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RANDBEMERKUNGEN zur Woche

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POLITISCHER JAHRESKEHRAUS. Viel Arbeil und viel Streit: so könnte das Motto der Innenpolitik dieser letzten Wochen vor dem parlamentarischen Weihnachtsfrieden lauten. Im Parlament konnten, teilweise wider Erwarten, noch eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen erledigt und die Budgetdebatte über das Kapitel „Handel und Wiederaufbau“ und „Verkehr und Elektrizitätswirtschaft abgeschlossen werden. Dafür ist der „Oelkrieg“ zwischen den beiden Regierungsparteien entbrannt. Ein schmaler Trost: Dafj in so vielen Ländern heute um das Oel gerauft wird ... Wenn es nicht doch noch zu einer Einigung über die Abfindung beziehungsweise weitere Beteiligung der anglo-amerikanischen Oelkonzerne am Aufbau des österreichischen Erdölwesens kommt, drohen schwere Auseinandersetzungen mit der auch politisch überaus mächtigen westlichen Oel-industrie, eine Ueberbelastung der Koalition und nicht zuletzt des Steuerzahlers, der ja doch im letzten die „Regelung“, wie immer sie ausfallen mag, tragen muh. Ueberbelastung der Gesamtwirtschaff: Das ist das Hauptmotiv des Schreibens des Bundeskanzlers Raab an die vier Gewerkschaften des Oeffentlichen Dienstes bezüglich ihrer Forderung eines 14. Gehaltes. Eine Bedeckung dieses 14. Gehaltes is nach der Ueberzeugung des Kanzlers nur durch Ersparungen im Personal- und Verwaltungsaufwand des öffentlichen Dienstes und durch eine weitgehende Vereinfachung der Gesetze möglich. Bis Vorschläge in dieser Hinsicht durchgearbeitet sind, vertag) der Kanzler die Verhandlungen. — Es ist also genug „Kraftstoff“ vorhanden, für die politischen Kämpfe des neuen Jahres, das ja auch ein Wahljahr wird. Wenn sich da im innenpolitischen Raum die Köpfe der Politiker zu sehr erhitzen, hat die öffentliche Meinung die Pflicht, vor allem die „reinen Parteipolitiker“ darauf aufmerksam zu machen, immer wieder den Blick zu heben und über den Zaun zu sehen: Das neue Jahr ist nicht nur ein Wahljahr!

FÜNF SCHILLING FÜR EINEN KRANKENSCHEIN sieht die 4. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) von der Arbeitnehmerseite vor. Keine populäre Mahnahme. Oppositionelle Kreise schlugen denn auch sogleich Lärm. Sie übersehen allerdings, dafj die Arbeifgebervertreter eine weit höhere Krankenscheingebühr verlangt hatten; sie übersehen die Reihe von Ausnahmen (für Kinder, die als Angehörige gelten; für Bezieher von Waisenrenten; für Personen mit anzeigepflichtigen Krankheiten) von der Erhöhung; sie übersehen auch, dafj den Kassen die Möglichkeit gegeben wurde, bei berücksichtigungswerten Fällen (ähnlich der Rezeptgebühr) von einer Verteuerung abzusehen; und man mufj auch beachten, dafj die Pensionsversicherungsanstalten höhere Beiträge zu zahlen haben werden, die einheitlich 8,2 Prozent des Rentenaufwands befragen. Der Fehlbetrag des Kassenaufwandes für die Rentner war mitbestimmend für die desolate Lage der Anstalten. Es bleibt aber dennoch die Frage nach dauernder Wirksamkeif der Mahnahmen offen. Die altersmähige Struktur der Bevölkerung wird gerade auf der Rentnerseite fortdauernd das Gummiband der Leistungen dehnen und damit jene Einsparungen bei dem 200-Millionen-Schilling-Defizit, das die 4. Novelle verheifjt, letzten Endes Illusorisch machen.

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KOMMUNISTEN, NEOFASCHISTEN, REAKTIONÄRE. Als „teuflisch“ brandmarkt selbst die konservative römische Zeitung „II tempo“ da Kesseltreiben der heimlichen Gegner Fanfanis. Bei einer Geheimabstimmung über die Neuordnung der italienischen Gemeindemärkte zur Bekämpfung der steigenden Lebensmittelpreise siegte ein Antrag, der von den Kommunisten, Linkssozialisten, Monarchisten und Neofaschisten eingebracht wurde, mit 274 gegen 270 Stimmen. Demzufolge müssen wieder mindestens fünfzehn ehristlich-demokraKsche „Heckenschützen“ gegen Fanfani gestimmt haben, Diese unheilige Allianz will Fanfani stürzen, wobei die einzelnen Gruppen natürlich verschiedene Ziele verfolgen. Die Kommunisten und Linkssozialisfen fürchten, durch Fanfanis Sozialpolitik überspielt, isoliert, ausgeschaltet zu werden. Die Rechtsparteien (den rechten Flügel der Democrlstiani eingeschlossen) fürchten, Fanfani werde nach dem Kongreß der Nenni-Sozialisfen auch deren Unterstützung erhalten und damit die wirtschaftliche Vormacht bisher maßgeblicher Kreise durch ein „sozialreformistisches Regime“ beschneiden. Der Sturm richtet sich gegen das Bündnis Fanfanis mit Sarragaf, wobei diese katholischen Rechfskreise in ihrer Polemik gegen „la sinistra cristiana“, gegen die katholische Linke, offen davon sprechen, dafj es an der Zeit sei, die Demokratie durch ein autoritäres Regime, mindestens ein De-Gaulle-ähnliches Regiment abzulösen. Das sind bedrohliche Zeichen der Zeit. Fanfanis Sozialpolitik und seine eigene Stellung isf nicht unähnlich der Brünings. Brüning wurde entlassen, weil die deutsche Reaktion seinen „Agrarbolschewismus“, eine drohende ost-elbische Bodenreform, fürchtete. Fanfani hat das Zeug in sich, Italien frei, demokratisch und wirtschaftlich gesund zu integrieren: ohne wirkliche Sozialreform ist dies aber unmöglich. Da verbinden sich also, 1958/59 in Italien wie 1932/33 in Deutschland, extreme Feinde, um den Mann einer neuen Mitte zu beseifigen. Wann werden wir hier, in Europa, endlich aus den blutigen Lehren einer nahen Vergangenheit lernen? Wir, gerade auch wir Katholiken?

SALAZARS SCHWERE STUNDE. Mit grober Offenheit hat der portugiesische Staatschef in einer Rede vor dem Exekutivausschuh der Nationalen Union zugegeben, dafj sich das Regime auf einem Tiefpunkt befindet, Salazar wird dabei nicht so sehr durch Vorstöfje der liberalen und linksbürgerlichen Politiker beunruhigt, die Bevan zu Vorträgen nach Lissabon und Porto einluden. Bevan wurde wieder ausgeladen, die Proponenfen seiner Vorträge vorübergehend verhaftet. Viel mehr Sorge macht Salazar eine Opposition, die von kirchlichen Kreisen herkommt. Am weitesten vorgewagt hat sich, als Sprecher katholischer Sozialreform gegen die „Bewegung“ Salazars, der Bischof von Porto. Eine Rede des Patriarchen von Lissabon, Kardinals Concalves Cerejeira, zum 25. Jahresfag der Katholischen Aktion in Portugal wurde in Regierungskreisen zwar als ein gewisses Abrük-ken von der Stellungnahme des Bischofs von Porto gedeutet, Salazar zeigt sich aber offen alarmiert: Er droht mit einem Profestschritt im Vatikan; es gebe katholische Kreise, die sich unter dem Beifall der Liberalen und Sozialisten rühmten, die Nationale Front zerbrochen zu haben, Diese Vorgänge könnten ernste Folgen für das Konkordat und die Beziehungen zwischen Staat und Kirche haben. — Ohne Zweifel wird sich der Staatsehef in diesem Konflikt zu-nächsl durchsetzen. Der allgemeine Notstand wird jedoch dadurch nicht behoben, in Portugal so wenig wie in Spanien; hier wie dort haben Führer der katholischen Kirche Warnungen ausgesprochen, die nicht mehr überhört werden können.

BEWEGUNG IN DER WELTPOLITIK! Ein von

Kriegslärm und Krisen erfülltes weltpolitisches Jahr sucht sich anscheinend noch einen ziemlich bewegten Abgang zu schaffen. Nicht zu deuten, nur zu registrieren haben wir vorläufig: den für Jänner angesagten Besuch des Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten der Sowjetunion, Mikojan, in Washington. Die USA haben dem zweiten Mann im Sowjetstaat in kürzester Frist das Einreisevisum erteilt. Gleichzeitig erfährt man vom Zentralkomitee der chinesischen -Kommunisten, dafj, nach dem Rücktritt Mao Tse-tungs, die Einführung der Volkskommunen zum genaueren Studium der Sachlage für einige Jahre rückgesfellt werden soll. Hat Chruschtschow über Mao gesiegt? Bedeutet das den Auftakt einer Entspannungspolitik Moskaus an die Adresse' Washingtons? Das Neue Jahr wird es zeigen... Im Westen ist bis jetzt in dieser Hinsicht nur London aktiv geworden: der englische Premier will mit Chruschtschow zusammenkommen, die Alliierten aber ständig informiert halten. — Inzwischen reist Tito durch den näheren und ferneren Osten. Während die Staatsmänner durch den Winterhimmel fliegen, strömen in der Tiefe die dunklen Ströme der Erde, Wolga und Rhein, Der Gelbe Flufj und die Donau, Mississippi und Nil, dem einen, ewigen Ziele zu: •dem Meer, Der irdischen Ewigkeit. Die mächtigen und machtlosen Männer in den Lüften aber sind weit entfernt von dem, was doch dem geringsten Manne zuteil werden kann: Ruhe und innerer Frieden,

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