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Randbemerkungen zur woche

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IN DIESER WOCHE wird an eine soziale Tat erinnert. Die „Caritas“ kann auf eine fünfjährige Aufbauarbeit zurückblicken. Caritas —■ dieser Name weckt in manchen Kreisen auch heute noch Vorstellungen von Klostersuppe und outgemeinten Erbauungssprüchen. Die vielen tausend Menschen aber, denen von dieser Seite nach 1945 tatkräftige Unterstützung zuteil geworden ist, denken anders. Sie kennen die Wirklichkeit. Die Caritas ist zu einer weltumfassenden Aktion der Katholiken gegen Hunger, Not und Verzweiflung geworden. Das Elend fragt nicht nach Nation und Glaubensbekenntnis, die Männer und Frauen der Caritas ebenfalls nicht bei ihrer Hilfe. So konnten in den harten Nachkriegsjahren 180 Millionen Schilling, die Katholiken aus allen Ländern der Welt gespendet hatten, darbenden Österreichern zugeführt werden. Aus dem Land aber fuhren die Kinderzüge, 22.332 Kinder glücklichen Monaten im Ausland entgegen! Eine Flüchtlingsfürsorge wurde eingerichtet, Bahnhofmissionen und Krankendienst nahmen ihre Arbeit wieder auf. JVeue Aktionen wurden durchgeführt, wie die in Europa einzig dastehende Betreuung von Lebensmüden. Sie alle können auf Monate harter Arbeit, aber auch schöner Erfolge zurückblicken. Neben der Soforthilfe nimmt die konsequente soziale Arbeit breiten Raum ein. Mehr als die Hälfte aller Kindergärten und Horte wird heute in Österreich von der Caritas geführt. Das Vertrauen breiter Schichten wird seltsamerweise nicht von allen Behörden und politischen Stellen geteilt. Ihre Unterstützung läßt zu wünschen übrig. Noch immer müssen die berechtigten Forderunpen auf steuerliches Entgegenkommen auf Antwort warten. Ganz zu schweigen von den Hindernissen, die dem Wirken der Caritas auf Wiener Boden manchmal sonderbarerweise bereitet werden. Eine Straßensammlung der Caritashelfer wurde hier aus durchsichtigen Gründen abgelehnt und das Versprechen, ein Drittel der offiziellen Haussammlung der Caritas zuzuführen, nicht erfüllt. Dazu kommt noch die verminderte Zahlung von Unterhaltsbeiträgen der Gemeinde für jene Kinder, die von ihr in Ca-¥itasheimen untergebracht werden. 13 bis 16 Schilling werden hier, in den städtischen Kindergärten aber 21 Schilling bezahlt. Begründung; Die geistlichen Schwestern müssen nicht entlohnt werden... Hier ist noch jene Korrektur in der Einstellung notwendig, die die Arbeiterfrau in Ottakring oder Favoriten schon lange'durchgeführt hat.

EINE SEHR ERNSTE KLAGE kam aus dem Munde des Präsidenten des National-rates. Sie trifft ein Übel, das dem Ruf unseres parlamentarischen Lebens bereits erheblichen Abbruch getan hat: die in den Beratungen der Berufsvertretungen entstandenen Gesetzesentwürfe gehen der Volksvertretung zumeist in letzter Stunde und gewissermaßen nur zur obligaten, verfassungsmäßigen Durchschleusung zu, ohne daß dem Nationalrat Zeit und Möglichkeit gegeben wird, die Materie durchzuarbeiten und sie in ernsthafter Rede und Widerrede zu erörtern. Der Klubobmann der zweiten Regierungspartei unterstrich diese Feststellungen. Er forderte, daß alle Gesetzesentwürfe, die den Berufskammern zugehen, gleichzeitig in einer entsprechenden Anzahl von Ausfertigungen dem Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft zugehen mögen. Er beklagte überdies, daß die hochwichtigen Berichte des Rechnungshofes in einer viel zu geringen Auflage gedruckt würden. Alles Wünsche und Forderungen, die in der Öffentlichkeit lebhaften Widerhall finden. Nimmt man dazu, daß die Sitzungsberichte der Nationalratsausschüsse, in denen die parlamentarische Hauptarbeit geleistet wird, nicht publiziert werden, so hat man in der Nußschale die Vorwürfe gegen die jetzige Funktion unserer parlamentarischen Körperschaften gesammelt. Der warnende Ruf, der nun aus dem Parlament selbst kommt, sollte gehört werden. Ist es doch so einfach, das Gerügte ohne Verzug abzustellen. Es liegt nur am Entschluß.,

DIE PREISSENKUNGSBEWEGUNG greift um sich: täglich weist die Liste der lebenswichtigen Artikel, die eine Verbilligung erfahren, neue Posten aus. Man darf dabei gewiß hoffen, daß da und dort eine genaue Durchrechnung noch tiefergreifende Reduktionen erlauben wird, als es auf den ersten Anhieb möglich schien. Besonders ist es zu begrüßen, daß sich auch die verstaatlichten Betriebe entschlossen haben, ihre Preise zu revidieren. Da sie Erzeugnisse fertigen, die den Grundstoff zu vielen Veredelungsprodukten bilden, darf man ihrem Entschluß eine wettreichende Auswirkung vorhersagen. Im Kreise der wirtschaftlichen Unternehmungen, die sich dieser sozialen Aktion aufgeschlossen gezeigt haben, fehlen allerdings im Augenblick noch die Wirtschaftsbetriebe der öffentlichen Hand. Sie haben ihre Tarife beim 5. Lohn- und Pretsabfcom-roen manchmal in einem Ausmaße erhöht, das sich wohl nur durch die vorsorgliche Vorwegnahme weiterer kommender Kostenerhöhungen erklären läßt. Die Erhöhung des Inlandsbrief- und P o s tk ar t e n-p ort os um 150 bis 333% sei hier nur deshalb als ein Betspiel genannt, weil sie sich für den geistigen und wirtschaftlichen Austausch als drückend erweist. Die Wiener aber würden es wieder begrüßen, wenn die städtischen Verkehrsbetriebe sich zu einer neuen Durchrechnung entschließen könnten. Dies um so mehr, da wir noch immer auf die Wiedereinführung der verbilligten Straßenbahnkurzstreckentarife warten.

„WARUM SIND DIE ANGESTELLTEN SCHLECHTER BEZAHLT?“ Diese Frage wird von einer der letzten Nummern de* Zentralorgans der Gewerkschaft der öffentlich Angestellten in einer sehr oberflächlichen Untersuchung mit dem billigen Vorwurf beantwortet, daß „die Ursache dieser seit Jahren erfolgten Unterbewertung der geistigen Arbeit... hauptsächlich auf die gewerkschaftsfeindliche Haltung gewisser höherer Beamtengruppen selbst zurückzuführen ist“. Diesen Schluß müßte man, wenn er richtig wäre, auch umkehren können: In jenen Zeiten, in denen die geistige Arbeit höher gewertet wurde (also etwa in der Zeit von der 3. Gehaltsgesetznovelle 1927 bis 1938), müßten demnach die Beamten und Angestellten gewerkschaftlich besser organisiert gewesen sein. Das stimmt natürlich nicht. Im Gegenteil, gerade in den Jahren seit 1.945, in denen diese Unterbewertung begann und dann immer weiter fortschritt, war die Beteiligung der öffentlich Bediensteten an der Gewerkschaft so groß wie noch nie. Und der Massenabfall des öffentlichen Dienstes von der Gewerkschaft ist eine F o l g e dieser Vernachlässigung der geistigen Arbeiter, nicht umgekehrtl Die gleiche Ausgabe des „öffentlich Angestellten“ setzt sich mit „Spaltungsversuchen“ durch die Gründung von außergewerkschaft-lichen Fachschaften auseinander. Seit der erfolgreichen Agitation des „Verbandes der geistig Schaffenden“ finden sich an manchen Orten die Maturantenkreise zu einer Interessengemeinschaft zusammen- Ihnen wird der Vorwurf gemacht, sie vermieden den „demokratischen Weg der freien Auseinandersetzung“ und ließen „die anderen Kollegen den Aufwand für ihre Interessenvertretung tragen“. Aber ist ihr Beginnen nicht verständlich, wenn die (aus Arbeitern bestehende) demokratische Mehrheit der Gewerkschaft für die Angestellten nichts übrig hat? Nein, es wird nichts nützen. Mit Worten allein wird man einen weiteren Abfall nicht verhindern, wird man neuen Anhang nicht gewinnen können. Zuerst muß die geistige Arbeit wieder höher bewertet werden als die Macht der Masse; zuerst müssen die Angestellten, besonders jene mit Familie, besser bezahlt werden! Dann wird noch über die Funktion der Gewerkschaft zu reden sein.

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EINE ZWEITE SCHWEIZ soll Ägypten werden, in seinen Grenzen bestätigt und geschützt durch ein Neutralitätsstatut: mit diesem Wunsch ist die ägyptische Regierung vor die Weltöffentlichkeit getreten. Damit würde auch der Suezkanal als ägyptisches Hoheitsgebiet aus einem Streit der Mächte herausgehoben und die militärische Besetzung seiner Eingänge und Ufer durch Großbritannien überflüssig und hinfällig werden. So zweckmäßig eine solche Maßnahme an sich sein könnte — es ist doch auch hier wieder nicht das gleiche, wenn zwei dasselbe tun. Der Schweiz wurde am Wiener Kongreß nicht — wie der ägyptische Sprecher meinte: — ein Neutralitätsstatut auferlegt; jener Areopag der- Mächte hat vielmehr einen aus langer geschichtlicher Entwicklung heraus erwachsenen Zustand vorgefunden und lediglich bestätigt. Die Eidgenossenschaft war 1815 bereits seit Jahrhunderten territorial saturiert und ist heute wie seit Menschengedenken der statische Punkt inmitten eines dynamischen Kontinents. Kann das gleiche auch von Ägypten gesagt werden? Ex strebt nach der Herrschaft über den Sudan, betrachtet seinen neuen, selbständig gewordenen lybischen Nachbarn mit unverhohlenem Mißvergnügen und hat noch vor wenigen Jahren Ansprüche auf die frühere italienische Kolonie Eritrea angemeldet. Soll nun Ägypten innerhalb setner heutigen Grenzen durch den angestrebten neuen Rechtsstand geschützt werden — ein eolcher Wunsch wäre gewiß verständlich — oder wünscht es vielmehr die Anerkennung und Konsolidierung erhoffter neuer Grenzziehungen? Trommeln und Friedensschalmeien zu gleicher Zeit vertragen sich schlecht.

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