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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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HILBERT NACH WIEN. Die Stadt Wien hat als Intendanten der Wiener Festwochen Dr. Egon Hilbert gewonnen, und damit das Rennen vor Salzburg und Berlin gemacht. In Salzburg bemühten sich einflußreiche Kreise, Dr. Hilbert als Präsident der Salzburger Festspiele zu gewinnen, scheiterten jedoch am Widerstand einiger profilierter Köpfe. Berlin lag Hilbert wohl selbst zu fern. Nun kehrt also nach seinen römischen Wanderjahren als Präsident des österreichischen Kulturinsfitutes in Rom dieser Mann nach Wien zurück, dem auch seine Gegner Enthusiasmus und Initiative nicht absprechen können. — Hilbert kann für Wien gerade jetzt ein Gewinn sein, wobei jedoch der Hoffnung Ausdruck gegeben sei, daß neben der Musik, dem Operntheater, dem seine vorzügliche Neigung gilt, die anderen Künste nicht zurücktrefen mögen. Die Wiener Festspiele haben ihre Entwicklungsfähigkeit nach allen Richtungen, allen Künsten zu, bereits erwiesen. Hier ist weiterzubauen, vielleicht auch mit dem Blick zurück nach Rom: in der Universalität, niemals in einer Einseitigkeit, in der Vielfalt der Werke und Aufgaben, liegt die Chance für die Wiener Festspiele der Zukunft und ihre politische Verpflichtung. Nicht oft werden einem reifen Mann solche Möglichkeifen der Entfaltung eines positiv zu verstehenden Kulfurmanagemenfs geboten, wie Egon Hilbert hier in Wien.

EIN GROSSES WUNSCHPAKET hat die Land- und Forstwirtschaft für die kommende Regierung bereif. Abgesehen von dem schon früher diskutierten Landwirtschaftsgesetz mit unbeschränkter Geltungsdauer stehen eine Reihe anderer Forderungen bevor: Ordnung der Milchwirtschaft; Schaffung eines Weinverkehrsfonds; Verbesserung der Bewirtschaftung des Bauernwaldes; Uebernahme der Zufahrtsstraßen zu den Dörfern durch die Länder; Schaffung einer Investitionsbegünstigung sowie bei der Neuerstellung der land- und forstwirtschaftlichen Einheitswerte zum 1. Jänner 1961 eine Rücksichtnahme auf die bisher eingetretenen Preis- und Absatzverhältnisse. Zur Verbesserung der Agrarstruktur hält man ein Bundesgesetz über die Vergrößerung aufstockungsbedürftiger Landwirtschaftsbetriebe und die Förderung solcher Maßnahmen durch den Bund für dringend. Von der künftigen Außenhandelspolitik erwartet man eine Bewilligung von Importen nur insoweit, als einheimische Produkte nicht verfügbar sind, und verlangt außerdem die Aufnahme von Holz in die Einfuhrgenehmigungsliste. Auf sozialpolitischem Gebiet wird die Benachteiligung der Selbständigen bei der Kriegsopferversorgung und die Beseitigung der Härten bei der Zuschußrentenversicherung gefordert. Landwirtschaftliche Kreise halten überdies im allgemeinen eine völlige Neuordnung der Arbeitslosenversicherung für ihren Bereich nötig. Eine Reihe dieser Maßnahmen wird zweifellos die Gesetzgebung vor heikle Aufgaben stellen. Die Landwirtschaft sollte bei diesen Wünschen, über die durchaus verständnisvoll zu diskutieren wäre, nicht aus dem Gesichtswinkel einer Partei, sondern dem Blickpunkt der Allgemeinheit gesehen werden. Das Wunschpaket haben unbeschadet des künftigen Gewichts alle zu tragen.

BITTERE MEDIZIN bedeuten die ab 1. Juli in Kraft getretenen Bestimmungen über eine „ökonomische Verschreibweise" für alle Krankenversicherten. Künftig wird die in den Apotheken zu entrichtende Rezeptgebühr nicht mehr je Verschreibung, sondern für jede Verpackungseinheit berechnet. Zudem sind die Aerzte dazu verhalten, die kleinste Packung zu verschreiben. Während bisher neu erscheinende Spezialitäten sofort verschrieben werden konnten, sobald sie vom Sozialministerium registriert waren, ist dies jetzt nur nach Bewilligung durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger möglich. Weiter kann der Dringlichkeitsvermerk des Arztes die Chefarztbewilligung nur für eine beschränkte Zahl von Präparaten ersetzen. Bisher konnten die behandelnden Aerzte nahezu jedes Medikament ohne chefärztliche Bewilligung verschreiben. Die Aerzte sehen in den neuen Anordnungen nicht nur eine Erschwerung ihrer Heilaufgaben, sondern erwarten auch eine Vermehrung der Schreibarbeiten und im allgemeinen eine Ausdehnung des Kontrollapparafes und damit ein Uebergewicht des rein Verwaltungsmäßigen gegenüber der Krankenbetreuung. Sobald aber Verpackungseinheiten und Papierzeftei den ohnehin aufgeblähten Apparat belasten, muß sich zusätzlich eine Atmosphäre des Mißtrauens zwischen Arzt und Patient ausbreiten, die keineswegs geeignet ist, die ohnehin angespannte Stimmung im Kassenwesen zu entlasten. Zuerst den Menschen und dann das Papier: das muß doch erster Leitsatz der Sozialpolitik sein — und bleiben.

DAS HERZ ALLER DINGE. Kurz und bündig, mitten „ins Herz der Dinge” treffend, haf Papst Johannes XXIII. unmittelbar nachdem er General de Gaulle empfangen hafte, die über diesen Besuch berichtenden Journalisten angesprochen. Der Heilige Vater segnete sie, ihre Familien und ihren Beruf und sagte dann: „Mögen Sie immer Apostel der Wahrheit sein, denn die Wahrheit ist das Leben Ihres Berufes. Die Wahrheit ist schön, aber sehr empfindlich, und man darf sie nie verraten." Johannes XXIII. fügte dieser ebenso ernsten wie innigen Mahnung und Bitte ein Besonderes hinzu: er segne „vor allem aber ihr Herz’. — Das Herz der Journalisten! Wie gefährlich sind die Kräfte, die aus einem verengten Herzen von Journalisten und ihren verängstigten Brotgebern ausstrahlen können. Wie gesundend können dagegen die aus einem frohen und freien Herzen kommenden Kräfte sein. Eine wahrhaft „freie christliche Presse” setzt ein gesundes Herz voraus, das offen ist, die Wahrheit vernimmt und sie ohne Scheu mifteilf.

ACHSE ODER BRUCKEI „Nun gibt es also eine französische und eine englische Partei bei uns.” Das ist der Titel eines Leitartikels der Hamburger Wochenzeifung „Die Zeit”, die stolz im Druckkopf festhält, daß sie gleichzeitig in Hamburg, Buenos Aires, Johannesburg und Toronto gedruckt wird. Zwischen diesen Druckorten und dem Leitaufsafz besteht ein Zusammenhang. Er mündet in den Sorgen Hamburger und westdeutscher Industrieller, die gerne gute Beziehungen zu England, zu aller Welt, unterhalten möchten, der Bonner Außenpolitik gegenüber. Sie befürchten, daß die unbewegliche Frontstellung Bonns dem Osten zu durch eine nicht weniger starre Westfront verstärkt wird, durch eine Bindung Bonns an Frankreichs Politik in der NATO, im Mittelmeerraum, nicht zuletzt in der Wirtschaftspolitik. Der letzte Aspekt gewinnt auch für Oesterreich steigende Bedeutung, da er ein Moment im Duell Doktor Adenauer—Prof. Erhard beleuchtet. Unser Kampf um wirtschaftliche Selbstbehauptung in Europa ist direkt tangiert. Es lohnt sich, nachdenklich den Schlußfeil dieses Leitartikels zu lesen: „Nun gibt es in unserem Lande, das ohnehin geteilt ist und in dem es ohnehin mehr Spaltungen gibt als anderwärts (Flüchtlinge und Einheimische, Katholiken und Protestanten), auch noch eine englische und eine französische Partei. Die einen, die mit Konrad Adenauer sagen, das Wichtigste von allem ist die unauflösliche politische Verbindung zwischen Deutschland und Frankreich, und die anderen, die mit Ludwig Erhard der Meinung sind, eine wirtschaftliche Abkapselung der sechs Länder des Gemeinsamen Marktes bringe die Gefahr einer neuen Blockbildung mit sich, und darum sollte man lieber versuchen, den gemeinsamen Wirf- schaftsraum so groß wie irgend möglich zu machen. Die französische und englische Partei in der Bundesrepublik sind nicht nur im Begriff, die innenpolitische Atmosphäre zu vergiften, sie geben auch unseren Nachbarn eine willkommene Gelegenheit, auf diesen Instrumenten nach Herzenslust zu spielen. Wenn das der Sinn der westlichen Integration sein sollte… Wenn das der Erfolg der vielgerühmten Außenpolitik ist…” Die drei Punkte stehen im Original.

ROM UND PARIS. De Gaulles Italienbesuch ist beendet. Von den heißen Eisen, die in vertraulicher Aussprache zur Behandlung kamen, ist im Schlußkommunique mit keinem Wort die Rede: Algerien, Sahara, Mittelfmeerpakt, Aenderung der NATO-Sfrukfur, Frankreich als vierte Atommacht. Wohl aber wird von enger französischitalienischer Zusammenarbeit gesprochen. Daneben steht aber eine deutliche Forderung: De Gaulle unterstützt Italiens Wunsch, im Konzert der Westmächte eine stärkere Rolle als bisher zu spielen. Italien soll an einem westlichen Außenministertreffen vor dem Beginn der Genfer Konferenz feilnehmen. Washington und London werden diesem Wunsch entsprechen müssen, Bonn dürfte ihn schon vorher willkommen geheißen haben. Inwieweit den Briten die Entente Cordiale der beiden lateinischen Schwestern auf die Nerven geht, werden ihre Reaktionen zeigen. Bleibt noch hinzuzufügen: das Ergebnis der römischen Verhandlungen de Gaulles haf niemanden überrascht. Hier haben sich zwei Partner gefunden die mit Hilfe des anderen Partners deutlich umrissene, seit langem bekannte Ziele anstreben: De Gaulle will Frankreich als Weltmacht sehen, Italien möchte langsam seine alte Mittelmeerstellung zurückgewinnen; auch eine erstaunliche Kontinuität der italienischen Politik! Wie viel besser würde es um Oesterreich stehen, wenn wir auch nur vergleichsweise etwas Aehnliches an Kontinuität, an großer Linie in unserer Außenpolitik aufzuweisen hätten.

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