Recep Tayyip Erdogan: lieber Wahlsieg als Lyrikpreis

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"Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten." Von diesen Versen aus dem Gedicht eines türkischen Nationalisten will Recep Tayyip Erdogan, der Wahlsieger der türkischen Parlamentswahlen vom Sonntag, heute öffentlich nichts mehr wissen. 1998 stoppten diese Zeilen die politische Karriere des frommen Mannes und er musste für vier Monate ins Gefängnis. Der türkischen Justiz reichte Erdogans Rezitation bei einer Versammlung zur Verurteilung wegen Volksverhetzung. Außerdem verlor Erdogan sein Amt als Bürgermeister von Istanbul. Das er seit 1994 bekleidete und als der er ungemein populär war. In seiner Amtszeit gewann er mit alltagsnaher Politik die Herzen der Menschen. Er spricht die Sprache des Volkes, heißt es, was nicht zu wundern braucht, denn der heute 48-Jährige wuchs in einem armen Istanbuler Stadtteil auf. In seiner Jugend verkaufte er Süßigkeiten und Wasser auf den Straßen der Stadt, um Geld für religiöse Bücher zu verdienen - Lektüre für sein Studium an der Koranschule.

Obwohl er im Wahlkampf Anpielungen auf den Islam vermieden hat, stellt Erdogan gerne Frömmigkeit und Bescheidenheit zur Schau: Der Chef der gemäßigten religiös-konservativen Gerechtigkeits- und Aufbruchspartei (AKP) trinkt keinen Alkohol, seine Frau und die beiden Töchter tragen das Kopftuch, was in der Türkei einem politischen Bekenntnis gleichkommt.

Erdogan selbst trage wiederum einen Schafspelz, werfen ihm seine Kritiker vor. Darunter stecke aber nach wie vor der islamistische Wolf, der religiöse Eiferer, der sich als gemäßigter Politiker ausgibt, um das säkulare Erbe des Staatsgründers Atatürk, die strikte Trennung von Religion und Staat, aus der Welt zu schaffen. WM

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