Radio für Demokraten

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Die Politik- und Kommunikationswissenschafterin Ellen Mickiewicz über die Medien der USA: Das Trauma des 11. September ist nicht überwunden; im Präsidentschaftswahlkampf öffnet sich das - traditionell erzkonservative - US-Radio unvermutet für liberale Sendungen und Ideen.

Die Aufdeckung des Watergate-Skandals, eine der Sternstunden des Journalismus in den USA, liegt 30 Jahre zurück. Zuletzt war der Ruf der Medien im Land des Pulitzer-Preises angekratzt: Der "Krieg gegen den Terror" wurde von der US-Regierung auch mit der - wenig kritischen - Unterstützung der Medien geführt. Erst seit dem Irakkrieg und dessen politischen Fehlern meldet sich eine kritische US-Presse wieder mehr zu Wort. Ellen Mickiewicz, Politikwissenschafterin an der Duke University/North Carolina und Direktorin des dortigen De Witt Wallace Center for Communication and Journalism, im Gespräch über die US-Medien nach 9/11 und mitten im Präsidentschaftswahlkampf.

Die Furche: Drei Jahre sind seit 9/11 vergangen. Die Anschläge haben auch die Medien der USA verändert. Wobei - jedenfalls seit dem Irakkrieg - die Kritik steigt, dass die US-Medien nicht jene kritische Berichterstattung leisten, die man von ihnen erwartet.

Mickiewicz: Manches an dieser Kritik ist wirklich gerechtfertigt. Man muss dennoch sehen, dass dies alles mit dem Anschlag aufs World Trade Center begann. Es ist schwer, Außenstehenden zu erklären, wie tief die Wunden davon bei allen Amerikanern sind. Die New York Times etwa erscheint ja in New York, ihre Leute waren also am Ort, alle hatten Kollegen und Freunde, die getötet worden waren. Ähnlich erging es der Washington Post, in Washington wurde am 11. September 2001 ja das Pentagon angegriffen.

Man muss sich die furchtbare Situation vor Augen halten: Die Spitäler riefen an diesem Tag auf, kein Blut mehr zu spenden - weil es keine Überlebenden gab, für die Blut notwendig gewesen wäre, ja es gab nicht einmal Leichenreste. Ich erinnere mich, wie der Präsident von CNN von einem sehr skeptischen Reporter aus Afrika angegangen wurde, der meinte, weil es keine Leichenreste gab, sei das Ganze überhaupt ein Hoax, eine gigantische Medienente gewesen...

Mit einem Wort: Die Anschläge waren so furchtbar, dass von den Opfern buchstäblich nichts mehr übrig war. Ich erzähle das so ausführlich, weil es zeigt, dass man gerade hier den menschlichen Faktor nicht ignorieren kann. Das Problem danach war aber, dass der menschliche Faktor die Medien zu lang bestimmte. Wenn ich persönlich dafür zuständig gewesen wäre, den Geheimdienstchef zu loben oder hinauszuschmeißen, dann hätte ich - anstatt ihm einen Orden an die Brust zu heften, wie Präsident Bush es tat - ihn auf der Stelle gefeuert. Aber das war kurz nach dem 11. September kein öffentliches Thema: In dieser Zeit gab es eine Art Ohnmacht, eine Art Versagen beim Verarbeiten der Ereignisse.

Dann ging es aber darum, wieder zurückzukehren und zu sagen: Das ist geschehen, aber jetzt müssen wir uns wieder auf unsere kritischen Möglichkeiten besinnen. Denn der Kongress hatte Sicherheitsgesetze beschlossen - von denen viele, Gott sei Dank, vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben wurden: Aber die Presse versagte in der Kritik daran, jedermann versagte. Ich dachte, es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis sie wieder kritisch würden. Ich weiß, dass vieles untersucht und recherchiert wurde, aber das Ganze war so nahe an den Herzen der Menschen, dass es nicht so schnell geschah, wie ich dachte.

Die Furche: Vor dem Irakkrieg stellten die US-Medien auch keine Fragen zu den Massenvernichtungswaffen, die Saddam Hussein angeblich hatte: Schon damals war die Argumentation der Regierung äußerst fragwürdig; heute weiß man, diese Waffen existieren nicht. Warum haben die US-Medien geschwiegen?

Mickiewicz: Erstens ist anzumerken, dass es eigentlich Aufgabe des Kongresses wäre, die Ambitionen des Präsidenten zu prüfen: Der Kongress hat ja bei einem Krieg das letzte Wort. Aber dort stand - außer einem Einzigen - niemand auf. Warum? Weil alle wieder gewählt werden wollen, niemand wollte nach Nebraska oder Kansas heimkommen und hören, er sei derjenige gewesen, der gegen die Sicherheit gestimmt hätte. Das war natürlich ein kurzsichtiger, schwacher Standpunkt und eines amerikanischen Bürgers unwürdig.

Zweitens stimmt es, dass die Presse mehr hätte tun sollen. Aber das höchste Amt der Vereinigten Staaten hat vorsätzlich falsch informiert. Die Geheimdienstinformationen, die veröffentlicht wurden, waren falsch dargestellt. Das kam aber erst später heraus...

Die Furche: ... aber warum konnte man von der kritischen US-Presse, von den TV-Networks nicht erwarten, dass sie aufstehen und sagen: Das war falsch, Regierung, das könnt ihr nicht tun!

Mickiewicz: Das Pendel schlägt wieder in diese Richtung aus: Wer täglich die New York Times liest, kann sehen, dass dort jede einzelne Sache in Frage gestellt wird, die aus dem Weißen Haus kommt. Die New York Times ist jetzt äußerst kritisch.

Die Furche: Das gilt für ein Qualitätsblatt wie die "New York Times". Aber was ist mit den großen TV-Networks: Sind die auch kritisch oder unterstützen sie unkritischen Journalismus - den so genannten "embedded journalism", wie der in die Armee vor Ort "eingebettete" Journalismus bei der Berichterstattung aus dem Irakkrieg hieß?

Mickiewicz: Jetzt werden die Journalisten nicht mehr auf dem Schlachtfeld sein, denn sie müssen ja über die Wahlen berichten. In den vergangenen Wahlkämpfen waren sie weitgehend unparteiisch, das heißt, jede Seite erhielt gleich viel Sendezeit. Ob es heute Hinweise gibt, dass sie eine Seite bevorzugen, ist schwer zu sagen. Generell sind die TV-Nachrichten in den 21 1/2 Minuten, die sie bei uns haben, nicht sehr tief gehend. Da wird bloß beschrieben, was der eine Kandidat macht, und sichergestellt, dass da auch eine Intervention des anderen Kandidaten gezeigt wird. Dass die Sender dann ihre eigene Einschätzung zur Wahl abgeben, ist nicht typisch für den TV-Journalismus. Außerdem kann das Bundeswahlkomitee gegen solch eine Berichterstattung Einspruch erheben.

Die Furche: Michael Moore behauptet in seinem Film "Fahrenheit 9/11", dass konservative TV-Sender wie "Fox News Channel" die Interessen von George W. Bush befördern und für seinen nächsten Erfolg arbeiten. Stimmt das?

Mickiewicz: Fox hat seinen Standpunkt, und die Leute drehen diesen Sender auf, um das zu hören. Aber gleichzeitig geschieht etwas sehr Interessantes - und zwar im Radio: Es gibt dort viele Talk-Sendungen, die meisten davon sind äußerst konservativ. Die politisch Liberalen, die Demokraten wollten aber ihr eigenes Programm haben, und die große Frage war, ob viele Radiostationen dieses übernehmen würden. Niemand dachte, dass das der Fall sein würde. Aber etwa bei Clear Channel, einer sehr konservativen Medienkette, die eine großen Teil der Radiostationen besitzt, waren die liberalen Talksendungen überraschend so erfolgreich, dass sogar einige konservative Programme abgesetzt wurden, um die liberalen auszustrahlen.

Also: Ja, Fox News wird versuchen, in Richtung George Bush zu steuern, deswegen sehen es die Leute; wer Bush nicht mag, der dreht sich Fox nicht auf. Der Sender MSNBC wiederum scheint mir mehr in Richtung Kerry zu gehen. Aber das Interessante geschieht beim Radio!

Die Furche: In Europa nimmt man diese Rolle der US-Radios wenig wahr.

Mickiewicz: Das Radio spielt eine sehr interessante, wichtige Rolle. Denn bis jetzt war es zu 100 Prozent konservativ, und oft auch bösartig und emotionell. Aber viele hören

beim Autofahren zu, man kennt die Namen der Moderatoren und Talkmaster - ich kann den Einfluss nicht quantifizieren, aber Leute wie Rush Limbaugh, der mit seiner Show gegen vermeintliche Irrtümer und Vorurteile des liberalen Denkens polemisiert, haben Einfluss, und bislang gab es niemanden, der dagegen auftrat. Jetzt aber gibt es zum ersten Mal einen Wettbewerb auf dem Radiomarkt. Das ist wichtig.

Die Furche: Was sind die größten Unterschiede zwischen den Medien der USA und Europas?

Mickiewicz: Europäisches - zumindest - öffentlich-rechtliches Fernsehen nimmt seine Chancen mehr wahr, ist origineller: etwa das britische Fernsehen, wo man Dinge sagen oder Witze machen kann, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Vor allem politische Diskussionen sind in Europa viel besser als in den USA. Ich habe eine französische TV-Debatte zur Europawahl gesehen, das war sehr aufregend: Die Leute sagten, was sie dachten, sie haben einander unterbrochen, es war wirklich eine Debatte.

TV-Debatten in den USA werden von den Parteien kontrolliert, sie sind Verteidigungsspiele nach dem Motto: "Mein Kandidat darf nie einen Fehler machen." So ist das Ganze beinahe eingefroren. Diese Debatten sind in Europa wunderbar. Weniger wunderbar ist aber, dass die Nachrichten in Europa auf eine sehr abstrakte Wiese präsentiert werden, ihnen fehlt die Emotion, das heißt nicht, dass ich glaube, Nachrichten sollten emotional sein, aber Emotion ist ein Teil davon, wie die Menschen lernen. Die TV-Nachrichten werden in Europa in einer Art toter Sprache präsentiert.

Die Furche: Welche Rolle spielen die US-Medien für die derzeitige Kluft zwischen den USA und Europa?

Mickiewicz: Diese Kluft wird von Leuten im Kongress beschworen und von der Bush-Administration. Die Medien haben keine unabhängige Rolle dabei. Wenn sie im Kongress French Fries (Pommes Frites, Anm.) auf einmal "Independence Fries" nennen, dann ist das für erwachsene Leute kindisch, aber die Medien berichten darüber, auch wenn es seltsam ist.

Die Furche: In Europa gibt es Medien, welche die Gesellschaft polarisieren, die "Tabloids", die Boulevardpresse in Großbritannien, ist dafür berüchtigt, aber auch in Österreich haben wir einen Boulevard, der das besorgt.

Mickiewicz: In den USA ist das nicht so, denn weitaus die meisten Menschen beziehen ihre Informationen aus dem Fernsehen - dazu gehören auch die Internet-Seiten der TV-Stationen bzw. deren Übermittlung von Schlagzeilen auf Pager. Immer weniger lesen Zeitung, und junge Menschen in den USA lesen weniger Zeitung denn je. Es gibt daher nicht etwas Vergleichbares wie die Tabloids in Großbritannien.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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