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Reform um jeden Preis?

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Die Ärzteschaft konnte im Verlauf der vergangenen Jahre einige Erfolge auf dem Honorarsektor bei den Krankenkassen erzielen. Bei näherer Betrachtung allerdings verblassen diese Erfolge etwas, da ein Gutteil der Verbesserungen lediglich konform mit der allgemeinen Valorisierung von Lohn und Preis ging. Was wirklich erreicht werden konnte, war eine Veränderung des Honorarsystems, das von der reinen Pauschalberechnung in einem an sich begrüßenswerten Ausmaß zum Leistungsverrechnungssystem überging. Die Krankenkassen standen schon damals trotz der schweren Auseinandersetzungen den berechtigten Forderungen der Ärzte nicht immer diametral entgegen: Manche hohe Funktionäre der Sozialversicherung wiesen auf die Wichtigkeit des „Vertragspartners Arzt“ hin, und man konnte deutlich merken, daß der Begriff „Erfüllungsgehilfe“ nicht mehr zur wahren Einstellung der Kassen paßte. Für die Ärzte, die eine endgültige Sanierung der Honorarfragen erwarteten, blieb dennoch die Enttäuschung bestehen, daß die Kassen trotz eines „positiven Wollens“ letzten Endes an ihren finanziellen Möglichkeiten Maß nahmen und am wesentlich unterbezahlten Sozialtarif weiter festhielten oder festhalten mußten oder vielleicht da und dort festhalten wollten. Das neue Honorarsystem garantiert wohl mehr Einkommen, das jedoch durch eine unerträgliche Steuerprogression rapid geschmälert wurde. Überdies entsprangen diese Mehreinnahmen aus Tätigkeiten, die im Bereich der Lohnsteuerzahler steuerlichen Begünstigungen unterliegen. Aus diesen Umständen heraus mußten sich zwangsläufig standespolitische Zielsetzungen ergeben: die Kassenärzte verlangten eine gewisse Begünstigung auf dem Steuersektor. Der Zeitpunkt der Forcierung dieses Wunsches konnte nur die derzeit in Beratung befindliche Novelle zum Einkommensteuergesetz sein. Die wesentlichsten Forderungen sind die Einführung eines bestimmten Steu-erfreibetrages, da Ärzte Mehrleistungen, Sonntags- und Nachtarbeit erbringen, sowie den Beruf unter bestimmten Gefahren (Strahlen und Infektion) ausüben. Damit wurde die Steuerfrage zum Problem Nr. 1 des Standes.

An der 2. Front ergab sich aus ähnlichen Gründen eine ebenso zwangsläufige Entwicklung. Die chronische Finanzmisere der Kassen, die teils auf einer fehlentwickelten Beitragsstruktur basiert, ist, wie schon erwähnt, ein ständiges Hindernis für ein „leistungsgerechtes und kostendeckendes“ Honorar. Es war daher nicht verwunderlich, daß die Ärzte, die ja aus nächster Sicht manche Fehlentwicklung bei den Kassen beobachten konnten, Vorschläge für Reformen in der Beitragsstruktur vorlegten. Auch eine gewisse Form der Kostenbeteiligung wurde erwogen. Freilich ist gerade das nicht nur ein heißes politisches,sondern auch ein sehr wesentliches medizinisches Problem. Die Auffassungen innerhalb der Ärzteschaft gehen hier ebenso auseinander wie innerhalb der Funktionäre der Sozialversicherung. Die sogenannte Einteilung in Versichertenklassen nach dem Grundsatz der unterschiedlichen Einkommensstrukturen würde einige Mehreinnahmen bringen. Die Behauptung der Kassenfunktionäre, daß dies „riskentech-nisch“ problematisch sei, kann allerdings nicht widerlegt werden. Entschieden falsch ist jedoch die Auffassung, daß eine Klassifizierung der Versicherten zu Unterschieden in der Behandlung durch den Arzt führen würde. Hier haben die Kassen nicht nur die Entwicklung der Medizin verschlafen, sondern sie beharren geistig auf einem Prinzip des Klassenkampfes auf dem sozialpolitischen Sektor. Die Ärzteschaft weist vehement eine derartige Unterstellung zurück. Ob Krankenschein oder Privathonorar: der medizinische Aufwand, die erbrachte Leistung ist in jedem Fall völlig gleich.

Eine weitere Front des Ärztekampfes ergab sich quasi routinemäßig aus der Tatsache der Honorarordnungen, die in Wien auslaufen und in den Bundesländern durch das geringe Ergebnis der „Honorarautomatik“ bei einem Erholungsfaktor von 4,56 Prozent zu allergrößter Unzufriedenheit geführt haben. Etwaige Vertragskündigungen müßten bis zum 30. Juni 1967 durchgeführt werden. Die besondere Pointierung ergibt sich durch den Umstand, daß die Honorarautomatik, die an die Beitragsstrukturen der Versicherten gekoppelt ist, fallende Tendenz aufweist.

Im übrigen hat sich die diesjährige Honorarforderung der Ärzte zum Ziel gesetzt, besonders den praktischen Arzt, und hier wieder den Landarzt, einkommensmäßig zu heben, da hier ein gefährlicher Strukturwandel immer mehr Platz zu greifen scheint. Niemand will Landarzt werden. Die Tendenz, sich im Einzugsgebiet der Industrie niederzulassen, nimmt rapide zu. Die „Landarztforderungen“ haben somit nicht ausschließlich standespolitische Aspekte, sondern sie sind auch ein Beitrag zur Erhaltung der Verteilungsstruktur der Ärzte, die für das Gesundheitswesen eminent wichtig ist.

Die letzte Front ist ein Hauptkriegsschauplatz der Landärzte. Die Bauernkasse will unter allen Umständen die Landärzte in ein Vertragsverhältnis bringen. Das bedeutet auch „Sozialtarife“ auf dem Land — ein neues Opfer, das der Landarzt nicht mehr bringen kann. Die Ablehnung eines Vertrages ist einheitlich in Stadt und Land. Die vorläufig noch mäßigen Erfolge an anderen eröffneten Fronten werden hier zu einem erbitterten Stellungskrieg führen. Der Hebel, an dem die Ärzte sitzen, erscheint jedoch ziemlich lang. Änderungen auf diesem verhärteten Sektor werden wahrscheinlich dann erst eintreten,wenn das gesamte Problem dynamisiert wird.

Somit präsentiert sich der Kampf der österreichischen Ärzteschaft nicht so sehr als ein Ringen um mehr Einkommen, sondern es verknüpfen sich hier Grundsatzfragen mit dem alltäglichen vertragsrechtüch bedingten Honorarkampf. Die Aufklärung der Öffentlichkeit tut not, damit die Betroffenen rechtzeitig erkennen, daß ihre eigenen Probleme mehr mit den Ärzten verbunden sind als mit dem Apparat, dem Fiskus oder den Funktionären uer Kassen.

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