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Alljährlich zum Novembervollmond kommt Leben in die Wüsten Rajasthans: Das legendäre Pushkar-Fest lockt Menschen und Kamele, Sadhus und Heilige Kühe.

Der junge Brahmane wirkte zunächst recht echt in seinem Bemühen, uns an den Ghats des Pushkar-Sees eine rosa Lotusblüte aufzudrängen. Holy Place, you know. Die Blüte wurde ordnungsgemäß in den heiligen trüben Fluten versenkt, auch dem heiligen roten Klecks zwischen die Augen - versetzt mit heiligen Reiskörnern - war schwerlich zu entkommen und das heilige rot-gelbe Pushkar-Armband sollte noch monatelang unser nunmehr heiliges Handgelenk zieren. Der Pushkar Passport, wie ihn Insider nennen. Die eingeforderte Spende im Wert von 800 Bananen beendetet die interkulturelle Kooperationsbereitschaft leider abrupt. Auch Brahmanen, die Priesterkaste im Hindureich, müssen von etwas leben. Besonders falsche. Und davon gibt es hier genug.

Echt ist wenig hier um die Zeit des großen Pushkar-Festes, das alljährlich um den Novembervollmond in Nordwestindien stattfindet. Das verschlafene Städtchen in Rajasthan, erwacht plötzlich schlagartig zum Leben. Und zwar schon Wochen davor. Denn dem Touristenansturm aus aller Welt will man schließlich gewachsen sein, die den größten Kamelmarkt der Welt mitriechen wollen: Der Duft der alten Zeit, als Highlight jeder herbstlichen Indienreise im Programm wohl jedes Reiseveranstalters - ein "Erlebnis der Sonderklasse", wie die vollmundigen Werbetexter bunter Prospekte garantieren. So unrecht haben sie nicht.

Auf den Flachdächern der Restaurants und Gästehäuser wachsen nämlich plötzlich Zelte, mit elektrischem Strom sogar, um den Run der Rucksäcke zu bewältigen. Die Zeltstädte für Tourgruppen schießen ebenfalls aus den staubigen Weideflächen rund um den Ort, komplett mit Toilettenzelt, Volkstanzgruppenzelt und Frühstückszelt - eine fruchtbare Zeit für findige Rajasthanis, die sich auf die alljährliche Invasion schicker Khaki-Kostüme längst eingestellt haben: Eine Liegestätte im Lager kann schon Monate davor per Fax und Vorauszahlung bestellt werden, in Dollar natürlich. Die Camps sind mit Stacheldraht umzäunt, der heimtückischen Einheimischen wegen, die die imposanten Overland-Trucks aus Europa gebührend bestaunen. Die Mehrheit kommt natürlich per Flugzeug und Charterbus. Jährlich mehr. Operation Wüstensturm, an der indisch-pakistanischen Grenze, stets das Highlight der Saison.

Gekämpft wird höchstens im Stadion, um Geldpreise und Auszeichnungen für die rassigsten Pferde, die schönsten Kühe und die größten Kamele. Da wird probegeritten und getrabt, getastet und gestaunt, wenn die stolzen Wüstensöhne auf edlen Hengsten ihre staubigen Runden drehen. Zähnefletschen und Hufbeschau. Turban an Turban, ein farbenprächtiges Meer in rosa, gelb und orange, eine Männergesellschaft in weißen Burnussen ist unter sich. Feilschen um Preise, dicke Geldbündel aus bunten Tüchern wechseln die Besitzer, mit großen Gesten, doch ohne große Worte.

Natürlich gibt es auch Kamelrennen in der Arena, doch längst nicht aus der Tradition der hundertjährigen Geschichte: Wenn SAT 1 mit ganzen Kamerateams ein paar rasante Runden pittoresker Gestalten auf farbenprächtig aufgetakelten Höckertieren sponsert, verzichtet so mancher auf die verdiente Siesta im Schatten der spärlichen Akazien. Es ist das Fest der Teleobjektive, denn hinein in die wogenden Hügel der gut 200.000 Kamele aus nah und fern wagen sich nur die wenigsten der kurzbehosten Touristen. Schließlich gibt es ja Aussichtspunkte mit Sonnenplanen und Liegestühlen, von wo sich das archaische Treiben aus sicherer Entfernung beobachten lässt - Leihfeldstecher und Cola inklusive.

All-You-Can-Eat

Kamele, soweit das Auge reicht, schwarze und weiße, liegend und stehend, schnaubend und schlafend; dazwischen die Besitzer, am Boden kauernd, am unvermeidlichen Milchtee in Tontassen nippend. Die Linsengerichte brutzeln am offenen Feuer.

Mit Reis und Linsen lassen sich die fremden Besucher naturgemäß nicht abspeisen. Da muss Altvertrautes her, und Pushkar weiß sehr wohl um die Bedeutung der kulinarischen Versorgung. Da ist das Om Shiva Restaurant mit seinen All-You-Can-Eat-Buffets, wo Reis und Linsen bestenfalls Randbedeutung haben. Das Sunset Restaurant mit Blick auf original-rituell badende Hindus, zu Musik der Sechziger und Siebziger. Eier und Alkohol gibt's keinen, auch nicht für Ausländer. Fast hätte man vergessen, dass es sich um einen der heiligsten Orte für Hindus handelt - ganzjährig, und auch im Novemberrummel.

Der Überlieferung nach soll Brahma hier einen Dämon mit einer Lotusblüte besiegt haben, die Blütenblätter fielen herab und bildeten Seen - einer davon im Herzen Pushkars, an dessen 52 Ghats (Ufertreppen) trotz Touristeninvasion absolutes Fotografierverbot herrscht, um den rituellen Waschungen der Pilger aus ganz Indien nicht die letzte Würde zu nehmen. Eine wahre Flut an Uniformen in blankgescheuerten schwarzen Stöckel-Stiefeln hat ein scharfes Auge auf das Geschehen am Wasser.

Pilger und Zauberer

Der Pilgerstrom zu den 400 Tempeln der Umgebung reißt nie so richtig ab, boomt stets zur Vollmondzeit und erreicht im November seinen Höhepunkt. Zwei Fliegen auf einen Schlag, Messe und Markt. Mit den Pilgern, die singend durch das Menschengewühl in den engen Gassen des weißgetünchten Städtchens ziehen, kommen auch die Heiligen Männer Südasiens: Die Sadhus von Kathmandu bis Kerala sitzen alle Jahre wieder unter denselben Bäumen, mit ascheverschmiertem Vollbart und safranfarbenen Roben. Doch um diese Zeit sind Freaks in der Minderheit, und die wogenden Menschenmassen tun sich nur dann auf, wenn der aschefarbene Heilige Mann ohne Beine mit der vollen Blechbüchse vor sich und dem gelben Papagei auf der Schulter im wildesten Gedränge Zeit zum Meditieren findet. Rätselhaftes Indien.

Wenn dann die Sonne tatsächlich glutrot untergeht hinter den felsigen Hügeln Rajasthans, wenn im "Royal Desert Camp" weit draußen das viergängige Dinner gereicht wird, dann erst geht es los am Stadtrand, wo die ersten Kamele lagern. Da starten die Pilgergesänge und Trommelwirbel, die ganze Nacht andauern werden. Da gibt es Ringelspiel und Hochschaubahn, Zirkus und Zauberer - draußen, zwischen den Verkaufsständen von Kamelglocken, Sätteln und Zaumzeug, haben sich viele längst in ihre Decken eingerollt und träumen dem nächsten Tag entgegen, an dem sie wieder Kamele gustieren und den Höhepunkt des Jahres feiern werden.

Das Flackern der Lagerfeuer um Pushkar taucht die Wüste in ein magisches Licht. Die letzten Busse schwanken, beladen mit indischen Pilgern bis hoch auf die Dachgalerie, hinaus in die nordindische Nacht. Bis zum nächsten Jahr, wenn die Zelte wieder wachsen und die Preise steigen. Die richtigen Sadhus und die falschen Brahmanen kommen so sicher wieder wie Ikarus Tours und ZDF. Namaste, Rajasthan.

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