechtsbereich des anderen wehrt, gehört der... Gerechtigkeit an. Der sittlich geordnete Gebrauch des Eigentums durch den Eigentümer dagegen gehört der Tugend an, die ,im Klagswege nicht erstritten werden' kann.“ Die Enzyklika fährt fort: „Zu Unrecht vertreten daher einige den Satz: die Grenzen des Eigentums und seines sittlich geordneten Gebrauches seien ein und dasselbe; noch viel weniger bewirkt Mißbrauch oder Nicht-Gebrauch des Eigentums die Verwirkung oder den Verlust des Rechtes.“

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